Info
Engagierte Medien abseits des Mainstreams gibt es zunehmend mehr. Sie sind hochinteressant, aber oft wenig bekannt. Deshalb stellt M in jeder gedruckten Ausgabe und auf M Online einige davon vor.
Alle drei sind Aktivist*innen im Verein „Sozialhelden“, der bereits Leitfäden für eine klischeefreie Berichterstattung über Menschen mit Behinderung anbietet. „Es reichte uns aber nicht, nur zu schulen, wir wollten mit gutem Beispiel vorangehen“, erklärt Smykowski. Das macht ihr Kollege Jonas Karpa zum Beispiel in einem Interview mit der Umweltaktivistin Cécile Lecomte, die von ihrem mutigen Kampf gegen die Klimakrise erzählt.
Lecomte kritisiert, dass die Polizei zuweilen recht behindertenfeindlich gegen Demonstrierende vorgeht, wie bei einer Aktion von „Ende Gelände“ im rheinischen Braunkohlerevier: „Die Gruppe bewegte sich langsam und die Polizei wusste, dass da Leute sind, die gerade in ihrem Rollstuhl geschoben werden und andere Menschen mit Gehbehinderung. Alles war überschaubar und friedlich, bis die Hunde kamen. Wenn du im Rollstuhl sitzt und der Hund ist genau auf deiner Augenhöhe, dann ist das kein schönes Gefühl.“ In diesem spannenden Interview ist die Behinderung der Protagonistin nicht Anlass für die Berichterstattung, sondern vervollständigt das Bild von ihr als Umweltaktivistin.
Der Beitrag erschien als Text in der Rubrik „Gesellschaft“. Weitere Ressorts sind „Innovation“, „Kultur“, „Kolumnen“ und „Arbeit“. Dort gibt es etwa einen faktenreichen Artikel über die „unsichtbare Minderheit“: „Mehr Diversität, das bedeutet meistens: weiblicher, internationaler und altersheterogener. Eine Gruppe kommt dabei oft nicht vor: Arbeitskräfte mit Behinderung.“ „Diversität boomt, aber Menschen wie wir werden dabei nicht mitgedacht“, so Chefredakteurin Smykowski, die im Rollstuhl sitzt und erläutert, dass es noch an Sensibilität dafür mangelt, wie Menschen behindert werden, etwa durch alternativlose Treppen. Mobilität ist auch das Thema des jüngsten der inzwischen 14 Podcasts, die in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk entstehen. Dort geht es um Erfahrungen mit Bus und Bahn und die Utopie einer „Smart City“.
Es fehle noch an „Verständnis, dass Behinderung alle angeht“, so Smykowski, auch in vielen Mainstreammedien. Deshalb wolle „Die Neue Norm“ mit einem Disability Mainstreaming gängige Helden- und Opfer-Stereotypen in der Berichterstattung, die sich an alten Normen orientieren, in Frage stellen. Mehrmals pro Woche erscheint ein neuer Magazintext, den auch externe Autor*innen schreiben. Beiträge werden von „enorm“, „Edition F“ oder „Focus online“ übernommen. Von ihnen selbst moderierte Podcasts produziert das Redaktionsteam einmal im Monat für den BR, der sie dann auch via Spotify und Apple Podcast verbreitet.
Dennoch ist Smykowski mit der Resonanz nicht zufrieden. Der Medienkonsum habe „viel mit Gewohnheiten der Leser*innen zu tun“ und so bewege sich „Die Neue Norm“ noch zu sehr in einer „Bubble der Leute, die schon sensibilisiert sind“. Eltern behinderter Kinder seien etwa eine sehr interessierte Community. Aber wenn Menschen mit Behinderung ihre Rechte einfordern, sollten alle in die Pflicht genommen werden.
Behinderung sei immer noch ein „Nischenthema“ und das Online-Magazin werde zurzeit vom Verein „Sozialhelden“ finanziert, berichtet Judyta Smykowski. Das Redaktionsteam sei fest angestellt und externe Autor*innen erhielten Honorar. Doch das ambitionierte Medienprojekt brauche noch weitere Finanzierungsmöglichkeiten.