Als das ganze Land stillstand, kam auch die Filmproduktion zum Erliegen. Zum Teil konnten die Dreharbeiten nun wieder aufgenommen werden, allerdings unter verschärften Hygienebedingungen. Doch in der Film- und Fernsehbranche herrscht weiter Unsicherheit. Sie bezieht sich vor allem auf die Zukunft, und sie betrifft ausnahmslos alle: Sender, Produktionsfirmen, Autor*innen, Schauspieler*innen – und auch die vielen Mitarbeiter*innen, die nie genannt werden.
Während sich Shows und Ratesendungen vergleichsweise problemlos auch unter Hygiene-Auflagen herstellen lassen, sieht das bei fiktionaler Unterhaltung ganz anders aus. Ein Kuss lässt sich nun mal nicht mit der Abstandsregel vereinbaren. Die Produktion von Studioserien wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (RTL) oder „In aller Freundschaft“ (ARD) war jedoch nur kurz unterbrochen. Dort haben externe Sicherheitsspezialisten Arbeitsschutz- und Hygienepakete speziell für Dreharbeiten konzipiert. Zusätzlich eingestellte Desinfektions- und Sicherheitsfachkräfte sowie Hygienebeauftragte achten darauf, dass die Vorgaben eingehalten werden.
Aktuell stattfindende Drehbuchentwicklungen, Kalkulationsgespräche und Vertragsverhandlungen sollen gewährleisten, dass die Dreharbeiten auch anderswo umgehend wieder aufgenommen werden können. Um den Neustart reibungslos zu gestalten, sollen die Produktionszeiträume möglichst variabel gehalten werden. Das wiederum ist äußerst schwierig, denn für Filme und Serien müssen große Teams aus freien Mitarbeiter*innen zusammenkommen. Die wichtigste Frage ist zudem: Müssen die Beteiligten die Zeit der Dreharbeiten in Quarantäne verbringen?
Ein ähnlich großes Problem wie die latente Bedrohung durch das Virus ist laut Johannes Züll, Vorsitzender der Geschäftsführung der Studio Hamburg Gruppe, eine fehlende Versicherung: „Viele Produktionen können erst begonnen werden, wenn eine Bankbürgschaft vorliegt. Banken wiederum geben nur dann Bürgschaften, wenn die Produktionen versichert sind. Aber gegen einen Corona-bedingten Drehstopp oder gar Abbruch kann man sich derzeit nicht versichern.“ Regisseur Stephan Wagner, der viele seiner Filme selbst produziert, beklagt daher: „Es gibt keinen Ausfallfonds für Filmproduktionen, deren Dreharbeiten trotz penibler Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen einen infektionsbedingten Shutdown erleiden.“
Für Regisseur Kilian Riedhof („Homevideo“) steht und fällt mit dieser Frage gar die Zukunft des deutschen Films. Er verlangt „ein rasches Bekenntnis der Politik und der Fernsehsender in Form eines Rettungsschirms als Ersatz für den ausbleibenden Filmversicherungsschutz. Ohne diesen Schutz werden viele kleinere und mittlere Produzenten sehr schnell vom Markt verschwinden, wichtige Filme nicht stattfinden und wir einen beträchtlichen Teil kultureller Reflektion verlieren.“ Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat der Filmbranche zwar 120 Millionen Euro zugesichert, aber wie die Summe verteilt werden soll, steht in den Sternen. In der Vergangenheit waren die einzelnen Fachverbände schon bei deutlich einfacheren Themen nicht in der Lage, Einigung zu erzielen.
Immerhin haben die Sender schon früh durch Worte und Taten gezeigt, dass sie die Produzenten „nicht im Regen stehen lassen“, wie es Florian Kumb, Leiter der ZDF-Hauptabteilung Programmplanung, formuliert: „Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um die Zusammenarbeit mit allen Produktionsfirmen fortzusetzen. Wir haben keine einzige Produktion abgesagt.“ Die Mainzer hätten als erster Sender „beschlossen und verkündet“, die Hälfte der durch die Corona-Krise entstandenen nachgewiesenen Mehrkosten zu übernehmen.
Das war noch in Phase eins der Pandemie. Diese Phase sei laut Wagner „von Schockstarre und kurzfristigen Maßnahmen zur Schadensbegrenzung“ geprägt gewesen. Nun befinde sich die Branche in Phase zwei. Er will daher wissen, unter welchen Bedingungen eine Filmproduktion wieder stattfinden könne und wer die unvermeidlichen Mehrkosten übernehmen werde: „Nur, weil uns ein Virus weltweit fest im Griff hält, stehen den Filmproduktionen ja keine höhere Budgets zur Verfügung.“ Sibylle Tafel, die zuletzt für die ARD-Tochter Degeto die Filmreihe „Toni, männlich, „Hebamme“ inszeniert hat und als Koautorin an den Drehbüchern beteiligt war, schildert, wie Dreharbeiten unter Corona-Bedingungen aussehen werden: „Man wird möglichst viel im Studio oder auf Privatgelände drehen, weil der Zugang zum öffentlichen Raum stark eingeschränkt ist. Catering darf quasi nicht stattfinden, weil man da ja zusammenstehen könnte.“ Sie sieht das größte Problem in der Abstandsregel, denn dadurch werde alles sehr viel länger dauern: „Die Technik des hochkonzentrierten Arbeitens, das sich in unserer Branche durchsetzen musste, um die ständige Drehtagekürzung abzufangen, ist derzeit einfach nicht möglich.“ Die Auftraggeber werden ihrer Ansicht nach die übliche Anzahl an Drehtagen kalkulieren, „Corona wird dann extra verhandelt. Man geht wohl davon aus, dass die Mehrkosten zwischen Sender und Produktion geteilt werden. Ich bin gespannt, wie eine kleine Produktionsfirma das leisten soll.“
Die Regisseurin ist ohnehin überzeugt, „dass das massiv gedrosselte Arbeitstempo Qualität kosten wird. Die Sender werden sagen: ‚Ihr schafft das auch unter den neuen Bedingungen. Hauptsache, es kostet nicht mehr’.“ Als Autorin macht sie sich außerdem Gedanken darüber, ob sie wirklich ältere Figuren in die Drehbücher schreiben soll. Tatsächlich sind Rollen für ältere Schauspieler*innen bereits in einigen Produktionen gestrichen worden. Davon abgesehen erinnert sie an Kolleginnen und Kollegen, die es sich nicht leisten könnten, ein gesundheitliches Risiko einzugehen: „Erwerbstätige Eltern mit Kindern müssen genau abwägen, wer jetzt an die Front geht, solange Kitas und Schulen keinen Regelbetrieb haben. Das ist alles sehr schlimm, weil die Einkünfte fehlen und die Menschen in existenzielle Nöte geraten sind.“ Regiekollege Miguel Alexandre („Starfighter“) wäre sogar eher bereit, „auf einen Drehtag zu verzichten, um etwaige Mehrkosten teilweise aufzufangen, als die gesamte inhaltliche Umsetzung einem Virus zu unterwerfen.“ Er hofft, dass Corona die Gesellschaft zu mehr Solidarität animiere: „Wir Menschen sind keine ‚Inseln’, sondern Teil einer Gemeinschaft. Das wird sich auch auf die Geschichten auswirken, die wir in nächster Zukunft erzählen. Das Modell des Einzelgängers, der nach individuellem Erfolg strebt und diesem Ziel alles unterordnet, hat erstmal ausgedient. Wir werden Geschichten sehen wollen, in denen humanistische Werte eine zentrale Rolle spielen.“