Mit Perspektiven gegen soziale Spaltung

Portrait Bärbel Röben

Bärbel Röben, freie Journalistin Foto: Jan-Timo Schaube

Die Berichterstattung über den Nahostkrieg zwischen Staatsräson und Menschenrechten ist heikel, denn die Verengung des Diskurses begünstigen einen Vertrauensverlust der Medien und die soziale Spaltung in Deutschland. Beides wird durch den politischen Rechtsruck befeuert. Grund genug, den medialen Diskurs genauer unter die Lupe zu nehmen.

„Das Vertrauen in die deutsche Berichterstattung zum aktuellen Nahost-Krieg ist gering. Viele Menschen empfinden sie als unausgewogen zu Gunsten Israels“, stellte das NDR-Medienmagazin ZAPP nach einer Umfrage im Juli dieses Jahres fest. Das Thema polarisiert und die Vertrauenskrise ist eingebettet in eine allgemeine Skepsis, die sich auch bei der Information über den Krieg in der Ukraine zeigt. Die Ergebnisse der Umfrage gleichen denen von 2014, als 63 Prozent der Deutschen wenig oder gar kein Vertrauen in die Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien hatten.

Kritik an der Nahost-Berichterstattung gibt es auch unter Medienschaffenden. „Viele Journalisten und Wissenschaftler, finden, dass man diese Einseitigkeit von Medien und Politik in Deutschland nicht erwartet und lange nicht so erlebt hat“, sagte Kai Hafez, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Uni Erfurt. Es gebe „Hemmungen in der Kollegenschaft, sich zu dieser Frage zu äußern, weil man schnell in den Antisemitismusverdacht gerät“. Auch ich habe erlebt, dass sich Kolleg*innen bei öffentlichen Äußerungen vor Anfeindungen oder Karriereknick fürchten.

Unmittelbar nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 dominierte durch das „Staatsräson“-Framing eine eingeschränkte Perspektivenvielfalt in der Berichterstattung. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson erklärt. „Für viele Deutsche ist der Israel-Palästina-Konflikt eine Art Verlängerung der Frage um deutsche Verantwortung für das jüdische Volk“, findet der Nahostwissenschaftler Tom K. Würdemann von der Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien. Darauf gründe die historische deutsche Israel-Solidarität. Problematisch werde es, wenn statt einer friedlichen Lösung für Israelis und Palästinenser*innen die Erlösung von der deutschen Vergangenheit im Zentrum stehe, meint er mit Hinweis auf ein Video vom Oktober 2023, das von Focus-Journalist Jan Fleischhauer geteilt wurde und in Deutschland auf große Resonanz stieß. Darin werde gesagt, die Hamas sei brutaler als die SS, „weil die SS wenigstens noch so etwas wie ein schlechtes Gewissen beim Holocaust empfunden hätte“.

Auch nach einem Jahr ist der Diskurs immer noch sehr national gerahmt. Ein Grund ist der Rechtsruck beim Umgang mit der Erinnerungskultur, durch den die Shoa und andere Naziverbrechen verharmlost werden. Ein weiterer Grund liegt in der deutschen Migrationspolitik, die von der rechtsextremen, islamfeindlichen AfD ganz oben auf die politische Agenda gehievt wurde und sich nun auf eine Abschottung gegenüber Geflüchteten konzentriert. Betroffen sind davon vor allem islamische Migrant*innen, die unter dem Generalverdacht stehen, Antisemitismus zu importieren (wie Terrorismus oder Frauenunterdrückung). Es werde „zu wenig erkannt, dass die AfD das Feindbild Islam zentral bedient“, so Hafez in einem Qantara-Interview im Juni.

Für eine freie und ausgewogene Berichterstattung

Das hat Einfluss auf die Berichterstattung. Die meisten arabischen Palästineser*innen sind Muslime und ihre Stimmen seien unterrepräsentiert, wird besonders in Sozialen Medien kritisiert. ZAPP  hat das an Talkshows zum Nahostkrieg überprüft. Seitens der ARD wurden dreimal so viele israelische wie palästinensische Gäste eingeladen, während das Verhältnis im ZDF ausgewogen war.

Auch aufgrund intensiver Beziehungen zu Israel ist der Quellenzugang für die Kriegsberichterstattung  unsymmetrisch. Allein die ARD hat fünf Korrespondent*innen in ihrem Büro in Tel Aviv. Für Gaza ist die Einreise nur „embedded“ mit der israelischen Armee erlaubt. Deshalb forderten deutsche Medien Mitte September in einem Offenen Brief die Regierungen von Israel und Ägypten auf, Journalist*innen ungehinderten Zugang zum Gazastreifen zu gewähren. Ende September hätten fast 300 Medienschaffende den Brief unterzeichnet, konstatierte das  Magazin Jacobin und attestierte deutschen Medien eine inzwischen kritischere Berichterstattung: „Nicht alle setzen Israelkritik dem Antisemitismus gleich.“

Vielleicht gelänge den öffentlich-rechtlichen Medien dann auch eine Art Friedensjournalimus, der – so Hafez – ,„legitimen Positionen“ im Nahostkonflikt Raum und Stimme gibt. Er konkretisiert: „Ich würde Rechtsextreme in der israelischen Regierung ausschließen, genauso wie die Hamas. Alle anderen Akteure aber, ob in Israel, Palästina oder in Deutschland, die das Existenzrecht des anderen grundsätzlich anerkennen, müssen Gehör finden. Es gelte, „nicht mehr nur über Tote und Getötete zu berichten, sondern perspektivisch Lösungsansätze zu debattieren.“

Logik der Gewalt durchbrechen

Und das geht nur durch historisch fundiertes gegenseitiges Verständnis. Dafür plädiert auch Stephan Detjen, Chefkorrespondent des Deutschlandradios in Berlin. In seiner Rezension von „Der Hundertjährige Krieg um Palästina“ des Historikers Rashid Khalidi betont er, die Wahrnehmung palästinensischer Perspektiven sei eine der Voraussetzungen für den Ausstieg aus der Logik der Gewalt. Nur so könne man die „Genese des Konflikts und unterschiedliche Erfahrungen daraus besser verstehen“. Das sei besonders wichtig für den inneren Frieden in Deutschland als Heimat der größten palästinensischen Diaspora in Europa, „um die verhärteten Blockaden und Perspektivverengungen im Diskurs über den Nahostkonflikt zu lockern und damit die Voraussetzung für einen schwierigen, aber notwendigen Dialog zu schaffen.“

Meines Erachtens sollte diese Perspektivenvielfalt für Journalist*innen mit medienethischem Kompass eine Verpflichtung sein, denn in Zeiten rechtsextremer Polarisierungen und Hetze kann man nur so Kurs auf Demokratie und Menschenrechte halten.

 

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