Mitarbeiter bei Suhrkamp fühlen sich außen vor gelassen
Jetzt ist es spruchreif: Der Suhrkamp-Verlag zieht von Frankfurt am Main nach Berlin um. 85 Prozent der Mitarbeiter finden das gar nicht hipp. ver.di fordert, eine gleichberechtigte Dependance in der Bankenmetropole zu belassen.
Die Öffentlichkeit hatte es noch vor den rund 150 Mitarbeitern erfahren: Suhrkamp, der alte Frankfurter Traditionsverlag, eng verknüpft mit der kritischen Theorie der Soziologen und Philosophen der Frankfurter Schule von Theodor W. Adorno bis Max Horkheimer, zieht nach Berlin um. Neues Domizil soll das Nikolai-Haus in Berlin Mitte werden, in Frankfurt will der Verlag nur eine Dependance behalten, verlautbart die Verlagsgeschäftsleitung. Volker Koehnen, zuständiger Gewerkschafter von ver.di, kritisiert, dass die Geschäftsleitung ihre Mitarbeiter in die Entscheidung über den Umzug in die Bundeshauptstadt überhaupt nicht einbezogen hat. Als „endlose und ätzende Hängepartie, völlig intransparent gestaltet“ schildert Koehnen den Entscheidungsprozess gegenüber Menschen Machen Medien. Die Unlust auf einen Umzug an die Spree ist bei den Verlagsangestellten dementsprechend ausgeprägt: Mitarbeiter kleben überall in Frankfurt rot durchgestrichene Berlin-Ortsschilder. 85 Prozent hatten sich bei einer Umfrage des Betriebsrats gegen den Abzug aus der Mainmetropole ausgesprochen. „Ihre Kinder gehen in Frankfurt zur Schule oder sie pflegen ihre Eltern in der Stadt“, kommentiert Koehnen. „Jetzt sollen sie ihr privates Umfeld von heute auf morgen aufgeben“. Er befürchtet, dass die Verlagsleitung die Umstrukturierung nutzen könnte, personell auszudünnen. Konservative Kommentatoren sprechen dazu bereits Klartext: „Mit dem Umzug kann Suhrkamp Geld sparen. Denn nur die Hochmotivierten werden vom Main an die Spree wechseln.“, bejubelt Hans-Peter Siebenhaar vom Handelsblatt den aus seiner Sicht geschickten Schachzug. Sein Fazit: „Umzüge sind für Verlage durchaus von Vorteil, denn dadurch wird in schwierigen Zeiten relativ schnell Personal abgebaut“.
Im Gegensatz zu derart abgebrühten alten Medienhasen geben sich berühmte Stammautoren des Verlags deutlich verstimmt. Der Schweizer Suhrkamp-Autor Adolf Muschg verübelt der Verlegerwitwe Ulla Unseld-Berkéwicz den auf diese Weise beschlossenen Umzug derart, dass er aus Protest seinen Wechsel zum Verlag C. H. Beck verkündete. Der Verlag habe „immer enorm von seiner inneren Unerschrockenheit gelebt“, sagte er gegenüber dem Hamburger Abendblatt: Die Unabhängigkeit der Mitarbeiter sei verloren gegangen.
ver.di-Gewerkschafter Koehnen drängt darauf, dass in Frankfurt am Main zumindest eine gleichberechtigte Dependance bleiben muss. Wenn es sein muss, werde man entsprechenden Druck aufbauen – die Beschäftigten stünden wie eine Eins. Die Geschäftsleitung wollte hierzu keine Stellung nehmen, weil sie sich mit dem Betriebsrat in Verhandlungen zum Sozialplan befindet: Stillschweigen sei vereinbart. Ihr sei jedoch eine Mahnung der beiden großen Aufklärer der Frankfurter Schule Adorno und Horkheimer mit auf den Weg gegeben, die Suhrkamp berühmt machten: „Die Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie die Macht ausüben“. Koehnen formuliert das so: „Jeder, der sich mit Unternehmenskultur auskennt, weiß, wie wichtig es ist, Mitarbeiter in wichtige Überlegungen einzubeziehen“. Er hegt Zweifel, ob es beim bevorstehenden Umzug wirklich nur darum geht, „Berliner Luft zu schnuppern, weil die Stadt an der Spree als Kulturstandort so hipp ist“. Bei derartigen Riesenprojekten spielten gemeinhin neoliberale Gesichtspunkte eine Rolle, gibt Koehnen zu bedenken. Interessant sei etwa, ob eine Veränderung des Verlagsprogramms anstehe.