Stern“ musste über Freispruch berichten

BVerfG-Urteil zur Verdachtsberichterstattung

Das Verfassungsgericht lehnte die Beschwerde der Hamburger Wochenzeitung ab. Presse darf nicht nur über Verdächtigung schreiben.

In der Ausgabe 20/97 mußte der „Stern“ wider Willen über ein Urteil des Landgerichts Gießen berichten. Der Angeklagte Horst B. war dort vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs an seinem Sohn freigesprochen worden. Nachdem der „Stern“ Jahre zuvor über den Verdacht gegen den Vater geschrieben hatte, wollte B. eine Richtigstellung erreichen. B. ging erneut vor Gericht und hatte wieder Erfolg. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg verurteilte den „Stern“ zum Abdruck einer redaktionellen Klarstellung. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Magazins hatte keinen Erfolg.

Im Juli 1991 hatte der „Stern“ über den Mord an zwei Ehepaaren im hessischen Wetteraukreis berichtet. Die Täter waren mehrere Jugendliche, einer davon der Sohn von B. Dieser sei von seinem Vater jahrelang sexuell mißbraucht worden, berichtete der „Stern“ in einem Artikel über die Mordtat. B. verlangte erfolglos eine Richtigstellung. Erst wenn B. vor Gericht freigesprochen werde, käme dies in Betracht, entgegnete damals der „Stern“.

Nachdem der Sohn seine Anschuldigungen zurückzog, wurde B. 1993 tatsächlich „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen. Erst 14 Monate später meldete B. sich wieder beim „Stern“ und verlangte die versprochene Richtigstellung. Grundsätzlich war das Magazin hierzu auch bereit, umstritten war jedoch die Form der Mitteilung.

„Wir haben B. angeboten, einen von ihm verfaßten Hinweis auf den Freispruch abzudrucken“ erklärt Andreas Ruppert, der Justitiar von Gruner+Jahr. Das wäre eine Art hervorgehobener Leserbrief gewesen, immerhin mehr als eine presserechtliche Gegendarstellung (die unabhängig vom Wahrheitsgehalt abgedruckt werden muß). Mehr hatte in solchen Fällen bisher auch der Bundesgerichtshof, das höchste deutsche Zivilgericht, nicht zugebilligt.

B. jedoch war das zuwenig. Er verlangte vom „Stern“ eine redaktionelle Meldung. Dies aber wollte der „Stern“ nicht akzeptieren. „Immerhin lag das Urteil schon über ein Jahr zurück, das war ja überhaupt nicht mehr aktuell“, gibt Justitiar Ruppert zu bedenken. Als das Hamburger OLG den „Stern“ tatsächlich zum Abdruck einer Meldung verurteilte, ging das Magazin nach Karlsruhe. Sein Argument: Die Pressefreiheit garantiere auch, daß eine Zeitung nicht mel-den muß, was sie nicht melden wolle.

An diesem Prinzip wollte das Verfassungsgericht auch durchaus festhalten. Im Falle der sogenannten „Verdachtsberichterstattung“ gelte jedoch etwas anderes. Hier sei es durchaus zulässig, ein Presseorgan zum Bericht über einen später erfolgten Freispruch zu verpflichten. Von sich aus muß die Presse allerdings nicht nachforschen, ob ein den Leserinnen und Lesern mitgeteilter Verdacht letztlich auch vor Gericht Bestand hat, betonte die mit drei Richtern besetzte Kammer des Gerichtes. Ein Klarstellungsanspruch komme nur in Betracht, wenn der Betroffene dies ausdrücklich wünsche.

 

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