Schon wenn für jede_n Beschäftigte_n nur acht Quadratmeter Büroraum gedacht sind, könne die Ankündigung der DuMont Mediengruppe, dass beim geplanten Umzug des Berliner Verlages vom Alexanderplatz in den Kreuzberger Feratti-Neubau alle Bereiche und alle 650 Beschäftigten mitgenommen werden, nicht zutreffen. Das hat der Betriebsrat vergangene Woche auf Teilbetriebsversammlungen von „Berliner Kurier“ und „Berliner Zeitung“ vorgerechnet. Platz wäre an neuen Standort gerade mal für 400 Beschäftigte. Den Widerspruch habe die Geschäftsführung bislang nicht aufgeklärt, beklagen die Interessenvertreter. Doch auch so könne man sich „drei und drei zusammenrechnen“.
Mit der kürzlichen Ankündigung von DuMont, dass die Mediengruppe Berliner Verlag zum Januar 2017 in ein neues Unternehmensgebäude in der Alten Jakobstraße umzieht, zeichnen sich Konzernüberlegungen zur Reorganisation der Geschäftsprozesse am Berliner Standort klar ab. Der Betriebsrat des Berliner Verlages hat mit dem Büroflächen-Rechenexempel nicht nur für betriebliche Aufmerksamkeit gesorgt, sondern deutlich gemacht, dass es hier nicht bloß um einen Umzug geht. Die geplante „Optimierung von Prozessen und Workflows“ bezieht sich auf innere und auch äußere Einflussfaktoren. Sie zu analysieren und Schlüsse daraus zu ziehen, muss man kein Prophet sein.
Äußere Prozesse, außerhalb der einzelnen Verlage
Die äußeren Prozesse umfassen zum einen die Marktprozesse, kurz zu beschreiben durch sinkende Anzeigeneinnahmen und nur gering steigende Vertriebseinnahmen sowie digitale Umsätze, die die Umsatzrückgänge nicht kompensieren. Zum äußeren Rahmen gehörte bisher auch die Konkurrenzsituation der drei Zeitungsgruppen „Berliner Morgenpost“ (Funke Mediengruppe), „Der Tagesspiegel“ (Dieter von Holtzbrinck Medien) und Berliner Verlag (DuMont Mediengruppe). Alle drei schrieben 2015 rote Zahlen, wobei der Berliner Verlag mit den kolportierten rund 3 Mio. € Verlust 2015 noch die beste finanzielle Ausgangslage haben dürfte.
Die gegenseitige Konkurrenz kostete allen drei Verlagen bisher viel Geld. Unter den veränderten Rahmenbedingungen höherer Anzeigenrückgänge und der konkurrierenden Medienprodukte zu Print wird eine örtliche Konsolidierung betrieben. Die drei Häuser sprechen seit längerem über ihre Zusammenarbeit in Berlin. Inzwischen ist klar, dass eine bevorstehende Änderung des Kartellrechts mit der 9. GWB-Novelle solche Vereinbarungen erleichtern wird. Die Bundeskanzlerin spricht dabei von „Kooperationen unterhalb der redaktionellen Zusammenarbeit“. Die Redaktionen werden eigenständig bleiben, vielmehr dürfte es vor allem im Verlagsbereich – mit dem bisherigen Gesetz zur Wettbewerbsbeschränkung (GWB) war das nicht möglich – zu Veränderungen und neuen Formen der Zusammenarbeit kommen. Vor dem Hintergrund dieser politischen Ansage sind die drei Verlage weiter im Gespräch und in der Planung neuer Strukturen. Konturen zeichnen sich bereits ab: Man soll einen weiteren strategischen Partner für die Zustellung der Abo-Zeitungen gefunden haben. Bisher werden diese über das gemeinsame Zustellunternehmen BZV – Berliner Zustell- und Vertriebsgesellschaft für Druckerzeugnisse mbH – vertrieben, an der alle zu einem Drittel beteiligt sind. Künftig dürfte es einen vierten Partner geben, vermutlich kein Verlags-, sondern ein Logistik-Unternehmen. Dadurch könnten sich weitere Umsatzfelder auftun.
Score Media im Bereich der überregionalen Vermarktung der Regionalzeitungen; der Einzelverkauf mehrerer Regionalzeitungsgruppen durch Axel Springer; die Übernahme der OMS durch Ströer in der überregionalen Online-Vermarktung – solche und andere Entwicklungen verweisen darauf, dass die drei Großen in der Hauptstadt ihre Beziehungen neu vermessen haben. Daraus dürften sich neben Verkauf-Kauf, Kooperation und Fremdvergabe auch weitreichende, allgemeine Folgen für die Arbeitnehmer_innen ergeben. Das sollte unmittelbar klar werden, wenn die detaillierten Pläne verkündet werden.
Innere Prozesse, die Herausforderungen in den einzelnen Unternehmen
Nach innen, also mit Blick auf den Berliner Verlag, sind die Ziele der „Optimierung“ zwar inhaltlich ersichtlich, ihr Umfang jedoch ist noch offen. Zum einen wird jetzt ein Projekt zur Optimierung der redaktionellen Prozesse und Workflows für die „Berliner Zeitung“, den „Berliner Kurier“ und die Onlineaktivitäten gestartet. Die jüngste DuMont-Erklärung, dass die im neuen Gebäude zu verteilende Fläche noch von den Ergebnissen dieses Redaktionsprojekts abhänge, deutet darauf hin, dass man letztlich mit weniger Stellen in die Alte Jakobstraße einziehen wird. Zum anderen ist mit erheblichen Veränderungen im Verlagsbereich zu rechnen: Eine IT-Abteilung wird es, zumindest in dem bisherigem Umfang, in Berlin eher nicht mehr geben. Das bisher von der IT (DuMont Systems in Berlin) betreute Anzeigensystem wird voraussichtlich 2017 abgeschafft und das gesamte technische Angebot über das Gutenberg-Rechenzentrum von Madsack in Hannover laufen. Das Vertriebssystem des Berliner Verlages wurde bisher schon extern angeboten, wird aber künftig auch über Madsack organisiert. Die Fremdvergabe des neuen Verlagssystems (Anzeigen und Vertrieb) als gruppenweiter Prozess bei DuMont dürfte dazu führen, dass bestehende Prozesse an Standards “angepasst” werden. Das Gesamtprojekt der technischen Erneuerung ist so konzipiert, dass nur Mindeststandards, aber keine Sonderlösungen für die einzelnen Standorte gesetzt werden. Abläufe werden sich so verändern, dass weniger Personal benötigt wird. Im Bereich der Anzeigenproduktion ist es Ziel, mit dem neuen Verlagssystem die zentrale Erfassung in Halle/S. (DuMont Media Service) auszuweiten, auch um endlich von Synergien zu profitieren. Damit dürfte die bisherige Anzeigenproduktion in Berlin (DuMont Media in Berlin) Teil der „Optimierung“ sein, unabhängig von möglichen Verlagskooperationen der drei hauptstädtischen Tageszeitungen.
Wachsen will DuMont im Callcenter-Bereich und in der Logistik. Momentan ist das Berliner Fremdkundengeschäft bei DuMont Process angesiedelt. Man muss davon ausgehen, dass dieses Geschäftsfeld weiter eigenständig betrieben wird und nicht Bestandteil der Kooperationsgespräche ist. Die Callcenter-Dienstleistung in Berlin für die eigenen DuMont-Titel „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“ kann Gegenstand der Verhandlungen sein, man könnte aber auch auf einen Konsolidierungsgewinn aus sein. Wie immer am Ende das Konstrukt in diesem Wachstumsbereich aussehen wird – als Teil der BZV oder einer anderen Firma – es wird im personellen und technischen Bereich auch im Callcenter von DuMont in Berlin zu Veränderungen kommen.
Im Bereich der Zustellung des Einzelverkaufs über die Grossisten ist jetzt klar, dass neben der Berliner Verlagstitel auch die „Berliner Morgenpost“ ab Januar 2017 über eine Axel Springer-Tochter vertrieben wird. Der regionale Anzeigenverkauf (Print und Online) der drei Verlage wird weiter in Konkurrenz betrieben, aber im Überregionalen sind sie alle Mitgesellschafter bei Score Media. Auch hier muss man mit weiterer Konzentration rechnen.
Die entscheidende Gestaltungsgröße der drei Tageszeitungsunternehmen für ihre Zukunft wird in der Content-Strategie liegen. Was da konzipiert wird, betrifft die künftigen Kosten der Redaktionen – deshalb auch das Optimierungsprojekt bei „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“. Was den Stellenwert redaktioneller Inhalte betrifft, folgen alle drei hauptstädtischen Verlagsgruppen der gleichen Grundausrichtung. Im Bereich der Produktstrategie ist die Funke Mediengruppe durch ihre Unternehmensorganisation gegenüber DuMont in Berlin jedoch im Vorteil.
Und was passiert praktisch?
Voraussichtlich werden die drei Gruppen mit Blick auf die Gespräche mit dem Bundeswirtschaftsministerium ihre konkrete Planung in Ruhe weiter durchstrukturieren. Heute noch offene Punkte werden weitere Richtungsentscheidungen in diesen Fragen beeinflussen. Doch vermutlich sind, wenn der Entwurf der GWB-Novelle vorliegt, alle Punkte schon so reif ausgestaltet, dass man sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes sofort umsetzen könnte. Da die 9. GWB-Novelle bereits in den kommenden Wochen Thema im Kabinett ist und im Sommer in Bundestag und Bundesrat eingebracht werden dürfte, erscheint eine Umsetzung spätestens ab Oktober diesen Jahres realistisch.
Die Erfordernisse auf Beschäftigtenseite kann man vor den beschriebenen Szenarien einfach formulieren: Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften müssen sich darüber austauschen, was auf sie zukommt. Sie müssen entscheiden, ob sie bis zum Herbst 2016 warten wollen oder sich bereits vorher formieren. Am Ende ist alles ganz praktisch: ver.di mischt sich mit einer realistischen Zielsetzung in die GWB-Novelle ein und bringt ihre Gestaltungskraft vor allem betrieblich ein. Dass dort die Betriebsräte und Beschäftigten aktiv werden, davon muss man ausgehen.