SWMH: Der Kahlschlag der Knauser

So sieht es wirklich aus im Foyer des Pressehauses: "Die Herberge der Demokratie" ist mit Flatterband eingehegt.
Foto: Jens Volle

Sparplan erfüllt: Die Redaktion der „Stuttgarter Zeitung“ (StZ) und der „Stuttgarter Nachrichten“ (StN) verliert fast ein Viertel ihrer Leute, darunter den Leiter des Berliner Büros. Der Kompetenzverlust ist dramatisch. Auch beim Flaggschiff „Süddeutsche Zeitung“ gehen die Leute von Bord. Für den Konzern Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) ist das bedrohlich, für die Kundschaft ebenso.

Bastian ist der Obermayer mit y, Frederik Obermaier der mit dem i. Zusammen sind sie das derzeit bekannteste und erfolgreichste Enthüllerpaar im deutschsprachigen Raum. ADAC-Skandal, Panama Papers, Ibiza-Skandal, Pulitzerpreis – viel mehr Trophäen gehen eigentlich nicht. Bastian, 44, Typ Rucksack, ist der Ältere, Frederik, 37, Typ Aktentasche, der Ernstere. Zumindest hier im Innsbrucker Haus der Musik, wo sie im Rahmen eines dreitägigen Journalist:innenkongresses über ihre Arbeit berichten.

Der Obermayer Bastian kann das hervorragend. Er erzählt von seinen Anfängen, vom Gemeinderat im Würmtal, wohin ihn der „Münchner Merkur“ geschickt hat, vom Politikstudium, wo er die „Button-down“-BWL-Jungs verächtlich angeschaut und später beneidet hat, weil sie gelernt haben, was er später mühsam lernen musste: Wirtschaft. „Am Ende“, sagt er, „ist es immer das Geld“. Ob kleine oder große Sauerei. Die vielen jungen Leute im Saal, es mögen 400 sein, klatschen lange Beifall und nehmen die Botschaft mit, investigativer Journalismus sei einfach ein „geiler Job“.

Bis vor kurzem haben sie ihn für die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) gemacht. Das ist vorbei. Sie arbeiten jetzt für den „Spiegel“, der ihnen so ziemlich alle Freiheiten einräumt, die man in dieser Branche haben kann, inklusive einer eigenen Firma, die sich um investigative Recherche kümmert. Weiterhin in München, aber nicht mehr am SZ-Sitz in der Hultschiner Straße, wo der Deutschlandfunk eine frustrierte Redaktion vorgefunden hat.

„Grauenvoll“ sei die Stimmung, zitiert der Sender Beschäftigte, schlecht wie nie, eine Spitzenkraft nach der anderen verlasse das Haus. Jüngster Fall ist Nico Fried, Leiter der Parlamentsredaktion in Berlin, der zum „Stern“ wechselt. Angelastet wird der Aderlass den „Knausern vor dem Herrn“, sprich den schwäbisch-pfälzischen Eigentümern des Verlags, die blattprägende Autor:innen locker ziehen lassen, wenn sie ihren Businessplan gefährdet sehen.

Die Rede ist von der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), die über die SZ und eine Vielzahl von Regionalzeitungen herrscht – mit einem eisernen Sparprogramm und ohne publizistischen Kompass. Es sei denn, die Klickzahl ginge als solcher durch. Man darf annehmen, dass Obermayer und Obermaier diese Ignoranz nicht verborgen geblieben ist.

Büroleiter Ziedler geht, Kolleg*innen sind fassungslos

In Stuttgart ist sie mit Händen zu greifen. In der vergangenen Woche, am Mittwoch, den 11. Mai, konnten Verlag und Chefredaktion der SWMH-Blätter „Stuttgarter Zeitung“ (StZ) und „Stuttgarter Nachrichten“ (StN) in einer Betriebsversammlung Vollzug melden. „Das Ziel wurde erreicht“, teilt der Verlag auf Kontext-Anfrage mit. Im Rahmen des sogenannten Freiwilligenprogramms sind 37 Stellen gestrichen, rund 50 Redakteur*innen, sprich fast ein Viertel der Belegschaft, sind damit demnächst raus, 5,7 Millionen Euro jährlich eingespart, die vierte Sparrunde innerhalb von sechs Jahren ist erfolgreich bestanden. Nicht eingepreist sind die Einschläge in Esslingen und Cannstatt, da kommen noch ein paar mehr dazu. Die Belegschaft ist empört, es fällt das Wort „Drecksarbeit“, die zu leisten sie gezwungen werde, StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs ist auch empört, der Betriebsrat beklagt einen „dramatischen Verlust an Kompetenz“.

 

Das ist in der Tat richtig. Prominentestes Beispiel ist Christopher Ziedler, Jahrgang 1973, Leiter des Berliner Büros von StZN, das auch die „Badische Zeitung“, „Südwestpresse“ und „Heilbronner Stimme“ beliefert. Sein Publikum dürfte also die Million übersteigen. Chris ist ein Kind der „Stuttgarter Zeitung“, hat dort 2001 volontiert, wurde 2010 Korrespondent in Brüssel und 2016 Chef in der Hauptstadt. Ein richtiger Schaffer. Er habe, sagen Polit-Kolleg*innen, einen „fantastischen Job“ gemacht – und sich am Schluss mit der Frage gequält, wo er und seine Leute eigentlich noch stattfinden? Sein Abgang lässt sie fassungslos zurück. Vor seiner Kündigung hat es niemand in der Chefredaktion für nötig befunden, mit ihm zu reden.

 

Wie berichtet, soll es ab November keine Ressorts mehr geben, nur noch Thementeams, die sich um „Liebe und Partnerschaft“ und „Freizeit und Unterhaltung“ kümmern sollen, aber auch um „Entscheider und Institutionen“, die für Politikberichte, lokal bis global, vorgemerkt sind. Das erschien Ziedler nun doch etwas zu undefiniert. Er selbst will sich dazu nicht äußern.

Sein Beispiel steht für viele, die jetzt gehen. Einer von ihnen, Marko Schumacher, ein reflektierter Sportredakteur, Jahrgang 1971, Vater dreier Kinder, hat es vorgezogen, am Cannstatter Daimlerplatz eine Kneipe („Gottlieb“) aufzumachen. Andere haben einen Platz im Kultusministerium, im Schwaikheimer Rathaus, beim „Spiegel“ (Christine Keck) gefunden oder planen, Autos nach Kenia zu überführen. Im Lokalen, in der Wirtschaft und in der Kultur gehen Leistungsträger*innen in die vorgezogene Rente. Wer bleibt und sich Kirche, Religion und Papst widmen will, ist heimatlos. Sakrales ist als Thementeam nicht vorgesehen.

Die weltexklusiven Ideen sollen vom Weinkenner sein

Die Erfinder der weltexklusiven Redaktionsstruktur – es heißt, es sei insbesondere Holger Gayer, der ehemalige Lokalchef und Weinkenner aus Lauffen – wird die umfängliche Demission nicht an ihrer Mission hindern. Zumal sie auch noch in scheinbar hehrer Absicht geschieht, ausweislich der Präambel im Handout für die Belegschaft, die mit der berechtigten Frage „Warum“ überschrieben ist. Also warum machen wir das alles? Antwort: Weil wir die Gesellschaft in ihrer „Vielstimmigkeit“ abbilden, Missstände aufdecken und für die „Meinungsbildung“ in Stuttgart, der Region und dem Land „unverzichtbar“ sind.

Das klingt gut, hinterlässt aber große Zweifel bei denen, die abbilden und aufdecken sollen. „Malen nach Zahlen“, berichtet ein Kollege aus den unzähligen Arbeitsgruppen, in denen sie Vorgegebenes brav nachvollziehen sollen, während die Gaukler der Mitbestimmung um sie sind. Aus diesem Kontext stammt auch der Begriff der „Drecksarbeit“, die bei StZ-Dorfs eine ungewohnt heftige Aufwallung hervorrief.

Nun lösen „historische Umwälzungen“ (SWMH-Sprech) bei den einen Hoffnungen aus, was auf Digitalchefin Swantje Dake zutreffen könnte, weil ihr die Reduktion von Komplexität im Netz besonders gelungen erscheint. Die 43-Jährige hat die Deutungshoheit in Möhringen, streng nach dem Motto: Online-Erfolg braucht Online-Texte, kurz und schmerzvoll, ohne Online kein Erfolg, das Gedruckte hat keine Zukunft mehr. StZ online vom 12. Mai 2022: „In U7 onaniert und mit heruntergelassener Hose geflüchtet“. Bei den anderen kommen eher Ängste, zumindest Sorgen hoch, dass ein ständig erregter Boulevard ihr Job nicht ist.

Die Beletage hat die Belegschaft längst verloren

Das kann Konflikte erzeugen, die gelöst werden müssen. Dafür ist die Change&Transformation-Managerin Franziska Jörg angestellt, vorher Hugo Boss, aus deren Instrumentenkasten wohl auch die beiden „Vertrauensredakteur*innen“ stammen, die sich demnächst bei der Chefredaktion bewerben können. Sie sollen Streitfälle moderieren, bei der Karriere beraten und Bewerbungsverfahren abwickeln. Das entlastet das leitende Personal und ärgert die Arbeitnehmervertretung, die bereits von „Handlangern der Chefredaktion“ spricht. Hinter das Geheimnis, warum die ohnehin üppig ausgestattete Führungsriege jetzt weitere Zurhandgeher*innen kriegt, ist sie noch nicht gekommen.

Ein Grund ist die Symmetrie der Charaktereigenschaften an der Spitze von Verlag und Chefredaktionen. Manager hier, Manager dort, Empathiefähigkeit gegen Null, Ansprüche materieller Art hoch, Belegschaft längst verloren, weil sie ihnen kein wertzuschätzender Faktor ist. Fragt eine Frau, die Jahrzehnte für den Laden gearbeitet hat, ob sie ihren Arbeitsplatz behalten kann? Antwortet die Personalerin: Ja, solange es ihn gibt. Und nun glaubt die Beletage, sie könnte die Menschen mit Profis aus dem teuer bezahlten Partizipationsmanagement zurückholen.

Aber Schnapsideen wie diese, und nichts anderes ist dieser hilflose Aktionismus, werden durch Beteiligung nicht besser, die Protagonist*innen in ihrer Parallelwelt auch nicht. Unverdrossen behaupten sie, die Qualität ihrer Produkte bliebe unverändert hoch, sie seien auf dem richtigen Weg, die Bedürfnisse des Publikums seien nach wie vor das Maß aller Dinge. Dass Geschäftsführer Herbert Dachs nebenbei noch verrät, man erwäge, den Betonklotz an der Plieninger Straße 150 zu verkaufen, verstärkt den Eindruck, dass Autosuggestion das Gebot der Stunde ist, und den Blick vernebelt, wenn andere Glaubensbrüder abtrünnig werden.

Hätte Dachs mal das Interview seines Bosses Christian Wegner gelesen, das der jüngst der Deutschen Presseagentur gegeben hat: Der SWMH-CEO sagt ganz cool, er werde schauen, wie sich der „innovative Ansatz“ in Stuttgart entwickle. Für die SZ sei er aber „kein Thema“, jeder Geschäftsbereich innerhalb des Konzerns sei „unternehmerisch eigenverantwortlich“, eine Quersubventionierung gebe es nicht. Von einer 100-prozentigen Unterstützung, die Dachs bei Wegner zu erkennen glaubt, ist das meilenweit entfernt – und der Verantwortliche, im Falle des (erwartbaren) Scheiterns, schnell identifiziert.

So lange wollen die verbliebenen Redakteur*innen im Pressehaus nicht tatenlos zusehen. Bei den Betriebsratswahlen am 19. Mai kandidieren für das neun-köpfige Gremium 28 Personen. Soviel wie nie.

Dieser Artikel ist am 18. Mai 2022 in der Kontext:Wochenzeitung erschienen: Südwestdeutsche Medienholding: Der Kahlschlag der Knauser – Ausgabe 581 (kontextwochenzeitung.de)

 

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