Weg aus Berlin

Sat.1 zieht nach München – nicht alle Mitarbeiter werden dabei sein

„Sat.1 ist Berlin“ skandierten an die 300 Sat.1-Beschäftigte am 13. November auf einer Kundgebung auf dem Berliner Hausvogteiplatz. Sie protestierten gegen das wenige Stunden zuvor vom ProSieben.Sat.1-Vorstand bekannt gegebene Aus für den Sat.1-Standort Berlin. ver.di und der DJV haben den Vorstand von ProSiebenSat.1 zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Eine erste Runde fand am 10. Dezember statt.

Auf der kurzfristig einberufenen Betriebsversammlung waren die Vorstandsmitglieder Andreas Bartl, Axel Salzmann sowie die Sat.1-Chefs Matthias Albert und Torsten Rossmann von der aufgebrachten Belegschaft ausgepfiffen und ausgebuht worden. „Vorstand und Management haben für uns jede Glaubwürdigkeit eingebüßt“, sagt Betriebsrätin Cordula Bauermeister.
Was bislang nur Gerücht war (vgl. M11/08), liegt jetzt als Konzernentscheidung auf dem Tisch. Bis Ende Juni 2009 soll der denkmalgeschützte Standort an der Jägerstraße aufgegeben werden. 350 Mitarbeitern macht der Konzernvorstand das Angebot, nach München-Unterföhring zu wechseln. Konzernweit sollen 225 Stellen bei der Pro7.Sat.1-Holding und der sendereigenen Produktionsfirma PSP wegfallen. In Berlin bleiben rund 450 Mitarbeiter: die Zentralredaktion – sie liefert Beiträge für das Frühstücks-TV und das Sat.1Magazin, einige Produktionsmitarbeiter sowie der kürzlich zum Potsdamer Platz umgezogene Nachrichtensender N24.
Uwe Theuerkauff, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der ProSiebenSat.1 Media AG am Standort Berlin, macht Konzernleitung und die seit zwei Jahren agierenden neuen Eigentümer KKR und Permira für die dramatische Entwicklung verantwortlich. Das Hauptproblem sei „die Gewinngier der Heuschrecken“. Man habe „viel zu hohe Renditeerwartungen aufgestellt, um sich die Taschen voll zu stopfen“. Weder Weltwirtschaftskrise noch Werbekrise seien hauptsächlich für die entstandene Situation verantwortlich. Die meisten Probleme seien vielmehr hausgemacht und einfach auf Fehlentscheidungen der Verantwortlichen im Aufsichtsrat und im Vorstand zurückzuführen. Wie zum Beispiel die schuldenfinanzierte Übernahme der europäischen Sendergruppe SBS oder das vor Jahresfrist missglückte Modell zur Werbezeitenvermarktung.
Der Umzugsbeschluss könnte sich als besonders perfide Methode des Personalabbaus erweisen. Wer aus persönlichen Gründen nicht mit nach München kann, dürfte bestenfalls eine Abfindung erhalten und wird ansonsten arbeitslos. Die Geschäftsleitung erwartet von einer Zusammenführung der Sender Pro Sieben, Kabel 1 und Sat.1 in München viel. „Durch den täglichen Austausch von Ideen“, so formuliert zumindest German-Free-TV-Vorstand Andreas Bartl, „durch eine vernetzte Nutzung der Programmressourcen, Teamgeist und eine gemeinsame Vision“ werde man „das enorme Potential der Senderfamilie voll entfalten“. Bei den Sat.1-Kollegen sieht man diese „Vision“ eines „Content-Powerhouse“ eher skeptisch. Die Poollösung, so prognostiziert Betriebrätin Cordula Bauermeister, werde zu einer „Verminderung des Senderprofils“ sowie zum „Verlust von Motivation, Kreativität und Engagement“ der Mitarbeiter von Sat.1 führen.
ver.di und der DJV fordern deshalb in den Tarifverhandlungen die geplanten Umstrukturierungen bis zum 30. Juni 2009 mit einem Moratorium zu belegen. Die Arbeitsplätze am Standort Berlin sollen erhalten bleiben. Für die betroffenen Arbeitnehmer soll es eine Beschäftigungsgarantie für mindestens fünf Jahre geben. Zudem soll für den Fall der Verlagerungen von Arbeitsplätzen ein Sozialtarifvertrag vereinbart werden, in dem die möglichen Folgen materiell ausgeglichen werden.

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