Mit „Green Motion“ den Dreh raushaben

Mit dem Lastenfahrrad unterwegs für den Klimawandel. Foto: istockphoto/Nastco.Retusche: M/Petra Dreßler

Ein Meilenstein in puncto Nachhaltigkeit in der Filmbranche: Noch unter der Großen Koalition wurde das Klimaschutzziel der Bundesregierung auch in das Filmfördergesetz geschrieben. Damit ist Deutschland eines der ersten Länder, das aktiven Klimaschutz per Gesetz zur Förderbedingung macht. Im M-Filmfokus ist auch das Thema Diversity. Es hat sowohl im Fernsehen als auch bei Streaming-Portalen Fahrt aufgenommen.

Das Filmfördergesetz (FFG) tritt am 1. Januar 2022 in Kraft. Zwei neue Paragraphen legen zum einen fest, dass die CO2-Bilanz des Films nachzuweisen ist. Zum anderen müssen „wirksame Maßnahmen zur Förderung der ökologischen Nachhaltigkeit getroffen werden“. Kriterien und Standards für die Umsetzung gibt es noch nicht. Jedoch ist ab Beginn des neuen Jahres eine Bilanzierung der geförderten Projekte unausweichlich. Dafür hat sich in der Branche aber schon jetzt ein auf die Bedürfnisse zugeschnittener CO2-Rechner etabliert, der bei vielen regionalen Förderungen und Sendern bereits verpflichtend auszufüllen ist.

Eine Wundertüte ist bisher noch der Paragraph zu den „wirksamen Maßnahmen“. Das kann so ziemlich alles heißen und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis die konkrete Anwendung klar ist. Der von der baden-württembergischen Filmförderung (MFG) bereits 2017 gegründete Arbeitskreis „Green Shooting“ hat dagegen im Oktober dieses Jahres unter dem Label „Green Motion” seine ökologischen Mindeststandards veröffentlicht. Diese Standards haben alle Produktionen einzuhalten, welche für die beteiligten Sender oder Firmen produzieren – und das sind nicht wenige. Dazu gehören Produktionsunternehmen wie Bavaria Fiction, Constantin Film, UFA, Studio Hamburg, We are era und Ziegler Film, fünf Sender der ARD-Gruppe, das ZDF, die Degeto Film, die Mediengruppe RTL, ProSiebenSat.1, Sky, der Streamingdienst Netflix sowie Fördereinrichtungen wie die MFG Baden-Württemberg, Hessen Film, nordmedia, die Mitteldeutsche Medienförderung, die MV Filmförderung und die MOIN Filmförderung. Da kaum eine deutsche Produktion ohne einen dieser Partner entsteht, ist das Label und die damit einhergehende Selbstverpflichtung für die gesamte Branche relevant.

Parallel zu den ökologischen Mindeststandards arbeitet die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM) gemeinsam mit der Filmförderungsanstalt (FFA) an Richtlinien zur Umsetzung des neuen FFG. Seitens der BKM soll es ein Premium Zertifikat geben, dessen Kriterien weitreichender und wissenschaftlich fundierter sein sollen. Zurzeit läuft ein Reallabor der beiden Institutionen, an dem ca. 20 Produktionen teilnehmen. Ziel ist es, daraus ein ökologisches Lastenheft für geförderte Produktionen zu entwickeln, allerdings mit einem deutlich anderen Kriterienkatalog als dem des Arbeitskreises „Green Shooting“. Die Ergebnisse daraus sollen im Mai 2022 veröffentlicht werden. Spätestens dann muss geklärt werden, ob es eine Koexistenz geben wird oder ob das Reallabor letzten Endes eher zur Festigung der ökologischen Mindeststandard des Arbeitskreises „Green Shooting“ dienen wird.

Nachhaltigkeit hat sich auch die Produktionsfirma Futurikon auf die Fahne geschrieben, hier bei den Dreharbeiten für die erfolgreichen Animationsfilme: „Minuscule“. Foto: Futurikon/Amélie Monti

Mit der Bahn anstelle der Fliegers

Wie sehen nun solche „wirksamen Maßnahmen” nach dem „Green Motion“-Label aus? Die großen Hebel bei einer Filmproduktion sind meistens die Reisen und die gesamte Logistik. Deshalb gibt es dafür zwei Muss-Vorgaben: Zum einen sind Flüge nicht gestattet, wenn die entsprechende Bahnfahrt unter fünf Stunden liegt, zum anderen sollen in der PKW-Flotte der Produktionen mindestens 30 Prozent CO2-reduzierte Fahrzeuge sein. Wobei diese Zielvorgabe in den kommenden Jahren immer weiter angehoben werden soll: auf bis zu 50 Prozent. Zusätzlich gibt es viele sogenannte Soll-Kriterien, die zwar geprüft werden, aber nicht verpflichtend umzusetzen sind. Um das Label Green Motion letztlich zu erhalten, müssen bei den Produktionen 18 von 21 Muss-Kriterien auf der Haben-Seite stehen. Da die Kriterien Mindeststandards sind, sind sie für eine normale Produktion relativ gut zu erfüllen. Spannender ist der Blick auf die Soll-Kriterien: Hier finden sich prozentuale Mindestanteile nachhaltiger LKW, alternative Stromaggregate oder der ausschließliche Einsatz von LED-Licht. Viele dieser Kriterien sind für manche Produktionen utopisch, für andere in greifbarer Nähe. Ihr großer Wert liegt aber darin, dass sie Nachfragen generieren und damit auch Bedarfe an die Industrie spiegeln. Ob extrem leistungsstarke LED-Scheinwerfer, gas- und elektrobetriebene LKW oder alternative Aggregate – vieles ist noch nicht vollständig entwickelt oder noch nicht im Verleihmarkt vorhanden. Durch eine höhere Nachfrage könnte sich die Entwicklung beschleunigen.

Diesen umfangreichen Katalog mit 44 Kriterien abzuklopfen und eine entsprechende CO2 Bilanz zu erstellen, ist aber nichts, was man eben mal nebenbei erledigt. Deshalb steht an erster Stelle die Beschäftigung eines Green Consultants (zu Deutsch: Nachhaltigkeitsberater*in). Er bzw. sie verfügt nicht nur über valide Berufserfahrung in der Film- und TV-Produktion, sondern ist Spezialist*in für nachhaltige Technologien und Umwelt-Managementsysteme. Derzeit gibt es zwei Weiterbildungsangebote über sechzehn Wochen in Deutschland. Im vergangenen Jahr wurden sie von über 180 Green Consultants genutzt – das ist sowohl in der Ausbildungstiefe als auch in der Quantität weltweit einmalig.

Innerhalb kurzer Zeit musste sich ein völlig neues Berufsbild konstituieren, begonnen vom Arbeitsumfang über das Tätigkeitsfeld bis hin zu einer entsprechenden Vergütung. Um dieses Vakuum zu füllen, haben sich Initiator*innen der grünen Bewegung zusammengetan und gemeinsam mit den frisch ausgebildeten Consultants den „Bundesverband Green Film & TV Consultants Deutschland e.V.“ (GCD) gegründet. Der größte Benefit dabei ist der Austausch über Erfahrungswerte, Technologien und Dienstleister. Denn die Gewährleistung dieses Wissenstransfers macht die Green Consultants wertvoll für Medien-Produktionen, gerade in einem Umfeld, in dem jedes Projekt gänzlich andere Anforderungen hat. Das initiale Fachwissen über die Branche, die Weiterbildung und die ständigen Fortbildungen unterstreichen, dass es sich um Expert*innen handelt. Deshalb ist es wichtig, dass der Beruf Eingang in den neuen Gagentarifvertrag von ver.di findet.

Ein eigener Green Consultant

Grundlegend baut ein Green Consultant ein Umwelt-Managementsystem auf. Dies kann von einem selbst entwickelten Prozess – zum Beispiel im Rahmen einer einzelnen Film- oder Fernsehproduktion – bis hin zu einem betrieblichen Umwelt-Managementsystem nach EMAS oder DIN 14001 gehen. In den vergangenen Monaten haben sich immer mehr Betriebe dazu verpflichtet, einen eigenen Green Consultant zu beschäftigen. Einige Sendeanstalten haben ganze Abteilungen dafür gegründet. Mit der erstellten ersten CO2-Bilanz kann der Green Consultant eine Fokussierung vornehmen, um auf die einzelnen Gewerke zugehen und im Dialog gemeinsam Maßnahmen implementieren zu können. Die größte Herausforderung ist dabei die Zeit, denn gerade in der Vorproduktion lassen sich viele Stellschrauben noch am einfachsten drehen. Allerdings muss dafür auch Zeit vorhanden sein, was im Zuge der derzeitigen Einsparungen an allen Ecken und Enden – etwa bei Arbeitstagen – oft sehr schwierig ist. Den Green Consultant sollte man nicht als Kontrollinstanz verstehen, sondern als Sparringspartner*in, mit der man offen über Sinn und Unsinn einzelner Maßnahmen sprechen kann. Heraus kann dann ein Katalog kommen, der für alle verträglich ist und zugleich möglichst viel ökologische Nachhaltigkeit mit sich bringt.

Teilzeit oder freie Mitarbeit

Der Green Consultant begleitet die Dreharbeiten, ist allerdings nicht permanent am Set. Sie oder er wird zumeist in Teilzeit oder als freie Mitarbeiter*in beschäftigt. Nach einer Umfrage des GCD liegt der Arbeitsaufwand eines Green Consultant im Schnitt bei rund einem Drittel der geplanten Drehtage, wobei die meisten Befragten dabei angaben, dass die Zeit in bisherigen Produktionen eher zu knapp bemessen war. Am Ende erstellt der Green Consultant einen Abschlussbericht, der die CO2-Kalkulation in nüchternen Zahlen darstellt und zeigt, wo die Produktion ihre Emissions-Schwerpunkte hatte und wo eingespart werden konnte, welche Schwierigkeiten es gab.

Ressourcenschonendes Produzieren wird also auch in Zukunft kein Selbstläufer sein. Angesichts immer enger gestrickter Produktionsabläufe wird man dafür künftig einen größeren Zeitpuffer kalkulieren müssen, um dem Team Entlastung zu bringen. Und auch wenn das Thema irgendwann zum Alltag in der Filmproduktion gehört, wird ein gewisser Mehraufwand sicherlich immer bleiben. Die neuen Standards müssen sorgsam beobachtet und weiterentwickelt werden. Das Label wird von den Sendern und Förderern selbst vergeben und nicht, wie zum Beispiel in England, von einer unabhängigen Institution. Es gibt zwar eine Prüfstelle, die bei einer der Big-Four Unternehmensberatungen angesiedelt ist. Diese muss aber von den Sendern und Förderern nicht zwingend in Anspruch genommen werden. Für die Zukunft wäre es vielleicht ratsam, über ein unabhängiges Kompetenzzentrum zu diskutieren. Dort könnte Schulung und Forschung im Bereich nachhaltiger Medienproduktion gebündelt werden.


Preis Eisvogel

Erstmals wurde in diesem Jahr der „Eisvogel – Preis für nachhaltige Filmproduktionen“ ausgeschrieben. Damit zeichnen das Bundesumweltministerium (BMU) und die Heinz Sielmann Stiftung in Kooperation mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) Filmproduktionen aus, die bei der Planung und Umsetzung auf nachhaltige Produktionspraktiken gesetzt haben. Der Preis wird gemeinsam mit der Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen e.V. verliehen. https://eisvogel-filmpreis.de

 

 

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