Absurde Vorwürfe gegen Dreyeckland

Meinung

In Freiburg ist am Dienstag Radio Dreyeckland Opfer von Razzien und Beschlagnahmungen geworden, weil es in einem Online-Artikel aus dem Juli vergangenen Jahres, das offen zugängliche Internet-Archiv von Indymedia Linksunten verlinkt hatte. Die Medien-Plattform war im Jahr 2017 mit Hilfe des Vereinsrechts verboten worden. Beides schränkt die Pressefreiheit auf skandalöse Weise ein.

Ralf Hutter Foto: Privat

Das Online-Magazin Indymedia Linksunten wurde verboten, weil dessen bis heute unbekannten Macher*innen als impliziter Verein bezeichnet wurden. Presserechtlich hätte zuerst die Löschung von inkriminierten Artikeln verlangt werden müssen. Mit dem Vereinsrecht kann gegen jegliche Menschengruppe vorgegangen werden – seine Ausweitung auf Medienschaffende ist eine permanente Bedrohung für kritischen Journalismus. Auch der Mesopotamien-Verlag wurde mittlerweile auf dieser Grundlage verboten, offenbar ohne stichhaltige Beweise. Doch die nötige Empörung bleibt weiterhin aus. Welches Innenministerium, welche Staatsanwaltschaft soll sich angesichts des geringen medialen Stellenwerts künftig noch davor scheuen, gegen unliebsamen Journalismus Repressalien in Gang zu setzen?

Die Durchsuchungen vom Dienstag führen die Absurdität des Falles Indymedia Linksunten vor. Im Durchsuchungsbeschluss für die Redaktionsräume des Radios steht, so eine Maßnahme sei auch wegen presserechtlich geschützter Artikel möglich, „wenn die Information der Öffentlichkeit über Propagandatexte verbotener Vereinigungen nur ein Vorwand ist, um in Wahrheit die mit den Texten angestrebte propagandistische Wirkung für die Vereinigung zu erzielen“. Der im besagten Artikel gesetzte Link zu einem Archiv von Indymedia Linksunten bezieht sich aber nicht auf Vereinstexte mit propagandistischer Wirkung, denn der verbotene „Verein“ war ein Medium. Von den Tausenden dort erschienenen Texten waren laut Durchsuchungsbeschluss 27 vom Bundesinnenministerium kritisiert und als Grundlage für das Verbot genommen worden. Unklar ist laut Durchsuchungsbeschluß, ob der verbotene „Verein“ diese 27 Texte selbst verfasst hat. Grundsätzlich besteht das Konzept Indymedia ja gerade darin, eine Veröffentlichungsplattform für andere Menschen bereitzustellen.

Da gegen Indymedia Linksunten nie presserechtlich vorgegangen wurde, sind die Artikel an sich auch nicht verboten. Verboten ist nur der sogenannte Verein. Der existiert aber nicht mehr. Es erscheinen keine Artikel mehr.

So fällt das Konstrukt der aktuellen Durchsuchungen zusammen: Unterstützt werde ein inexistenter „Verein“, indem indirekt (der Link führte zu einem ganzen Archiv) „propagandistische“ Texte verlinkt würden, die aber gar nicht von diesem „Verein“ stammen. Sowas kommt raus, wenn ein presserechtlich geschütztes Medium als „Verein“ verboten wird.

Ein zusätzlicher Skandal ist, dass laut Durchsuchungsbeschluss eigentlich die gesamte Computerinfrastruktur des Senders mitgenommen werden sollte (was laut Redaktion „in letzter Minute verhindert“ wurde, anders als in der Wohnung eines Radioredakteurs). Dieser von der unterzeichnenden Amtsrichterin selbst benannte „Eingriff in das Grundrecht der Pressefreiheit“ habe den Zweck, „die Hintergründe der Veröffentlichung des Artikels aufzuklären“. Völlig unklar bleibt, was das für Hintergründe sein sollen. Hoffte die Justiz, ein Besprechungsprotokoll zu finden, laut dem der Genosse Soundso beauftragt wird, einen Artikel bei Radio Dreyeckland zu schreiben, der die Sache von Indymedia Linksunten voranbringt? Dergleichen zu finden ist, gelinde gesagt, unrealistisch, und zwar umso mehr, als der Sender seit August über das laufende Ermittlungsverfahren gegen ihn informiert war. Überhaupt haben die Ermittlungen gegen den konstruierten Verein bisher nichts erbracht, zum Teil waren sie sogar illegal. Der beängstigende Umgang mit der Pressefreiheit steigert sich nun in blanken Unsinn. In einem Land, in dem die Presse sich gegen staatliche Übergriffe kollektiv zur Wehr setzt, passiert so etwas nicht.

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