Zum Tod des Kreml-Kritikers Nawalny

Tina Groll, Redakteurin bei Zeit Online und Vorsitzende des Bundesvorstandes der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Foto: Stephanie von Becker

Die Nachricht ist auch für viele Medienschaffende ein Schock: Der russische Oppositionelle und Putin-Gegner Alexej Nawalny ist offenbar tot. Das teilte die Gefängnisverwaltung der nördlichen Region Jamalo-Nenez am Freitag mit, wie auch die staatliche Agentur Tass meldete. Die Todesursache werde derzeit ermittelt. Eine Bestätigung seines Teams gab es zunächst nicht.

Meinung

Nicht nur der russische Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow bezeichnete den Tod Nawalnys als „Mord“. Er sei der Ansicht, dass die Haftbedingungen zu Nawalnys Ableben geführt hätten, sagte der Journalist der Nachrichtenagentur Reuters. Weltweit ist die Bestürzung groß. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte den Tod Nawalnys bedrückend. Man wisse jetzt genau, was in Moskau für ein Regime regiere. Russland sei „längst keine Demokratie mehr“.

Der britische Premierminister Rishi Sunak reagierte schockiert und sagte, als schärfster Verfechter der russischen Demokratie habe Nawalny sein ganzes Leben lang unglaublichen Mut bewiesen. Der lettische Präsident Edgars Rinkevics sagte, Putin habe den russischen Oppositionsführer auf dem Gewissen. „Was auch immer Sie über Alexej Nawalny als Politiker denken, er wurde einfach vom Kreml brutal ermordet“, schrieb er auf X. „Das ist eine Tatsache und etwas, das man über die wahre Natur des gegenwärtigen russischen Regimes wissen sollte.“ Auch unzählige Journalistinnen und Journalisten, Publizisten und Dokumentarfilmerinnen äußerten sich bestürzt und mit harter Kritik an dem unmenschlichen Regime Putins.

Nawalny war auch publizistisch tätig

Auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di ist bestürzt über den Tod Nawalnys unter extrem harten Haftbedingungen. Der 47-jährige Oppositionspolitiker und Jurist wirkte auch als Publizist, arbeitete journalistisch und veröffentlichte investigative Filmdokumentationen, die die Missstände in Russland aufdeckten und ihn weltweit bekannt machten. Dabei hatte er schon vorher einen Kampf gegen die Korruption der russischen Eliten geführt – als Jurist in meist von ihm selbst angestrebten Gerichtsverfahren.

Er veröffentlichte unter anderem vertrauliche Dokumente, welche die korrupten Verstrickungen zwischen den Eliten und des russischen Machtapparats zeigten. 2016 versuchte Nawalny sogar, Präsident Putin persönlich wegen Korruption vor Gericht zu bringen. Die Kritik am Machthaber blieb nicht folgenlos. Immer neue Prozesse gegen ihn, sogar einen Giftanschlag mit den Nervengift Nowitschok, den er 2020 nur knapp überlebte, und schließlich eine Verurteilung zu insgesamt mehr als 30 Jahren Haft waren die Antwort. Die Vorwürfe gegen Nawalny klingen für Menschen, die in freiheitlichen Demokratien leben, schlicht irrsinnig. Betrug, Extremismus, Korruption. International war Nawalny schon lange als politischer Gefangener eingestuft.

Verlegung nach Nordrußland

Im Dezember war der zweifache Familienvater in das Straflager „Polarwolf“ im eisigen Norden Russlands verlegt worden. Das Gefängnis gilt als eines der härtesten in Russland. Hunger, Erschöpfung, Folter hatten den 47-Jährigen enorm zugesetzt – im Grunde wurde der Oppositionelle ermordet.

Für seine Kritik an dem russischen Machthaber setzte Nawalny sein Leben aufs Spiel. Dieser Mut, diese Kompromisslosigkeit, diese Haltung waren beispiellos. Dass er alles das in Kauf nahm für dieVision eines anderen Machtsystems in Russland, verlangt Respekt, Demut, Innehalten. Auch wenn Nawalny nicht unumstritten war: Immerhin nahm er an den teils als rechtsextrem eingestuften Russischen Märschen auch als Redner teil, distanzierte sich später jedoch ausdrücklich davon. In seinem Wirken und seiner Haltung ist er ein Vorbild. Journalismus, investigative Dokumentationen und Enthüllungen von brisanten Informationen über gefährliche Machthaber sind elementar für die Freiheit. Journalismus ist kein Verbrechen.

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Das Manifest für die Schublade

Schwein gehabt: Das „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“, (meinungsvielfalt.jetzt) wurde weder ein Fest für die Freunde einer völlig verstrahlten medienpolitischen Debatte, noch eines für die Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus dem konservativen, neoliberalen und rechts-außen Lager. Ein paar Aufmerksamkeitszeilen in den Medienspalten der Zeitungen und wenige Interviews im Radio – das war’s. Glücklicherweise ist das Manifest fast schon wieder in der Versenkung verschwunden. Dort gehören diese Halbwahrheiten und unausgegorenen Neustartvisionen für meinen Geschmack auch hin.
mehr »

EU-Kommission geht gegen TikTok vor

Mit dem Digital Services Act (DSA), der nun in der gesamten EU gilt, werden vor allem die großen sozialen Netzwerke stärker als bislang reguliert. Zu diesen gehört auch TikTok. Die Plattform hat in der EU mittlerweile 135,9 Millionen monatlich aktive Nutzer*innen und ist vor allem bei Jugendlichen beliebt. Die EU-Kommission hat TikTok daher im April vergangenen Jahres als „sehr große Online-Plattform“ (Very Large Online Plattform, kurz: VLOP) eingestuft. In der Konsequenz muss die Plattform damit beginnen, eine Reihe von Vorgaben umzusetzen, unter anderem zum Schutz vor Minderjährigen.
mehr »

AfD im TV: Demokratie ist kein Boxring

Im Superwahljahr 2024 stellt sich den Medien verschärft die Frage, wie ein angemessener Umgang mit der AfD aussehen könnte. Sie einfach zu ignorieren scheidet als Strategie aus. Zum einen wäre eine solche Verweigerung weitgehend wirkungslos. Mit ihrer Präsenz in den sozialen Netzwerken hat sich die Partei längst eine Bühne geschaffen, von der sie ungefiltert ihr krudes völkisches Weltbild unter den Menschen verbreitet. Zum anderen würde diese Verweigerungshaltung den Informations- und Aufklärungsauftrag der Medien gegenüber einer Partei konterkarieren, die die Zerstörung der Demokratie anstrebt.
mehr »

Preis für respektloses Verhalten

Der seit Februar nicht mehr amtierende Produzent und Vorstandsvorsitzende der Constantin Film Martin Moszkowicz soll im Mai durch die Produktionsallianz und die Stadt Laupheim mit dem Carl Laemmle Preis 2024 für sein Lebenswerk geehrt werden. Empörend findet der Bundesfachausschuss Filmunion die Wahl dieses Preisträgers vor dem Hintergrund des aus einer Constantin Produktion heraus entstandenen „Schweiger-Skandals“ vor nicht mal einem Jahr.
mehr »