Eigentlich geht es in einem aktuellen Urteil des Bundessozialgerichts nur um die Umlage für Mutterschaftsaufwendungen (U2), die jedes Unternehmen für seine Angestellten entrichten muss. Nichts Spektakuläres, sollte man meinen. Doch im konkreten Fall ging es um sogenannte „freie Mitarbeiter“ und eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt.
Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel verurteilte den klagenden Hessischen Rundfunk (HR) am 26. September 2017 dazu, 198 881,14 Euro U2-Umlage für die Zeit von 2006 bis Ende 2008 zu zahlen. „Rundfunkanstalten müssen von Entgelten der Mitarbeiter, die sie als Angestellte melden und für die sie Sozialversicherungsbeiträge entrichten, auch die Umlage für Mutterschaftsaufwendungen entrichten, selbst wenn sie diese Personen arbeitsrechtlich als ‚freie Mitarbeiter‘ einstufen“, heißt es zu dem Urteil (Az.: B 1 KR 31/16 R) in der BSG-Pressemitteilung. Und weiter: Wer beim HR „sozialversicherungsrechtlich … Beschäftigter ist, ist selbst unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich verbürgten Rundfunkfreiheit arbeitsrechtlich Arbeitnehmer.“
Wenn sich das auch so – im bisher nicht veröffentlichten – Urteil wiederfindet, ist das eine bemerkenswerte höchstrichterliche Entscheidung, die nicht nur Einfluss auf die skurrile Situation der „festen Freien“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben könnte. Dazu muss man wissen, dass im deutschen Recht der Status von arbeitenden Menschen im Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht unabhängig voneinander definiert, ermittelt und den jeweiligen Gerichtszweigen zugeordnet wird. Im Sozial(versicherungs)recht sind sie entweder (abhängig) „Beschäftigte“ oder „Selbstständige“.
Den Begriff „Scheinselbstständigkeit“ gibt und gab es im deutschen Recht nicht. Dennoch prüft die Deutsche Rentenversicherung seit einigen Jahren intensiver auch in den Rundfunkanstalten und sogar – vorher quasi ein rechtsfreier Raum – in Presseverlagen den sozialversicherungsrechtlichen Status der dort als Selbstständige arbeitenden. Deshalb haben vor allem die ARD-Sender Tausende „feste Freie“ quasi zu Angestellten gemacht und führen für sie die Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung als „Gesamtsozialversicherungsbeiträge“ ab. Zu diesen gehört bei „Beschäftigten“ aber auch die U2-Umlage, die der Arbeitgeber wie die Beiträge der gesetzlichen Unfallversicherung (Berufsgenossenschaft) allein trägt. Dass der HR – wie wohl alle öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunksender – diese Umlage für seine „freien Mitarbeiter“ bisher nicht zahlt, wurde bei einer Betriebsprüfung festgestellt, der HR vom BSG zur Nachzahlung verurteilt.
Dabei dürfte den HR kaum die im Vergleich eher geringe Summe gestört haben, die ihn bis vor das höchste Gericht für die Sozialversicherung ziehen ließ, sondern die befürchteten Auswirkungen auf den Status der „Freien“. Doch nun stuft das Bundessozialgericht diese als „arbeitsrechtlich Arbeitnehmer“ ein – was eigentlich nur dem Bundesarbeitsgericht zusteht. Natürlich sind sie das in der Realität aber nicht, weder mit einem Arbeitsvertrag noch mit den Schutzrechten aus dem Arbeitsrecht gesegnet.
Welche Konsequenzen beim HR und anderen Medienunternehmen aus dem Kasseler Urteil für den Status der „festen Freien“ gezogen werden (muss), wird sich zeigen. Eigentlich wäre jetzt auch der Gesetzgeber gefordert, mit einer einfachen Vorschrift im BGB dafür zu sorgen, dass denjenigen, die sozialversicherungsrechtlich Beschäftigte sind, auch arbeitsrechtlich ein Arbeitsvertrag zusteht. Dass ist bei der neuen Konstellation im Bundestag aber kaum zu erwarten – wie bei der vorherigen ja auch nicht.
Beim Mutterschutz im Betrieb, für den die U2-Umlage erhoben wird, ist hingegen für die „festen Freien“ demnächst alles klar. Nach jahrelangem Bohren von gewerkschaftlich organisierten Selbstständigen und beharrlichem Lobbying von ver.di im Reformprozess gilt das Mutterschutzgesetz ab 1. Januar 2018 auch für „arbeitnehmerähnliche Personen“, also auch für viele der Rundfunk-Freien.