Berliner Verlag: Betriebsräte wollen Regelungen für alle

Renate Gensch ist Betriebsratsvorsitzende im Berliner Verlag
Foto: Christian von Polentz

Am 27. Oktober 2016 verkündeten DuMont-Spitzen den Beschäftigten im Verlagshaus am Berliner Alexanderplatz Konturen für einen „Neustart in der Hauptstadt“. Der Vorstand will mit dem neuen Konzept von 2018 an profitabel arbeiten. Aktuell soll es weitere 50 Stellen kosten. Denn das Abo-Blatt „Berliner Zeitung“, das Boulevardblatt „Berliner Kurier“, deren Online-Ausgaben sowie weitere digitale Aktivitäten sollen künftig von einer neu gegründeten Newsroom-Gesellschaft in einem neuem Gebäude gemacht werden. Mit weniger Leuten. Wir sprachen mit Renate Gensch, Betriebsratsvorsitzende im Berliner Verlag.

M | Im Aufsichtsrat der DuMont Mediengruppe hört man es nicht gern, wenn das, was auf den Berliner Verlag und den gesamten hauptstädtischen Standort zukommt, „Sparprogramm“ genannt wird. Wie wurden die Pläne denn offiziell vorgestellt?

Renate Gensch | Mit einem Powerpoint-Vortrag und in Worten, die wir schon aus der letzten großen Sparwelle 2012/13 kennen, wurde der Fortgang der „Perspektive Wachstum“ beschrieben. Von „Kündigungen“ oder „Abbau“ ist da nicht die Rede. Das Wording ist ausgefeilt. Wir konnten entnehmen, dass etliche begonnene Konzernprojekte weiter laufen – etwa geplante Kooperationen mit anderen Verlagen oder das neue Anzeigen- und Vertriebssystem, das aus Hannover von Madsack kommen soll. „Weiterentwicklung Mediengruppe Berliner Verlag“ stand dann als Überschrift darüber, dass Kolleginnen und Kollegen entlassen werden sollen. Für den „Neuanfang“ seien journalistische Qualität und publizistische Vielfalt zu gewährleisten, wurde uns verlesen. Die Belegschaft reagierte mit eisigem Schweigen und purem Entsetzen. Auf einige sachliche Nachfragen – etwa, ob unsere Volontäre übernommen würden – wussten aber auch Herr Kauerauf und Herr Braun, Geschäftsführer der Mediengruppe Berliner Verlag, und der anwesende Personalchef aus Köln keine Antwort. Solche Fragen versuchten die drei neuen Chefredakteure Arnt, Knott und Jehn und der neue Geschäftsführer Jörg Mertens erst auf kleineren Mitarbeiterversammlungen mündlich zu klären. Oder die Betroffenen wandten sich in den Folgetagen an die Personalabteilung. Viel schlauer sind sie meistens nicht, denn seither gibt es jeden Tag neue An- und Aussagen.

Euch Betriebsräten wurde unterstellt, „Angst“ zu verbreiten. Hat das Management die Frage, wie man sich den „Neuanfang“ mit 50 Stellen weniger vorstellt, denn nun konkret beantwortet?

Gegen „Angstmache“ verwahren wir uns energisch. Wir streichen hier keine Stellen. Wir haben in letzter Zeit nur Eins und Eins zusammengerechnet und darüber sachlich informiert. Im Gegensatz zum Arbeitgeber. Fünf Monate wurden wir allesamt hingehalten. Ich muss klar sagen: Die inhaltlichen und organisatorischen Planungen, die jetzt vorgestellt wurden, erfolgten, ohne uns Betriebsräte einzubeziehen oder auch nur vorab zu informieren – wie es das Betriebsverfassungsgesetz vorgeschrieben hätte. Und im Gegensatz zu den Unternehmensgrundsätzen Transparenz, Ehrlichkeit, Verbindlichkeit.

Im übrigen: Alles, was wir Betriebsräte bisher zu Um- und Abbau gesagt und geschrieben haben, ist eingetroffen – ob das die IT-Beschäftigten betrifft oder VI&VA, das neue Anzeigen- und Vertriebssystem, oder die Kartellrechtsnovelle, die sich noch etwas hinauszögert und Kooperationen in den Verlags- und Vermarktungsbereichen mit anderen Berliner Tageszeitungen erlauben würde.

Und die Ankündigungen zur Personalplanung?

„Mitarbeiter im Ausbau“ heißt das nun. Die Vorgaben für das Personalbudget seien einzuhalten. Die neue Newsroom Gesellschaft soll insgesamt 110 Stellen haben. Zusätzlich sind 30 Stellen für die Autor_innen der Hauptstadtredaktion, der sogenannten Redaktionsgemeinschaft 1, und für die Beschäftigten der Berlin24 digital GmbH gesetzt. Jetzt haben wir in den Redaktionen von „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“ zusammen rund 160 Stellen. 50 bleiben also auf der Strecke. Und 50 Stellen heißt ja nicht unbedingt, dass „nur“ 50 Leute abgebaut werden, denn im Einzelnen haben die vielleicht jetzt halbe oder Dreiviertel-Stellen. Wir als Interessenvertretung hatten 2012 Kolleginnen und Kollegen ja direkt aufgefordert, Arbeitszeit und damit Geld in verschiedenen Modellen abzugeben, damit damals weniger Beschäftigte gekündigt wurden. Dem waren etliche auch gefolgt.

Nun wurde deutlich angekündigt: Alle müssen sich um die neuen 110 Stellen in der Newsroom GmbH bewerben, also darum, weiter als Redakteur_innen für DuMont arbeiten zu dürfen. Solche Stellen würden aber auch öffentlich ausgeschrieben. Und wir wissen, dass man bereits an Leute aus anderen Verlagen und Medien herangetreten ist. Die Zahl unserer bisherigen Kolleginnen und Kollegen, die gehen müssen, könnte also noch weitaus größer sein.

Klar ist jetzt wohl, dass im neuen Newsroom nur vier Sekretärinnen arbeiten werden. Derzeit haben wir dreizehn Kolleginnen. Unklar ist weiter, was mit den Fotografen passiert und mit dem gesamten Bereich Produktion/ Layout.

An der sogenannten Zwischenholding, die über der Newsroom GmbH angesiedelt sein soll, können sich „neben der DuMont Mediengruppe auch digitale Experten als Gesellschafter beteiligen“, wurde in eigener Sache verkündet. Wer könnte das denn sein?

Das wissen wir nicht. Vielleicht Ströer? Vielleicht Facebook oder Google? Oder auch andere Verlage.

Und wie soll der Übergang für die Beschäftigten praktisch vonstatten gehen?

Sukzessive soll es Ausschreibungen für einzelne „Teams“ geben. Diese Teams sollen die aufzulösenden bisherigen Ressorts ersetzen. Wir groß sie im Einzelnen sind, kann ich nur aus der Raumplanung am neuen Standort schließen. Offiziell wurde dazu noch nichts gesagt. Die Bewerbungen für die neue Gesellschaft – übrigens mit Sitz in Köln – soll die externe Personalberatung „Elbwerk“ bearbeiten. Neben den drei Chefredakteuren, denen die publizistische Gesamtverantwortung ab 1. November übertragen wurde, wird Herr Mertens, der uns bisher als externer Umzugsberater vorgestellt war, als Geschäftsführer der neuen Newsroom GmbH eingesetzt. Ein neues Redaktionssystem soll es künftig auch geben und drei Newsdesk-Chefs.

Wurde denn bisher eine Vorstellung davon vermittelt, wie die redaktionellen Prozesse ablaufen sollen, wie Digitales, Mobiles, Social Media und Print für Abo und Boulevard zusammenlaufen bzw. vernetzt werden?

Nein. Wir wissen nur, dass im Digitalbereich kräftig aufgeholt werden soll. Einen solchen Ausbau fordern Beschäftigte und wir Betriebsräte im Übrigen seit 20 Jahren. Wir haben Schulungen angeregt, auch für den gesamten Vermarktungsbereich. Passiert ist nur eben fast nichts.

Dieser „Neuanfang“ klingt zunächst sehr nach leerer Hülle. Einen Betriebsübergang soll es für Beschäftigte – von der Hauptstadtredaktion und der Berlin 24 Digital abgesehen – jedenfalls nicht geben. Man will die bisherigen Gesellschaften also „ausbluten“?

Auch das wissen wir nicht. Es wurden ja Betriebs- oder Teilbetriebsschließungen nicht ausgeschlossen. Kann also sein, dass dann die Berliner Verlag GmbH und die Berliner Kurier GmbH geschlossen werden. Jedenfalls werden „Berliner Kurier“, „Berliner Zeitung“ und die Redaktionsgemeinschaft 2 komplett abgewickelt. Dass es sich beim Übergang in die Newsroom GmbH nicht um einen Betriebsübergang handelt – den Nachweis hat die Geschäftsführung aus unserer Sicht noch nicht erbracht.

Wie könnten Betroffene denn dagegen vorgehen? Gegen die quasi leeren Gesellschaften klagen oder gegen die neue?

Dazu müssten sie zunächst gekündigt sein. Aber juristisch dürfte das alles nicht unkompliziert sein. Das ist sicher beabsichtigt. Wir checken mit unserem Rechtsbeistand selbst gerade die Möglichkeiten. Als Betriebsräte am Standort haben wir uns inzwischen abgestimmt und unsererseits die Situation bewertet. Wir werden gewiss nicht alles hinnehmen. Erste Aktionen hat es ja gleich nach Verkünden der Pläne gegeben. Und natürlich wollen wir als Interessenvertreter vor allem kollektive Lösungen und Absicherungen für alle schaffen.

Rote Karten zeigten die Berliner Beschäftigten, nachdem die DuMont-Pläne am 27. Oktober verkündet worden waren. Foto: ver.di
Rote Karten zeigten die Beschäftigten, nachdem die DuMont-Pläne am 27. Oktober verkündet worden waren.
Foto: ver.di

In den Unternehmensverlautbarungen war von einem Sozialplan die Rede. Gibt es ein konkretes Angebot?

Bisher gibt es nur mögliche Gesprächstermine. Ansonsten haben wir nichts, weder den Entwurf für einen Sozialplan noch sonstige Unterlagen. Formal beginnt bei Betriebsänderungen nach Kündigungsschutzgesetz ja ein sogenanntes Konsultationsverfahren.

Was müsst Ihr Betriebsräte akut tun und was kommt auf die Gewerkschaften zu?

Wir müssen uns um alle Beschäftigten kümmern: Natürlich um die, die jetzt auf der Strecke bleiben werden. Für sie muss eine ordentliche Absicherung her, vielleicht auch mit einer Transfergesellschaft. Und dann müssen wir uns um die kümmern, die in die neue Gesellschaft gehen. Die haben dort ja zunächst weder Tarifvertrag noch Betriebsrat. Da gibt es auch ganz praktische Fragen, etwa: was wird aus deren Altersversorgung? Und: Falls es dort später doch einen Crash geben sollte, haben diese Beschäftigten in der neuen Gesellschaft vier Jahre lang keinen Anspruch auf einen Sozialplan. Es ist also vieles zu bedenken und zügig zu handeln.

Die Gewerkschaften und ihre Mitglieder haben bereits auf einer Mitgliederversammlung einen gemeinsamen Aktionsausschuss gebildet und beschlossen, Tarifforderungen aufzustellen und einen Sozialtarifvertrag zu fordern.

 

Ergänzung am 4. November:

Die acht Betriebsräte von DuMont-Unternehmen am Berliner Standort haben eine gemeinsame Erklärung abgegeben. Darin heißt es:

„Wir, die Belegschaften und ihre Betriebsräte, beharren auf den Unternehmensgrundsätzen, die der Konzern missachtet: Wir fordern Respekt, wir fordern Verantwortung, wir fordern echte Mitbestimmung. Und wir lassen uns von DuMont nicht täuschen. Was uns als „Neuanfang“ verkauft wird, ist nichts anderes als die leicht modifizierte Fortsetzung der jetzigen Zeitungsproduktion, nur dass die Ressorts in „Teams“ umgelabelt wurden. Das sind juristische Winkelzüge des Unternehmens, um den offensichtlichen Betriebsübergang, der den betroffenen Mitarbeitern weit größere sozialeRechte als der „Neuanfang“ zugesteht, auf Biegen und Brechen zu verhindern. Wir Betriebsräte werden dagegen auf dem geltenden Recht beharren.“

Die vollständige Erklärung, weitere Infos und Hintergründe hier.

 

 

 

 

 

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