Die Digitalisierung im Radio hat im vergangenen Jahr einen gewaltigen Sprung nach vorn gemacht. „Der point of no return zur Volldigitalisierung ist überschritten“, sagte Cornelia Holsten, Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) bei der Vorstellung des Zweiten Digitalisierungsberichts Audio am 9. September im Rahmen der Internationalen Funkausstellung in Berlin.
In Deutschland wird Radio immer mehr digital gehört. Wie Oliver Ecke beim Digitalradiotag erläuterte, verfügen 58 Prozent der Bevölkerung heute über eine digitale Radioempfangsmöglichkeit oder nutzen Webradio. Zwar dominiere der UKW-Empfang insgesamt nach wie vor die Nutzung. Aber vor allem DAB+ sei im Aufwind. Fast ein Viertel der Haushalte (23 Prozent) seien zu Hause oder im Auto mit DAB+-Empfangsgeräten ausgestattet. Das sind sechs Prozent mehr als im Vorjahr und entspricht rund neun Millionen Haushalten. Auch die Versorgung mit internetfähigen IP-Radiogeräten legte demnach leicht zu und liegt nun bei 12 Prozent der Haushalte.
Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der Technischen Konferenz der DLM, begrüßte die Vielseitigkeit des Radioempfangs über alle möglichen Kanäle: über UKW, über DAB+ und über IP. Die Sender müssten darüber hinaus Spezialinteressen der Nutzer über Webchannels ansprechen, Smartspeaker für zusätzliche Reichweiten nutzen sowie Podcasts anbieten. Denn die Konkurrenz schlafe nicht. „Die Online-Audio-Angebote – allen voran von Musikstreaming-Playern wie Spotify, Apple Music und Co. – sind bereits ein wesentlicher Baustein der digitalen Audiolandschaft und essentiell für die strategische Ausrichtung der Hörfunkveranstalter“, sagte Schneider. Die Diversifizierung der Hörfunk-Ausspielwege werde weiter zunehmen. Hörfunk-Angebote würden für die unterschiedlichen Plattformen aufbereitet, mit Aggregatoren verlinkt und über eigene Apps verbreitet. Das klassische Modell der Refinanzierung durch Werbevermarktung ausschließlich linear verbreiteter Programme werde dadurch ergänzt werden.
Hauptweg noch klange terrestrisch
Dennoch sei die Terrestrik nach wie vor der Hauptverbreitungsweg für den Hörfunk und werde es „wohl auch noch lange bleiben“. DAB+ nehme Fahrt auf, gepusht auch durch eine überdurchschnittliche Zunahme von DAB+Radios im Auto. Auch der Empfang per Internet wachse. Die Bedeutung von UKW werde durch digitale Verbreitungswege und neue Wettbewerber zwangsläufig abnehmen, zitierte Schneider zustimmend eine Studie von Goldmedia. Demnach werde der Anteil von UKW an der Hörfunk-Nutzung in den kommenden fünf Jahren „um bis zu 30 Prozent sinken“ könne. Damit sei klar, dass sich „mit UKW allein künftig nicht überleben lässt“.
Eingehend auf den einstimmigen Beschluss des Niedersächsischen Landtags vom Juni gegen die Förderung von DAB+ sagte Schneider, der Verkauf von DAB+-fähigen Radios werde „nicht an den Grenzen von Niedersachsen haltmachen“. Selbst dort werde DAB+ weiterhin über das bundesweite Netz und das Netz des NDR laufen. Sehr bald würden sich die privaten Hörfunkveranstalter des Landes die Frage stellen müssen, „ob sie wirklich auf DAB+-Reichweite verzichten wollen und auch verzichten können“.
Digitalradiobetreibern empfahl er, auf eine hybride Strategie von terrestrischem Digitalradio und Onlineradio zu setzen. „Wer nicht alle digitalen Ausspielwege nutzt“, so Schneider, „wird Hörer, Marktanteile und damit auch Erlöse verlieren.“ Dies könne sich kein privat finanzierter Sender erlauben. Es gelte, das Audiopublikum überall zu erreichen: über UKW, über IP-Streaming, Internet-Plattformen und DAB+. Ob und wann dies in einen digitalen Simulcast münden werde, entscheide am Ende der Markt. Über UKW-Abschalttermine zu spekulieren, hält der BLM-Präsident für „kontraproduktiv“. Das Radio werde auch in einer konvergenten, unübersichtlichen Medienwelt „einen festen Platz im Herzen der Menschen behalten“.
Auch Radiomachen wird „komplexer“
Die Aufgabe aller Radioveranstalter sei „komplexer“ geworden, urteilte in der Debatte MDR-Intendantin Karola Wille. Was im Fernsehen schon längst Realität sei – das Nachdenken darüber, welche Inhalte am besten zu welchen Ausspielwegen passten – komme jetzt auch im Radio an. Im Rahmen einer Hybridstrategie gelte es, „sowohl die lineare wie auch die nichtlineare Welt zu bedienen“. Wille hob erneut speziell die Vorzüge von DAB+ hervor: dieser Standard sei auch unter Kostengesichtspunkten günstiger, nicht zuletzt was den Energieverbrauch angehe. Die MDR-Intendantin verwies auf die unlängst erfolgte Verabschiedung des Europäischen Kommunikations-Kodex in Brüssel. Damit sei eine wichtige Weichenstellung für den europaweit verpflichtenden Einbau von DAB+-Empfängern in neue Autos ab 2021 erfolgt. Nun fehle nur noch die konkrete Umsetzung des im Koalitionsvertrag verankerten Ziels, diesen europaweiten Prozess der Digitalisierung des Radioempfangs auch in Deutschland zu unterstützen. Ende Juli habe das Bundeskabinett bereits die 6. Novelle des Telekommunikationsgesetzes auf den Weg gebracht. „Wenn diese im kommenden Jahr in Kraft tritt, so Willes Prognose, „wird es noch mal einen richtigen Schub geben.“