Proteste gegen „Sparinnovation“

Protest in der Mittagspause vor dem Stuttgarter Pressehaus gegen Entlassungen in den Redaktionen der „Stuttgarter Zeitung“ und der „Stuttgarter Nachrichten“. Kai Burmeister, DGB-Vorsitzender von Baden-Württemberg spricht von „kommunikativer Fehlleistung“ des Medienhauses. Foto: Joachim E. Röttgers

Mehr als 100 Beschäftigte des Stuttgarter Pressehauses demonstrierten am 16. März gegen Stellenabbau und Tarifflucht im SWMH-Konzern. Bei der „aktiven Mittagspause“, zu der ver.di aufgerufen hatte, richtete sich der Protest gegen die „Medienhaus-Strategie 2.0“ des Konzerns, zu dem unter anderem die „Stuttgarter Zeitung“ und die „Stuttgarter Nachrichten“ gehören. Es beteiligten sich neben Beschäftigten aus Redaktion und Verlag der beiden Tageszeitungen und der „Böblinger Kreiszeitung“ auch Drucker.

„Medienhaus-Strategie 2.0“ klingt zwar auf den ersten Blick nach Zukunft, bedeutet aber, dass Arbeitsplätze wegfallen und journalistische Qualität beschnitten wird. Nachdem bereits 100 Arbeitsplätze abgebaut wurden, sollen nun 55 Vollzeitstellen folgen. „Dies kann jetzt bis zu 80 Beschäftigte treffen“, sagt Siegfried Heim, ver.di-Koordinator für Medien und Kunst in Baden-Württemberg. Zusätzlich plant der Verlag Dutzende Beschäftigte in eine tariflose Tochterfirma abzuschieben. „Dies betrifft zunächst Grafikerinnen und Grafiker“, erklärt Siegfried Heim. ver.di gehe davon aus, dass künftig auch Journalist*innen über diese Tochterfirma beschäftigt werden.

Und es geht ans Kerngeschäft der beiden Zeitungen, ihre lokale Berichterstattung in der Region soll eingeschränkt werden. „Der Verlag verbreitet reichlich verschwurbelte Informationen, die Hierarchen winden sich wie ein Aal und versuchen ganz dreist, ihre hammerharten Sparmaßnahmen als Innovation zu verkaufen“, sagte Kai Burmeister, DGB-Vorsitzender Baden-Württemberg. Für ein Medienhaus sei dies eine kommunikative Fehlleistung. Der SWMH-Konzern hat bei ver.di keinen guten Ruf. Hier dränge sich der Eindruck auf, dass eine „in Tarifauseinandersetzungen erprobte Belegschaft geschliffen werden soll“, befürchtet Siegfried Heim.

Entsprechend schlecht war die Stimmung bei den Protestierenden vor dem Pressehaus Stuttgart. Betriebsratsvorsitzender Michael Trauthig berichtete von einem Gespräch mit dem Geschäftsführer Herbert Dachs: „Es ist ein Unterschied, ob Sie etwas machen, was sich noch irgendwie erklären lässt. Irgendwie, auch wenn man es nicht versteht. Oder ob Sie ein Projekt starten, das einfach zu weit geht.“ Stellenabbau, Flucht in eine tariflose Tochtergesellschaft, beschnittene Regionalberichterstattung – damit würden Grenzen überschritten. Und Siegfried Heim stellte fest: „Die Manager sind dabei, die Begründung für den Tendenzschutz zu verspielen, nämlich die Pressefreiheit und den Qualitätsjournalismus.“ Der Tendenzschutz schränkt die Rechte des Betriebsrats in Medienbetrieben ein.

Kai Burmeister sagte den Beschäftigten die solidarische Unterstützung der DGB-Gewerkschaften zu. Er betonte, dass der Arbeitsplatzabbau und die Tarifflucht die Berichterstattung bedrohe – in einer Zeit, in der Qualitätsjournalismus mehr denn je gebraucht werde.

Mehr lesen in der Kontext: Wochenzeitung

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »