Rundfunkreform nach Skandaljahr zwingend

Mensch vor Monitoren

Foto: Archiv

Die Enthüllung zahlreicher Skandale im RBB und in anderen ARD-Sendern hat eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf die Agenda der Medienpolitik gesetzt. Mit einheitlichen Compliance-Regeln sollen per Staatsvertrag die bislang ungenügenden Kontrollmechanismen verschärft werden. Auch die hauptbetroffene ARD gibt sich neue Leitlinien. Um die künftige Höhe des Rundfunkbeitrags bahnt sich ein schwerer medienpolitischer Konflikt an.

Die Mühlen der Medienpolitik mahlen langsam. Die dafür zuständigen Ministerpräsidenten und die von ihr eingesetzte Rundfunkkommission feilschen um Einfluss, denn bei aller gebotenen Staatsferne regieren häufig egoistische Standortinteressen. Bereits seit 2016 beriet eine eigens dafür eingesetzte Länder-Arbeitsgruppe über „Reform des Auftrags und der Struktur“ des ÖRR. Es dauerte geschlagene sechs Jahres, bis der 3. MÄStV von den Länderfürsten unterschrieben war. In Kraft treten kann er aber erst, wenn sämtliche Landtage zugestimmt haben. Das dürfte voraussichtlich im kommenden Frühjahr der Fall sein.

Die Skandalkette des Jahres 2022 bringt es jedoch mit sich, dass der Vertrag bereits vor der Verabschiedung in Teilen überholt bzw. ergänzungsbedürftig ist. Zwar erschien der rheinland-pfälzischen Medien-Staatssekretärin Heike Raab das Paragrafenwerk noch im vergangenen Herbst durchaus „up-to-date“. Aber vor allem die Vorgänge im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) setzten die Medienpolitik unter Zugzwang und ließen es ratsam erscheinen, möglichst rasch mit einem Ergänzungs-Staatsvertrag nachzulegen. Am 7. Dezember 2022 legte die Rundfunkkommission der Länder einen „Diskussionsentwurf für staatsvertragliche Regelungen zu Comliance und Transparenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ vor. Darin werden einheitliche Mindeststandards in diesen Bereichen und in der Gremienkontrolle vorgeschlagen, die für die ARD-Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio gelten sollen. Die Regelungsvorschläge können noch bis zum 31. Januar 2023 kommentiert werden. 

Mehr Transparenz für mehr Glaubwürdigkeit

Nach diesem Entwurf sind die Sender verpflichtet, „für größtmögliche Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit“ zu sorgen. „Die Organisationsstruktur, einschließlich der Zusammensetzung der Gremien und ihrer Ausschüsse, alle Satzungen, Richtlinien, Geschäftsordnungen sowie sonstige Informationen, die von wesentlicher Bedeutung für die jeweilige Rundfunkanstalt sind, müssen im Internet veröffentlicht werden“, heißt es im neuen §31a des Entwurfs zum 4. Medienänderungsstaatsvertrag. Die geforderte Transparenz schließt auch Angaben über die Bezüge der Intendanten und Direktoren ein, zuzüglich der Aufwandsentschädigungen, Sitzungsgelder, sonstige geldwerte Vorteile, Honorierungen für Tätigkeiten bei Tochter- und Beteiligungsgesellschaften sowie die Leistungen bei Beendigung der Tätigkeit. Eine Reaktion vor allem auf den unlängst bekannt gewordenen Missbrauch von Beitragsgeldern im RBB.

Unter dem Stichwort „Compliance“ wird den Anstalten in § 31b auferlegt, künftig „ein wirksames Compliance Management System nach anerkannten Standards“ zu gewährleisten. Verantwortlich dafür zeichnen demnach eine unabhängige Compliance-Stelle oder ein Compliance-Beauftragter. Darüber hinaus wird eine Ombudsperson mit Befähigung zum Richteramt eingesetzt – als externe Anlaufstelle für vertrauliche und anonyme Hinweise.

Damit die Aufsichtsgremien der Sender „personell und strukturell“ in der Lage sind, „die ihnen jeweils zugewiesenen Aufgaben umfassend zu erfüllen“, fordert der Entwurf: ausreichende wirtschaftliche und juristische Fach- und Sachkenntnisse der Verwaltungsräte, regelmäßige Fortbildung der Gremienmitglieder sowie eine angemessene Ausstattung der unabhängigen Geschäftsstellen mit Personal- und Sachmitteln.

Hinter dem Ergänzungsparagraf 31e steckt das Ziel, Interessenskonflikte bei der Gremienaufsicht zu vermeiden. Kontrollaufgaben dürfen demnach nicht mit wirtschaftlichen oder privaten Interessen der Gremienmitglieder kollidieren. Diese dürfen nicht beratend oder entscheidend mitwirken, wenn eine unparteiische Erfüllung ihrer Aufgaben nicht zweifelsfrei gewährleistet ist. Auch dies klarer Reflex auf das „System Schlesinger“, will sagen: den zeitweiligen Totalausfall der Aufsichtsgremien im RBB.

Langes Zögern

Lange Zeit hatte die ARD gezögert, selbst sichtbare Schritte zur Eindämmung der auch auf andere Anstalten ausstrahlenden Glaubwürdigkeitskrise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu unternehmen. „In den Sender der ARD gibt es bereits sehr engmaschige Kontrollen“, beteuerte WDR-Intendant Tom Buhrow, nach dem Abgang von Schlesinger Interimsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft. Ende November rang sich die Intendantenkonferenz schließlich dazu durch, einen Katalog von verbindlichen Compliance-Standards für alle Mitglieder zu formulieren. Unmut regte sich trotzdem, weil der Senderverbund das Papier zunächst nicht öffentlich machen wollte. Eigentlich ein Hohn auf die zuvor gelobte „Transparenz“, weshalb unter dem Druck der Öffentlichkeit das „interne Papier“ am Ende doch „interessierten Medien zugänglich gemacht“ wurde. 

Der 15 Seiten starke Leitfaden formuliert ein Zielbild, in dem Mindeststandards festgelegt sind. Es gehe darum, „den Ruf der ARD einschließlich ihrer Tochtergesellschaften als gemeinwohlorientierte Institution zu schützen und schon den Anschein des Fehlverhaltens einzelner Mitarbeitender zu vermeiden“. Und: „Wir gehen verantwortungsbewusst, wirtschaftlich und sparsam mit Beitragsmitteln um.“ Ein hehrer Vorsatz, der vor dem Hintergrund des RBB-Skandals erst mal eingelöst werden muss. 

Mit Blick auf diese Standards heißt es, jede Anstalt entwickle und implementiere Maßnahmen für ein Compliance-Programm, aufbauend auf den Ergebnissen einer individuellen Risiko-Analyse. Diese umfasse Prävention, Aufdeckung von Fehlverhalten und die Reaktion darauf. Zu Themen wie Zuwendungen, Geschenke, Nebentätigkeiten, Dienstreisen, Spesen oder der Trennung von Dienstlichem und Privatem soll jedes Haus eigene Regeln aufstellen. Für Hinweise zu möglichen Compliance-Verstößen empfiehlt der Leitfaden die Einrichtung eines „Whistleblowing“-Meldesystems. Fehlverhalten soll „unabhängig von der Hierarchiestufe“ sanktioniert werden. Über die Art der Sanktionen schweigt sich der Leitfaden allerdings aus.

Auf derselben Intendantenkonferenz Ende November hatte die ARD angekündigt, künftig prioritär auf Digital zu setzen. Dafür will sie im programmlichen Bereich, vor allem in den Dritten und im Hörfunk, „noch enger“ zusammenarbeiten. Darüber hinaus soll die Möglichkeit einer Flexibilisierung, die der 3. Medienänderungsstaatsvertrag schaffe, schrittweise genutzt werden. Dazu will man Gespräche mit den Gremien und dem ZDF suchen. Bekanntlich entscheiden die Rundfunkräte künftig mit, welche Fernsehprogramme eingestellt oder in Online-Angebote überführt werden. Gleichzeitig sollen die Social Media Accounts reduziert und „deutlich fokussiert“ ausgerichtet werden. 

Gniffke gegen Fusion mit dem ZDF

Zu Beginn des Jahres übernahm Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks (SWR), den ARD-Vorsitz. Er sieht sich nicht als Geschäftsführer, sondern eher als eine Art „Klassensprecher“ des Senderverbunds, wie er der dpa zum Dienstantritt verriet. In einem Spiegel-Interview kurz vor Weihnachten 2022 war er mächtig ins Fettnäpfchen getreten, als er reichlich nassforsch prognostizierte, bei den von Programmflexibilisierung betroffenen Redaktionen werde sicher ein „Jaulen und Quieken“ einsetzen. Eine Wortwahl, die von den KollegInnen des ver.di-Senderverbands im WDR als „unangebracht und abstoßend“ kritisiert wurde.

In der Folge sah sich Gniffke zu einer lauwarmen Entschuldigung genötigt. Seine Bemerkung sei „wohl missverständlich“ gewesen und habe offenbar „für Irritationen gesorgt“. Er hoffe aber, dass jenseits seiner „bildhaften Wortwahl“ eher sein Bekenntnis zur „Zukunft des Journalismus“ hängenbleiben werde: „Ich will in Journalismus investieren.“ An ehrgeizigen Zielen mangelt es Gniffke nicht. Die ARD brauche ein „Update“, die digitale Transformation müsse vorangetrieben werden. Und: „Wir wollen spätestens innerhalb dieses Jahrzehnts der erfolgreichste Streaminganbieter in Deutschland werden.“ 

Von einem „runden Tisch“ für die ARD, wie ihn sein Vorgänger Tom Buhrow vorgeschlagen hatte, mag er nichts wissen, ebenso wenig von einer Fusion mit dem ZDF. Angesichts der europaweit laufenden Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und der „Konzentrationsprozesse in der digitalen Welt“ will er am publizistischen Wettbewerb der beiden Großschiffe festhalten. Dagegen gelten auch für ihn Kürzungen im Programm nicht mehr als tabu. Eine seiner seit kurzem ventilierten Sparideen ist eine Straffung der Dritten Programme durch einen gemeinsamen Mantel, etwa mit je einem Gesundheits- und Verbrauchermagazin („Ist Arthrose in Bautzen nicht genauso unangenehm wie in Bitburg?“) – bei gleichzeitigem Ausbau der regionalen Informationsanteile. Noch in diesem Jahr werde die ARD damit beginnen, einen linearen TV-Kanal ins Digitale zu überführen. Genaueres stehe noch nicht fest. Auch bei den Radiowellen werde eine engere Zusammenarbeit angestrebt– zuvor müssten aber die Staatsverträge entsprechend geändert werden. 

Auch Himmler will keine Fusion

Kein Freund einer Fusion mit der ARD ist auch ZDF-Intendant Norbert Himmler. Zur Jahreswende äußerte er gegenüber dpa, er halte es für „falsch, den publizistischen Wettbewerb von ARD und ZDF infrage zu stellen“. Eine klare Absage an Überlegungen, die WDR-Intendant Buhrow Anfang November 2022 in seiner „Privatmann“-Rede vor dem Hamburger Übersee-Klub angestellt hatte. Gäbe es „nur noch eine öffentlich-rechtliche Nachrichtensendung in Deutschland oder nur noch von einem Sender Wahlberichterstattung“, so Himmler, wäre das eine „wirklich falsche Machtkonzentration“. 

Gleichwohl hat die Grundsatzdebatte über Reformen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerade erst Fahrt aufgenommen. Stichworte sind die Höhe der Intendantengehälter, allzu üppige Versorgungsbezüge, Formatdoubletten im Programm, vermeintliche politische Einseitigkeiten, mangelhafte Gremienaufsicht, wenig repräsentative Rundfunkräte etc. 

Vor diesem Hintergrund zeichnen sich schon jetzt harte Diskussionen um die künftige Höhe des Rundfunkbeitrags ab. In den kommenden Monaten werden die Sender bei der unabhängigen Finanzkommission KEF ihren Finanzbedarf für die Jahre ab 2025 anmelden. Nach Prüfung und einer Empfehlung durch die Kommission haben die Bundesländer das letzte Wort. Nach Expertenschätzungen müsste der Beitrag inflationsbedingt – allein um den Status quo zu erhalten – von jetzt 18,36 auf mindestens 20 Euro steigen. Unter dem Eindruck des RBB-Skandals haben allerdings mehrere Landesfürsten bereits ein Einfrieren des Beitrags ins Gespräch gebracht. Dazu zählen Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU). Als erster Sozialdemokrat sprach sich kürzlich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke klar gegen eine Beitragserhöhung aus. Sollte sich diese Linie durchsetzen, drohen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in zwei Jahren drastische Einschnitte – auch im Programm.

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