In Zeiten von Video-on-demand, Streaming und Mediatheken haben sich Sehgewohnheiten verändert. Zuschauer*innen gucken wie selbstverständlich Filme, Serien, Dokus oder Nachrichten online. Private und öffentlich-rechtliche Fernsehsender pflegen daher inzwischen umfangreiche Mediatheken. Sendung verpasst? In den Online-Videotheken der TV-Anstalten gibt es nahezu alle Medieninhalte, um sie zu einem passenden Zeitpunkt anzuschauen, anzuhören oder nachzulesen. Irgendwann werden sie dann aber gelöscht.
Inzwischen sind viele Spielfilme, Serien oder Dokus bereits vor der eigentlichen Ausstrahlung im normalen TV-Programm als Vorab-Premiere über die Online-Mediathek abrufbar. Allerdings gelten für ARD und ZDF und die dazugehörigen TV- und Hörfunksender seit dem Jahr 2009 Sonderregeln, was die Verfügbarkeit von Medieninhalten angeht. Damals hieß der Medienstaatsvertrag noch Rundfunkstaatsvertrag.
Darin haben die einzelnen Bundesländer festgelegt, wie lange ARD und ZDF bereits ausgestrahlte Inhalte online anbieten dürfen. Vor allem: Wann Inhalte wieder offline gestellt werden müssen. An dieser sogenannte Depublizierungspflicht stören sich seit geraumer Zeit immer mehr Menschen. Es passe nicht mehr in eine digitalisierte Welt, in der Medien zu einem Großteil online konsumiert werden, so das Argument.
Doch warum gibt es überhaupt eine Depublizierungspflicht der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten? Die Regelung ist in einer Zeit entstanden, als private Medien noch als besonders schützenswert angesehen wurden. Auch Zeitungsverlage sehen in ARD und ZDF eine Konkurrenz. Daher hatten und haben diese ein erhöhtes Interesse, die Online-Verbreitung von öffentlich-rechtlichen Medieninhalten nach wie vor einzuschränken. Es geht um die Presseähnlichkeit.
Kritik an aktuellen Beschlüssen
Das Konkurrenzdenken untermauern die Ergebnisse der aktuellen Ministerpräsidentenkonferenz zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Ende Oktober 2024 in Leipzig. Dort ging es zwar vorrangig um Kosteneinsparungen. Diese sind allerdings mit inhaltlichen Einschränkungen verbunden. Demnach sollen einige Sender wie 3sat oder Phoenix abgeschaltet werden.
Viel schwerer wiegen nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGR), die Beschränkungen des Online-Angebots. Diese wirke sich negativ auf deren Zukunftsfähigkeit aus und bedeute eine mutwillige Schwächung der öffentlich-rechtlichen Sender, so ein Sprecher der AGRA. Zudem sei das ist ein Einknicken der Politiker vor den Verlegern, hieß es weiter.
Depublizierung von der Regel zur Ausnahme machen
Im Bezug auf die Mediatheken hat es in den vergangenen Jahren zwar immer wieder Reformen des Medienstaatsvertrags gegeben und damit einhergehende Lockerungen bei der Depublizierungspflicht, zuletzt 2020. Dennoch müssen sämtliche ARD- und ZDF-Sender und das Deutschlandradio immer noch Medien nach einem gewissen Zeitraum offline stellen. Die Fristen reichen von 7 Tagen bei größeren Sportereignissen bis hin zu 5 Jahren bei Inhalten aus den Bereichen Wissen und Bildung sowie Kindersendungen.
Bereits im Jahr 2019 und damit im Vorfeld der Medienstaatsvertrags-Reform gab es Forderungen, die Depublizierung von der Regel zur Ausnahme zu machen. Das äußerten Organisationen wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Deutsche Bibliotheksverband e. V. und Wikimedia Deutschland e. V in einem offenen Brief.
Auch netzpolitik.org setzt sich seit einigen Jahren für die unbegrenzte Freigabe von Inhalten in den Mediatheken von ARD und ZDF ein. Es sei in Zeiten von Social Media und Fake News nur schwer verständlich, wenn gut recherchierte Inhalte und Fakten plötzlich im digitalen Nirvana verschwinden würden, heißt es dort. Zudem seien die Beiträge gebührenfinanziert und sollten daher dauerhaft verfügbar sein.
Kommt jemals die Super-Mediathek?
Noch viel länger kursieren Ideen für eine sogenannte Super-Mediathek. Doch seit Mitte der 2010er Jahre, als die Idee kurz für ein mediales Aufflackern gesorgt hat, verharrt die Idee im Standby-Modus. An der Super-Mediathek wären ARD, ZDF und Deutschlandradio genauso wie private Sender sowie Zeitungen und Zeitschriften inhaltlich beteiligt. Sämtliche Audios, Videos und Texte sollen frei verfügbar sein. Einige exklusive Beiträge aus lizenzrechtlichen Gründen kostenpflichtig zur Verfügung gestellt werden.
Mit der Super-Mediathek sollte ursprünglich das Ziel verfolgt werden, ein mediales Gegengewicht aufzubauen, um den Einfluss von US-amerikanisch geführten Plattformen wie Facebook oder YouTube einzudämmen. Außer heißer Luft ist allerdings noch nichts Konkretes ausgetauscht worden.
Schwere Hürden für Reformen
Welche Meinung haben eigentlich ARD und ZDF zur Depublizierungspflicht? Auf Nachfrage verweisen die jeweiligen Sprecher auf aktuelle Änderungen in den sogenannten Telemedienkonzepten und bereits umgesetzte Reformen bei den Verweildauern von Medieninhalten.
Zudem unterstützt die ARD laut Aussage eines Sprechers Vorschläge des von den Bundesländern eingesetzten Zukunftsrats. Dieser vertritt die Meinung: „Um relevant zu bleiben, müssen die Öffentlich-Rechtlichen digital bestehen. Die nonlineare Verbreitung muss daher Bezugspunkt für jeden mittelfristigen Reformansatz bei ARD, ZDF und Deutschlandradio sein. Geschieht dies zu langsam, verlieren die Öffentlich-Rechtlichen zusehends die jüngeren Generationen. Nutzen sie ihre Chancen und gelingt die Transformation zu digitalen Medienhäusern, können sie ihren Auftrag in Zukunft besser erfüllen.”
Die aktuellen Entwicklungen rund um die kürzlich abgehaltene Ministerpräsidentenkonferenz zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lässt erahnen, das Thema Depublizierung wird nicht so schnell verschwinden. Eine komplette Abschaffung müsste zudem eine sehr hohe Hürde nehmen, ein einstimmiges Votum aller 16 Bundesländer.