Spotify aktiver auf dem Podcast-Markt

All-Ears-Konferenz von Spotify am 5. Mai in Berlin Foto: Kai Rüsberg

Podcast boomen in Deutschland, auch jene mit journalistischen Anspruch. Ein Grund für den bisherigen Musikdienst Spotify, sich auch als Medienplattform für ernsthafte Inhalte zu positionieren. Dafür hat Spotify erstmals zu einer All-Ears-Konferenz eingeladen. 1000 Besucherinnen und Besucher der Branche kamen am 5. Mai in die „Wilhelm Hallen“, eine hippe, alte Industrieanlage im Norden von Berlin. Im Vordergrund standen aufwändig produzierte und investigative journalistische Formate und die Abkehr vom einfachen Talk-Format.

„Radio ist tot“, provoziert Jan Böhmermann, der aus seiner ZDF Magazin Royale Redaktion in Köln zur bunten Podcast-Konferenz dazu geschaltet war. Widerspruch ist unter den Anwesenden aus der Podcast-Community nicht zu hören, obwohl die meisten hier wissen werden, dass der TV-Entertainer übertreibt. Immerhin nutzen 52 Millionen täglich ihr Radio, so die repräsentative MA-Umfrage 2022 Audio.

Jan Böhmermann kommt selbst vom öffentlich-rechtlichen Radio Bremen und schätzt das Medium, wie er sagt: „Die Inhalte sind gut, aber wer will das noch in dieser Form hören, linear im Radio?“ Zusammen mit Radiomann Robin Drömer aus Berlin und der Wiener Journalistin Hannah Herbst haben sie die Firma TRZ Media gegründet, die große, investigative Geschichten in Podcast-Serien umsetzen will. Als Starttermin nennen sie das Ende des Jahres. Dahinter wird es ein großes Team für Recherche und fürs Texten geben, verrät Robin Drömer im Interview mit M erstmals Details: „Podcasting im non-fiction-Bereich ist ein Teamsport. Da braucht es ein großes Team, wenn man eine große Recherche stemmen will.“

Auf dem Absprung zur ernsten Mediengattung

Podcast scheint auf dem Absprung zu einer ernsthaften Mediengattung zu sein. Die Kosten für ein Rechercheteam schrecken Drömer nicht: „Da ist Geld zu verdienen. Das ist die Hoffnung. Formate im Storytelling-Bereich, wie wir sie anstreben, sind relativ aufwändig. Sie sind Zeit-, Ressourcen-, Personalintensiv. Das kostet was und wir hoffen, das gegenfinanzieren zu können.“ Das Team denkt auch darüber nach, sagt Hannah Herbst, deutsche Geschichten für den englischsprachigen Raum umzusetzen und somit die mögliche Reichweite für aufwändige Podcast drastisch zu erhöhen.

Aber auch der deutsche Markt ist nicht zu vernachlässigen. In den großen Medien-Nutzungsbefragungen sagen etwa ein Viertel der Deutschen, dass sie mindestens einmal in der Woche einen Podcast hören. Seit jetzt zwei Jahren ist Saruul Krause-Jentsch beim Musikgiganten Spotify zuständig für eine neue Audiogattung: Podcast. Sie betreut die deutsch- und englischsprachigen Länder in Europa auf einer Position, die gab es zuvor bei dem auf Musikhits ausgerichteten Audio-Dienstleister noch gar nicht. Interessanter Weise war Jan Böhmermann mit seinem Fest und Flauschig Talk mit Olli Schulz vor sechs Jahren weltweit der erste Podcast zwischen Millionen von Musiktiteln. In Berlin behauptete Böhmermann scherzhaft, die Tage der oft als „Laber-Podcasts“ verspotteten Talkformate ohne aufwändige Recherche und Themenaufbereitung seien gezählt.

Auch die Spotify-Managerin Krause-Jentsch meint in der Branche eine Phase der Kommerzialisierung und damit Professionalisierung zu erkennen: „Wir tragen unseren Part bei, was man hier sieht und das ist ernst zu nehmen. Und ich sehe auch, dass überall ganz viel Investitionen stattfinden, wie bei der ARD Mediathek.“ Spotify selbst ist bereits nach zwei Jahren zu einem der größten Anbieter von redaktionell gestalteten Podcastformaten aufgestiegen. Bisher gibt es 55 deutschsprachige Podcasts, die teils mit regelmäßigen Veröffentlichungen fortgesetzt werden oder abgeschlossene Reihen sind. In Berlin kündigte sie für dieses Jahr zwei neue große Produktionen an.

Mehr Produktionsfirmen beteiligt

Das Audiounternehmen will aber in Deutschland nicht selbst produzieren. Die Herstellung liegt in den Händen einer Reihe von Studios und Einzelproduzenten, die von der Konzeption, über die Recherchen, die Autorenleistungen bis zur Produktion quasi alles außer Haus leisten. Hier hat sich bereits eine richtige Szene gebildet, die bislang überwiegend im Raum Berlin sitzt. Eine Menge neuer Jobs sind entstanden, auch für Journalist*innen.

Maria Lorenz-Bockelberg hat die Firma Poolartists gegründet und beschäftigt bereits eine ganze Reihe von festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie freien Autorinnen und Autoren. Mitunter holt sie sich zusätzlich Hilfe für die Tonproduktion. Dort sieht sie weiterhin einen Bedarf: „Es ist gut, Leute zu haben, die gut Geschichten erzählen können oder auch reden können. Und natürlich Leute, die gut schneiden können.“ Mit schnell im Kinderzimmer oder Wohnküche produzierten Talks hat das nicht mehr viel zu tun. Denn um sich durchzusetzen, braucht man Top- Qualität, sagt die Produzentin: „Das muss am Ende alles gut klingen, damit die Hörerinnen und Hörer am Ende Spaß haben, das zu hören.“

Ein weiterer Teil der Produktionen kommt aus anderen Medienhäusern, die zum Teil selbst veröffentlichen oder exklusiv bei Spotify, so Saruul Krause-Jentsch: „Wir arbeiten sehr eng mit klassischen Medien zusammen. Wir haben im letzten Jahr mit der Süddeutschen Zeitung erfolgreiche Formate rausgebracht und wir arbeiten auch weiterhin mit der SZ zusammen, wie jetzt neu bei Geschichte Daily“. Neben Spotify versuchen auch andere große Anbieter sich als Abspielplattformen zu etablieren. Ganz groß wollte zum Beispiel ProSiebenSat.1 mit ihrer App FYEO seit April 2020 den Markt erobern. Auch dort wurden zahlreiche Qualitätsprodukte wie Podcasts und Hörsüpiele in Kooperation mit anderen Medienhäusern produziert. Doch bereits vor einem Jahr wurde die App wieder eingestellt. Daneben gibt es noch eine Handvoll anderer Audioplattformen, zum Teil mit engen Verbindungen zu den klassischen Medienhäusern.

Spotify will weiterhin mit anderen Medienhäusern zusammenarbeiten und auch mit öffentlich-rechtlichen Funkhäusern, beteuert Krause-Jentsch: „Und da setzen wir auf die Kredibilität der Medien und der journalistischen Qualität, die wir bei Partnern finden.“ In Berlin stellte Spotify zudem mit „Batman“ auch die erste große Fiction Reihe vor, die altmodisch wohl bislang als Hörspiel bezeichnet worden wäre. Tatsächlich ist das aufwändige und mitreißende Sound-Design dabei auf eine neue Stufe gestellt worden. Solche Produktionen stoßen nun auf einen Markt der Hörbücher, die bislang überwiegend in der Hand der klassischen Verlage sind. Immerhin hörten einer Umfrage bei de.statistica.com im Jahr 2021 in der deutschsprachigen Bevölkerung Personen ab 14 Jahren rund 2,52 Millionen Personen mehrmals in der Woche in der Freizeit Hörbücher oder Hörspiele.

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