Redaktionelle Radio-Werbung

Balanceakt auf Kosten der Hörer

Kompenstationsgeschäfte, Sponsoring, Gewinnspiele – nichts ist unmöglich im Radio. Von Schleichwerbung will indes keiner sprechen. Zwar gilt das Gebot der klaren Trennung zwischen Werbung und redaktionell gestaltetem Programm, aber Werbebeiträge „aus überwiegend programmlich-dramaturgischen Gründen sowie zur Wahrnehmung von Informationspflichten“ sind laut Werberichtlinien keine Schleichwerbung.

„Probier‘ was Neues diesen Sommer und Coke bei 3 Grad“ schallte es letzten Sommer auf den Frequenzen von 19 marktführenden Radiosendern. Hörer sollten ihre skurrilen und witzigen Ideen zur Coca-Cola-Dachkampagne „on air“ verbreiten – als Preis für die kreativsten Einfälle gab es jeweils einen Kühlschrank voll vom koffeinhaltigen Brausegetränk und obendrein Calvin Klein-Unterhosen. Gewinnspiele dieser Art erfreuen sich bei Wirtschaftsunternehmen großer Beliebtheit – sie sparen sich so die Kosten für die Spotschaltung und gleiten nebenbei unbemerkt ins redaktionelle Programm. Raus aus dem Werbeblock-Ghetto und rein ins glaubwürdige Umfeld. Promotion mit Sponsorenhinweis ist „on air“ angesagt, das Salz in der Suppe für viele der 235 lokalen und landesweiten Wellen. Im Gegenzug für die Erwähnung im Programm stellen Sponsoren den Radiowellen Geld- oder Sachpreise zur Verfügung. Die Senderchefs sind dankbar für jede Spende – denn Gewinnspiele locken Hörer, und Hörer bedeuten Werbeeinnahmen.

Wetter- und Verkehrspatronate, Livereader, Dauerwerbesendungen, Merchandising und Gratisverlosungen lassen den Hörer oft im Unklaren, ob es sich um Werbung oder Programm handelt – die Schleichwerbung ist oft zum Hören nahe. Jede Kaufhaus-Einweihung wird zum berichtenswerten Promotion-Event hoch stilisiert, der Sender ist mit Ü-Wagen und Veranstaltungsbühne vor Ort. Statt Information und Bildung gibt´s Patronate, Promotion und Preise – auf Kosten des Hörers. Denn nicht immer wird ihm Werbung durch akustische Trennerjingles deutlich gemacht. Sonderwerbeformen gibt es, weil immer mehr Menschen dem klassischen Werbespot abschwören. Erklingt ein Werbejingle im Radio, wechselt der Hörer oft die Frequenz. „Viele Sender in Deutschland verfügen über eigene Event-Gesellschaften, die auch Sonderwerbeformen anbieten“, weiß Lutz Kuckuck, Geschäftsführer beim Radio Marketing Service. Der nationale Privatradio-Vermakter bietet seinen Kunden „integrierte Kommunikation als Verbindung von klassischer Werbung und individuellem Produkt-Event.“ Die Platzierung von Werbung im Programmumfeld erfolgt gegen Honorar oder im Kompensationsgeschäft. Buchverlage lassen mitten im Programm einige Exemplare ihres Bestsellers verlosen – kostenlose Ware gegen publicity – trächtige Verlagsnennung heißt der Deal. Konzertveranstalter spendieren Freikarten längst ausverkaufter Konzerte – dafür gibt´s im Programm gratis Hinweise auf das anstehende Event inklusive CD-Tipp der Woche. Reiseveranstalter schenken Radiosendern eine Fernreise – dafür weist der Moderator ganz akkurat darauf hin, wo alle Nicht-Gewinner die Reise auch gegen Bezahlung buchen können – so schön kann Werbung sein!

Unverdächtige Botschaft

„Wenn wir dem Hörer eine Reise nach Amerika schenken, ist es ihm egal, ob wir ihn mit einer bestimmten Fluglinie dorthin schicken oder einfach nur dorthin fliegen“, weiß Alexander Uban, Chefredakteur bei Energy Berlin. „Zusätzlich ist es denkbar, ganze Sendungen zu verkaufen, die dann unter einem bestimmten Motto stehen.“ So rief sein Sender in der Hauptstadt zur „Handy-Hinrichtung“ auf – die Hörer sollten ihr Gerät überfahren, ertränken oder verbrennen. Der Sponsor stellte, großzügig im Programm erwähnt, neue Geräte zur Verfügung. Bei einer anderen Promotion sollten fünf Hörer live im Radio ihr eigenes Badezimmer zertrümmern. Der sponsernde Bäder- und Fliesenhandel lobte aber nur ein neues Bad kostenlos aus – und freute sich über vier Neukunden. Radiosender und Werbekunden nutzen rigoros den Grauzonebereich im Rundfunkrecht: Schleichwerbung liegt nur dann vor, wenn sie absichtlich gegen Entgelt erfolgt – aber wie lässt sich das nachweisen?

Wann, wo und wieviel Werbung ins Hörfunkprogramm einfließen darf, regelt der Rundfunkstaatsvertrag. „Die gesetzlichen Regelungen reichen aus, um redaktionelle Werbung im Radio gering zu halten“, glaubt Reinhold Albert, Vorsitzender der Gemeinsamen Stelle Werbung der Landesmedienanstalten. „Fließt Werbung in das redaktionell gestaltete Programm ein, so kann die Grenze zur Schleichwerbung überschritten sein“, warnt Albert. Er erkennt eine Tendenz zu „programmintegrierten Werbeformen“. Mit allen Mitteln und mit Hilfe von darauf spezialisierten Agenturen versuchen Werbetreibende, ihre Botschaften unverdächtig im redaktionellen Programm zu platzieren. „Redaktionelle Werbung kann sich auf Servicethemen, Beiträge, News, Gewinnspiele oder Patronate erstrecken“, erklärt Matthias Alefeld. Mit seiner Münchner Agentur MA Media bietet er Sonderwerbeformen abseits von Werbe-Mainstream. Im Angebot: Eventsponsoring, Product Placement, Medienkooperationen, Programmpatronate und Gewinnspiele im werbefreien und imageträchtigen Programmumfeld. Dazu gehören PR-Beitrage des „Grünen Punktes“, die dann von einem Redakteur journalistisch aufbereitet werden.

„Legale“ Grauzone

Ähnliche Sonderwerbeformen bietet die Potsdamer Agentur XXL Media. „Das Radio hat in den letzten Jahren im Innovationsbereich ein bisschen an Boden gutmachen können, es werden Formate angeboten, die im TV- und Printbereich schon längst Usus sind“, weiß XXL-Geschäftsführer Torsten Rüther. Mit ausgefeilten Konzepten und aggressiver Performance versucht er, Werbebotschaften redaktionell zu integrieren – statt im Werbeblock die Hörernerven zu penetrieren. Werbekunden gelangen durch hohe Geld- und Sachpreise spielerisch ins Quiz-Programm. Der Hörer hat meist nur minimalste Gewinnchancen auf den Hauptgewinn – für den „worst case“ hilft eine Risikoversicherung. Oder Firmen versuchen es mit großzügigen Sendekosten-Zuschüssen und initiieren eigene Programmaktionen. Rüther weiß als langjähriger Radiomoderator, was Werbekunden wünschen. „Denn wer das Medium selber gemacht hat, kennt dessen Möglichkeiten, dessen rechtliche Grundlagen und dessen Konsumenten.“ Die Vorteile dieser Medienkooperationen liegen indes auf beiden Seiten: Der Radiosender erhält fertige Beiträge oder Geld- und Sachpreise, der Werbekunde profitiert von der Imagewerbung im glaubwürdigen Programmumfeld. Rüther bewegt sich dabei im „legalen Grauzonebereich – unter Ausschöpfung des zulässigen Werberechts.“

 


 

 

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