Weg zur „innovativen Morgenröte“

Versagen der Medienpolitik – Zusammenarbeit mit den Unternehmen eingefordert

„Medienlandschaft im Umbruch“ – das „Medienforum 2002“ Mitte September in Berlin als Teil der „Internationalen Medienwoche Berlin-Brandenburg“ war vor allem ein Krisengipfel der gebeutelten Radio- und TV-Branche.

Ganz vorn an der Klagemauer stehen die privaten Hörfunkveranstalter Deutschlands. Sie fordern eine Liberalisierung der rechtlichen Bestimmungen für überregionale Kooperationen. „Wir werden nur in Vorhaben investieren, für die es klare Rahmenbedingungen gibt und von deren Erfolg wir überzeugt sind“, sagte Kai Fischer, Geschäftsführer von Hit Radio Antenne / Hit Radio Brocken bei der Debatte über „Die Zukunft des Radios“. Die „goldenen Umsatzzeiten des Hörfunks“, so Fischer, seien „trotz der herausragenden Wettbewerbsfähigkeit des Mediums gegenüber den anderen Werbeträgern auf lange Sicht vorbei“. Die meisten Sender hätten seit dem Beginn des Jahres 2001 bis heute Umsatzrückgänge von 20 bis 30 Prozent zu verkraften. Selbst die Pioniersender der frühen Privatfunkära der achtziger Jahre schrieben vielfach bereits rote Zahlen. Zwar werde der lokale und regionale Markt weiterhin das Hauptaktionsfeld der Sender bleiben. Doch müssten den privaten Hörfunkveranstaltern „künftig auch länderübergreifend deutlich mehr Freiheiten für die programmliche Zusammenarbeit eingeräumt werden“. Medienpolitisch müsse die „Sicherung vorhandener regionaler Programmangebote Vorrang vor dem Marktzutritt neuer Anbieter in den jeweiligen regionalen Märkten“ haben. Die regional unterschiedlich ausgelegten Werbeverbote müssten in den Bundesländern ebenso fallen wie die vorhandenen Beteiligungsbeschränkungen. Umgekehrt wünschen sich die Privatsender eine Beschränkung öffentlich-rechtlicher Radiowerbung: und zwar recht rigide auf die hörerschwachen Tageszeiten nach 18 Uhr abends, so eine Forderung von Carsten Neitzel, Geschäftsführer des Berliner Marktführers r.s.2.

Der ehemalige Radio-Luxemburg-Direktor Bernt von zur Mühlen, heute geschäftsführender Gesellschafter der Luxemburger moreUneed GmbH, appellierte an die Radiomanager, „von der Autoindustrie zu lernen“. Für ihn liegt die Zukunft des Mediums in der Anwendung industrieller Fertigungsmethoden. „Taylorisierung, Outsourcing, rationalisierte Workflows“ zeigten den Weg zur „innovativen Morgenröte“ der darbenden Branche. Dazu gehöre auch eine umfangreiche Zulieferindustrie ausgelagerter Spezialistenfirmen. „Der Musikberater wird zum Musiklieferant, der Off-air Berater wird zum Lieferant von standardisierten Promotions, der On-air-Spezialist wird zum Kleinteilelieferant in seinem Sektor“, sagte von zur Mühlen. Ob der Hörer bei diesem seelenlosen Baukastenkonzept mitmachen wird? Für den Radiomanager keine Frage. Alles, was auch „outgesourct“ angeliefert werden könne, werde in den nächsten zwei Jahren auf den Prüfstand gestellt. Die Radio-Beschäftigten müssen sich offenbar warm anziehen.

Unter dem Titel „Werbevermarktung und Programmvielfalt im Hörfunkmarkt Berlin-Brandenburg“ stellte Johannes Kors, stellvertretender Geschäftsführer der BLM München, eine Untersuchung des wettbewerbsintensivsten regionalen Radiomarkts Deutschlands vor. Die von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) in Auftrag gegebene Studie sollte klären, inwieweit Vermarktungskooperationen von Radiosendern Einflüsse auf deren Programmgestaltung haben. Kors kommt zwar zu dem Schluss, es sei aufgrund der schlechten Marktlage „für die Erfüllung der medienpolitischen Wettbewerbsziele wichtiger, das bestehende Programmangebot im Markt zu festigen, als den Marktzutritt neuer Anbieter zu forcieren“. Zugleich empfiehlt er jedoch, die Genehmigung entsprechender Kooperationsvereinbarungen vom Hörer- und Werbemarktanteil der einzelnen Sender abhängig zu machen zwecks Eindämmung der Konzentrationstendenzen. Als problematisch gelten ihm etwa Kooperationen auf regionalen Radiomärkten, bei denen die beteiligten Sender einen Hörermarktanteil von mindestens 25 und höchstens 35 Prozent erreichen. Diese Werte entsprechen nach seinen Berechnungen einem Werbemarktanteil von 35 bis 49 Prozent. Dieses Hörermarktanteilmodell, so Kors, könne ein geeignetes „Prognoseinstrument zur Verhinderung der Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung im Hörfunk“ sein.

Die Scherben falscher Prognose

Für die gegenwärtige Wirtschaftskrise ist nach Auffassung von Lutz Hachmeister, geschäftsführender Gesellschafter von HMR International, die „nicht substantiierte oder vielleicht auch gar nicht vorhandene Medienpolitik in Deutschland“ maßgeblich mitverantwortlich. Der Bereich Medien und Telekommunikation sei „politisch untersteuert“, sagte Hachmeister beim Diskussionsforum „Fernsehen im Umbruch“. Alle Entscheidungsträger hätten an einen „infiniten Aufschwung“ der Medien- und Telekommunikationswirtschaft geglaubt, obwohl dies „ein Gewerbe wie alle anderen auch in einem zyklischen kapitalistischen System“ sei. Die Medienpolitik habe diesen Glauben „lange Zeit befeuert“, sich selbst und die Branche „besoffen geredet“ und stehe nun vor den Scherben dieser falschen Prognose. „Die Fettschmelze nach der Internet-Hysterie beendet jetzt jedenfalls einen langjährigen Honeymoon zwischen Medienindustrie und der ihr nachgeordneten Medienpolitik“, sagte Hachmeister. Allzu leichtfertig sei grenzenloses Wachstum unterstellt worden. Dagegen sei die Regulierung der Rahmenbedingungen „abgesehen von kleinteiligen Fragen des Jugendschutzes oder Regionalfenster in Vollprogrammen“ zu kurz gekommen. Bezeichnend: Gerade einmal eines der fünf führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten beschäftige sich – „und dieses nur marginal“ – mit Medien- und Kommunikationsfragen, obgleich diese Industrie von der Politik als die „Leitindustrie“ des 21. Jahrhunderts definiert worden sei. Eine prognosefähige Datenstruktur, die die „These des unbegrenzten Aufstiegs der Medien- und Telekommunikationsindustrie zur postindustriellen Schlüsselbranche“ belegt hätte, habe es niemals gegeben. Der häufig mit den Unternehmen verflochtene Wirtschaftsjournalismus sei „ebenso leichtfertig wie desinformiert auf der Welle der Euphorie geritten“. Er sei Teil eines „Elitenkomplexes“ gewesen, „der miteinander in die Geisterbahn gestiegen ist und dann irgendwann am Ausgang angekommen ist, wo das grelle Licht strahlte“.

Im TV-Bereich hätte eine realistische Medienpolitik sehen müssen, dass sich irgendwann eine Sättigung des Marktes abgezeichnet habe. Die Sender seien im Gegenteil von den Landespolitikern „geradezu dazu gezwungen“ worden, sich am Ausbau von Studiokapazitäten zu beteiligen, „um bestimmte Lizenzen zu erzielen“. Die im Fernsehmarkt erreichten Ergebnisse seien sowohl publizistisch als auch ökonomisch „enttäuschend“. Einem breiten, aber undifferenzierten Free-TV-Angebot stehe eine wenig interessante Pay-TV-Offerte gegenüber. Die Situation werde noch dadurch verschärft, dass in der TV-Produktion „demnächst kaum noch unabhängige Unternehmen“ agieren würden. Die Trennung von Programm und Produktion sei aber eines der wesentlichsten Erfolgrezepte für eine erfolgreiche audiovisuelle Industrie. Nur so sei eine „lebensfähige Struktur von klein- und mittelständischen Unternehmen“ zu erreichen. In der Konsequenz würden in Deutschland „viel zu wenig publizistische Formate im Fernsehbereich entwickelt, die international reüssieren können“.

Länder wie NRW hätten Standortpolitik immer „als eine Art medienpolitische Heilslehre begriffen“, „nach dem Motto: Wir bauen da etwas hin, dann machen wir die anderen platt und dann kommen alle zu uns“. Dieser „konfrontative Medienföderalismus“ habe ausgedient. Die Ansiedlung von kreativem Potential habe mit einer Vielzahl von Faktoren zu tun. In NRW sei es etwa in 20 Jahren nicht gelungen, eine Filmhochschule zu errichten. Zudem sei die deutsche Medienpolitik lange „sehr konzernverliebt“ gewesen. Man habe auf die Managementkompetenz in den Medienunternehmen vertraut. In diesem Bereich herrsche aber eine „Unterdeckung an Personal“.

Hachmeister forderte die Errichtung einer zwischen Bund und Ländern kooperierten Forschungsinstitution im Medienbereich, die als verlässliches Prognoseinstrument fungieren könne. Die Trennung von Programm und Produktion müsse zur Leitlinie im Film- und TV-Bereich erhoben werden. Die Sender müssten verpflichtet werden, in einem jährlichen Produzentenbericht Rechenschaft über ihre Auftragspolitik zu geben. Nach dem „Teil-Zusammenbruch des deutschen Fernsehmarkts“ müsse geprüft werden, ob es noch „genügend Mitspieler“ gebe, die noch nicht in den Markt eingetreten seien oder noch mal „aktive Player“ werden könnten. Auch sei ein funktionierendes Pay-TV-System zur Etablierung hochrangiger Strukturen in der TV-Produktion nötig. Es müsse zudem überlegt werden, „ob etablierte Spartensender wie 3sat oder Phoenix nicht privatisiert werden“ sollten. Auf diese Weise könne „neue Energie und Kreativität in den Markt“ kommen. Analog zur Entwicklung beim britischen Channel 4 könne das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit Minderheitsanteilen und Programmzulieferungen weiter beteiligt bleiben. Eine „gemeinsame Initiative von Unternehmen und Medienpolitik“ solle die Medienentwicklung in ihrer ökonomischen und publizistischen Entwicklung einschätzen. So könne künftig verhindert werden, dass die Branche „gemeinsam blind in die Krise torkelt“.

 

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