Streichkonzert

WAZ: Noch mehr Stellenabbau – weniger Lokalredaktionen

60 Arbeitsplätze mehr als bislang angekündigt will die WAZ-Mediengruppe bei ihren vier Zeitungstiteln in NRW abbauen. Statt 272 von etwa 900 Beschäftigten sollen nun 289 Redakteurinnen und Redakteure und 41 kaufmännische Angestellte, also insgesamt 330 Beschäftigte ihren Job verlieren. Mehr Redaktionen, als zunächst geplant, sollen geschlossen werden.

Auf einer Pressekonferenz in Dortmund haben die Betriebsräte der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung/WAZ), Neue Ruhr/ Neue Rhein Zeitung (NRZ), Westfälische Rundschau (WR) und Westfalenpost (WP) die Pläne der Geschäftsführung und der Chefredakteure kritisiert und als „Streichkonzert ohne inhaltliches Konzept“ bezeichnet. Eigene Konzepte der Betriebsräte seien nur in „homöopathischen Dosen“ in das „reine Sparkonzept“ der Unternehmensberatung eingeflossen. Da allein 214 Stellen in den Lokalredaktionen abgebaut werden sollen, müssten viele Redaktionen demnächst unterbesetzt arbeiten. Dadurch sei die Qualität der Berichterstattung gefährdet. Dem Lokaljournalismus drohe ein „Tod auf Raten“. Dabei liege die Zukunft der Zeitungen gerade im Lokalen.
Die acht Betriebsräte beklagten auch den „nie wieder rückholbaren Verlust von Meinungsvielfalt“, der durch Redaktionsschließungen entstehe. Auch in ihrem Haus seien „die Verleger gegangen und die Kaufleute gekommen“, so dass ernüchternde Fazit der Betriebsräte nach einem mehrmonatigen Verhandlungsmarathon.
Ein Teil des Sparkonzepts besteht aus der Schließung oder Zusammenlegung dutzender Lokalredaktionen, z.B. im Siegener- und Sauerland. Das erste Opfer ist die vierköpfige Lokalredaktion der WR in Meschede. Die Rundschau erscheint dort seit Anfang März mit dem Lokalteil der Westfalenpost. Die Redakteure haben entweder den Verlag verlassen oder werden anderweitig eingesetzt. Beschlossen ist auch das Ende der WR-Lokalredakionen in Bad Berleburg und Olpe. Die Siegener Redaktion wird von bisher 10 Redakteuren auf eine Minimallösung mit vier Redakteuren zurückgefahren. Fünf Redaktionen im Märkischen Kreis werden zentral zu einer Regio-Redaktion zusammengefasst, die bisherigen Redaktionen in Unna, Kamen, Lünen, Schwerte in den Dortmunder Newsdesk integriert. Nur etwa die Hälfte der Stellen bei der WR bleibt erhalten.

Lokale Vielfalt vorgetäuscht

Der andere Teil des Personalabbaus soll durch das sogenannte Branden, also durch blattspezialisierte Übernahme und Anmutung eines bereits vorhandenen Lokalteils erreicht werden. So wird sich die NRZ nicht nur fast komplett aus der Landeshauptstadt Düsseldorf zurückziehen, sie wird in der Kulturhauptstadt 2010 Essen z.B. zukünftig den Essener WAZ-Lokalteil branden, mit einer von 11 auf 4 Redakteure drastisch reduzierten Besetzung. Analog wird die WR in Hagen und Arnsberg den Lokalteil der WP bearbeiten. „Mogelpackungen“ nennt diese Art von Lokalausgaben der Dortmunder ver.di-Sekretär Norbert Szepan, da den Lesern nur noch eine lokale Vielfalt vorgetäuscht wird, die de facto nicht mehr vorhanden sei.
Der zentrale Contentdesk für die WAZ, die WR und die NRZ wird in Essen unter dem Dach der WAZ entstehen. 83 Redakteure werden dort unter der Leitung des Chefredakteurs Ulrich Reitz arbeiten. Acht regionale Produktionsdesks übernehmen für die noch verbleibenden Lokalredaktionen das Layout und die Seitenproduktion.
Die Hagener Westfalenpost soll als Sondermodell einer Heimatzeitung für Südwestfalen fortgeführt werden. Statt 156 werden zukünftig nur noch 105 Redakteure für diesen Titel arbeiten, der die Lokalredaktionen in Soest und Werl (was den Mitbewerber Soester Anzeiger aus der Ippen-Gruppe freuen dürfte), Warstein, Siegen, Ennepe-Süd und Wetter/Herdecke aufgibt.
Wie viele Beschäftigte Abfindungen erhalten oder Angebote zur Altersteilzeit oder Teilzeit angenommen haben, darüber liegen dem Verlag noch keine genauen Zahlen vor. Betriebsräte haben in einigen Redaktionen eine regelrechte „Abbruchstimmung“ registriert. Bis Ende Februar zahlte der Verlag Mitarbeitern, die zur sofortigen freiwilligen Aufgabe ihres Arbeitspatzes bereit waren, eine „Sprint-Prämie“, bei der es auf die normale Abfindung noch einmal 60 Prozent obendrauf gab. Die Arbeitnehmervertreter sind nach wie vor optimistisch, dass auch der noch mal erweiterte Personalabbau sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen abläuft. Zufrieden sind sie mit den Konditionen, die mit der Geschäftsführung für Abfindungs- und Vorruhestandsregelungen ausgehandelt werden konnten. Über ein neuartiges Konzept für die bislang 55 festangestellten Fotografen bei der WAZ und bei der NRZ werden derzeit noch Gespräche geführt. Die Bild-/Textredakteure sollen mit Besitzstandwahrung in die New Media-Gesellschaft (Der Westen) ausgegliedert werden. Profitieren wird von der Umstrukturierung nur das nicht tarifgebundene Online-Portal derwesten.de, das um zwanzig Stellen aufgestockt wird.
Nennenswerte Proteste gegen die geplanten Redaktionsschließungen und den massiven Personalabbau hat es bislang nicht gegeben. Lediglich in Herne hatten etwa 80 Menschen am 13. Februar, aufgerufen von ver.di und DGB, für den Erhalt der WAZ-Redaktionen in Herne und Wanne-Eickel demonstriert. Unter dem Motto: „Stoppt die Walze“ gab es am 7. März auf dem Marktplatz von Soest eine Protestkundgebung. Bei der Demonstration durch die Stadt wurde für jede gestrichene Stelle ein Luftballon steigen gelassen. Der Unmut der Betroffenen und der Leser artikuliert sich vor allem in dem Gewerkschaftsblog www.medienmoral-nrw.de. Dort finden sich zahlreiche Artikel und Kommentare sowie Protestschreiben an die Gruppengeschäftsführer Bodo Hombach und Christian Nienhaus.
 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

KI-Lösungen: Heise macht es selbst

Das Medienhaus „Heise Medien“ hat kürzlich das auf generative Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Medienhaus „Deep Content“ (digitale Magazine „Mixed“ und „The Decoder“) aus Leipzig gekauft. Damit will Heise die Zukunft generativer KI mitgestalten. „Deep Content“ entwickelte mit „DC I/O“ ein professionelles KI-gestütztes Workflow-Framework für Content-Teams und Redaktionen. Bereits seit Juni dieses Jahres kooperiert Heise mit „Deep Content“ bei der Produktion des Podcasts „KI-Update“. Hinter der Übernahme steckt die Idee, den neuen Markt weiter zu erschließen und hohe Gewinne einzufahren.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »