Meinung
In Russland wurden Mitte Juli zwei westliche Journalist*innen aufgrund fingierter Anschuldigungen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Westliche Regierungen werden nun einen zynischen Deal mit dem Kreml eingehen müssen, um Evan Gershkovich und Alsu Kurmasheva freizubekommen. Doch gleichzeitig sollten sie klar machen, dass sie Putins „Verständnis“ von Journalismus nicht teilen.
Wer sich anhörte, was die russischen Richter vergangene Woche aussprachen, fühlte sich fast in die Stalin-Zeit zurückversetzt: 16 Jahre soll Evan Gershkovich laut dem Urteil des Gerichts in Jekaterinenburg in ein Straflager, wegen angeblicher Spionage für den US-Nachrichtendienst CIA. Dabei hatte der Korrespondent des amerikanischen „Wall Street Journal“ nur seinen Job als Journalist gemacht und war in die Stadt am Ural gereist, um zu den russischen Wagner-Söldnern und zur Rüstungsindustrie zu recherchieren – beides zentral in Russlands Krieg gegen die Ukraine.
Um die Inszenierung vom 18. Juli perfekt zu machen, wurde zeitgleich in Kasan das Urteil gegen Alsu Kurmasheva gesprochen. Die russisch-amerikanische Journalistin, die für Radio Free Europe/Radio Liberty arbeitet, soll sechseinhalb Jahre in Haft, weil sie angeblich „Falschinformationen“ über die russische Armee verbreitet haben soll, wobei das Gericht selbst in seinem Urteil nicht klar benennt, was es der Journalistin konkret vorwirft. Aber klar ist: „Falschinformationen“, das ist in Russland alles, das nicht dem offiziellen Narrativ der „militärischen Spezialoperation“ entspricht, wie der Kreml den Krieg gegen die Ukraine offiziell nennt.
Mehrjährige Haftstrafen für fingierte Tatbestände zeigen, dass die Urteile gegen Gershkovich und Kurmasheva nur eine Farce sind. In einem demokratischen Rechtsstaat hätten Richter *innen nie ein solches Urteil gegen Journalist*innen gesprochen, Staatsanwält*innen überhaupt nicht Klage auf fingierten Anschuldigungen erhoben, ja letztlich gebe es kein Gesetz, das journalistische Arbeit kriminalisieren würde. Doch Putins Russland ist schon lange kein Rechtsstaat mehr – war es eigentlich nie gewesen.
Putin braucht Geiseln, um seine Mörder freizupressen
Die Urteile gegen Gershkovich und Kurmasheva sind nur politisch zu verstehen. Putin braucht neue westliche Geiseln, die er gegen Auftragsmörder des Kreml tauschen kann, die von westlichen Gerichten in ordentlichen Strafverfahren zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Da ist etwa Wadim Krassikow, der 2019 im Kleinen Tiergarten in Berlin den georgisch-tschetschenischen Rebellenkommandeur Selimchan Changoschwili erschoss und dafür zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde.
Ja westliche Regierungen müssen nun alles tun, damit Gershkovich und Kurmasheva frei kommen. Umso bitterer ist es, dass sie sich dafür auf einen schmutzigen Deal mit Putin einlassen müssen. Zwei Journalisten, die über ein Jahr ihres Lebens grundlos eingesperrt wurden, kommen hoffentlich frei, doch gleichzeitig kommt ein verurteilter Mörder straffrei davon. Doch angesichts dessen, dass erst der Tod Alexej Nawalnys wieder gezeigt hat, wie gefährlich die Lage in russischen Straflagern ist, gibt es keine besseren Optionen, um Gershkovich und Kurmasheva zu helfen.
Insbesondere Kurmasheva hat es schwer: Weil sie – anders als Gershkovich – auch russische Staatsbürgerin ist, haben die US-Behörden keinen konsularischen Zugang zu ihr. Es ist allerdings anzunehmen, dass sie die russische Regierung sehr schnell zur Amerikanerin machen wird, wenn sie ein attraktives „Angebot“ der Gegenseite hat.
Auch westliche Korrespondent*innen können nicht mehr frei berichten
Was bei diesen Geopolitik-Deals schnell vergessen wird ist die symbolische Wirkung der Urteile gegen Gershkovich und Kurmasheva: Nachdem es unabhängige russische Medien schon lange nicht mehr gibt und viele russische Journalist*innen entweder im Gefängnis sitzen oder ins Exil gehen mussten, geht es nun auch gegen die Auslandskorrespondent*innen, die bisher trotz immer stärkerer Schikanen noch relativ frei berichten konnten. Dass schon die Verhaftung Gershkovichs abschreckende Wirkung zeigt, macht sich daran bemerkbar, dass sich seitdem kein aus Russland berichtender Kollege mehr an wirklich kritische Themen wie die Rüstungsindustrie gewagt hat.
Doch nur mit einem Mikrofon am Ufer der Moskwa zu stehen und Kreml-Astrologie zu betreiben, hat nicht wirklich etwas mit unabhängigen Journalismus zu tun. Das wissen die Kolleg*innen in Moskau selbst und auch die Redaktionen, die sie entsendet haben. Und es wird nochmal die Debatten anheizen, ob man unter einer solchen Drohkulisse einer Verhaftung und Verurteilung weiter unabhängig aus Russland arbeiten kann.
Westliche Regierungen werden nun auf Putins zynische Machtspielchen eingehen müssen, um Gershkovich und Kurmasheva frei zu bekommen. Gleichzeitig sollten sie sehr klar zeigen, dass sie Putins „Verständnis“ von Journalismus nicht teilen und die unabhängige Berichterstattung über Russland stärken. Etwa durch Unterstützung russischer Exil-Journalist*innen mit Geld und unbürokratischen humanitären Visas. Sodass es irgendwann keine krummen Deals mit dem Kreml-Diktator mehr geben muss.