Arbeitgeber geben ihr Geld lieber für verlustbringende Expansion als für eine anständige Bezahlung ihrer Beschäftigten aus
Langsam aber stetig nähert sich die Zahl der Warnstreiks in den bundesdeutschen Großkinos der Cinemaxx- und der Ufa-Gruppe einer dreistelligen Zahl. Die der Streikenden ist längst vierstellig. Trotzdem war zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht klar, wie erfolgreich die Streiks waren. Sollte es immer noch nicht zu einer Einigung gekommen sein, so liegt das nicht daran, dass die Kino-Konzerne kein Geld in die Hand nähmen. Im Gegenteil: Sie jonglieren mit Millionensummen, vor allem, um immer mehr Kinos zu eröffnen. Allerdings sind sie wirtschaftlich nicht sonderlich erfolgreich. Deutlich wird das zum Beispiel bei Cinemaxx.
Nach Redaktionsschluss
- Tarifabschluss
Nächtliches Verhandlungsergebnis mit ar.di erzielt - Arbeitskampfführung im Internet?
„Bei uns ist jede Menge los – und das wird auch so bleiben.“ So lässt Kino-Mogul Hans-Joachim Flebbe in der jüngsten Ausgabe seiner Hauszeitschrift „Cinemaxx-Filmtipps“ verlauten. Allerdings – hier bezieht er sich nicht auf die phantasievollen Streiks der schlecht bezahlten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seiner Kinos, sondern auf „aufregende Filme, spannende Veranstaltungen und unvergessliche Begegnungen“. Warten wirÕs ab. Dabei ist es nicht so, dass in den Flebbe-Werbeschriften Streik kein Thema wäre: In der vorhergehenden Ausgabe war in der Rubrik „rund ums kino“ und den erläuternden Zeilen „hier finden Sie alles, was das Herz des Kinofans begehrt“ vom „Streikfieber“ – schon seit Monaten – die Rede. Und weiter: „Dieser Ausstand könnte der Anfang einer Streikwelle sein“, könnte gar „die gesamte Filmindustrie lahmlegen“. Nur: Flebbe sorgt sich nicht ums eigene Leinwand-Imperium, sondern lässt über die Ankündigungen der Gewerkschaften der Autoren und Schauspieler in Hollywood berichten. Keine Silbe der Kritik an den geplanten Streikaktionen, das ganze aber illustriert mit einem Schnappschuss von Cameron Diaz, dem Star des gerade – auch in den Flebbe-Kinos – angelaufenen Erfolgsstreifens „Drei Engel für Charlie“.
Maßvolle Forderungen
Diaz allein erhielt für ihre Rolle in dem 65-Millionen-Dollar-Film eine Gage von 12 Millionen Dollar – für die Flebbe-Postille nicht erwähnenswert. Beachtenswert für Flebbe dagegen die Forderungen der Kino-Beschäftigten: Von deren Tarifforderungen ließ er während der Warnstreiks behaupten, dass „das Forderungspaket unserer Tarifpartner derart weitgehend ist, dass die Arbeitgeberseite dies nicht zu erfüllen vermag“. Zur Erinnerung: Die IG Medien forderte für die Kino-Beschäftigten Monatslöhne (je nach Berufsjahren) zwischen 2950 und 3382 Mark; wer zwischen den unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen im Kino hin- und herspringen soll – zwischen Kasse, Theke, Einlasskontrolle – soll ein wenig mehr Geld erhalten, nämlich zwischen 3400 und 3899 Mark. Doch Cinemaxx und Ufa konterten zwischendurch mit Vorschlägen, die auf einen jährlichen Verlust von über 1000 Mark im Jahr hätten hinauslaufen können: deren neuer Arbeitgeberverband Dienstleistungsunternehmen (Ar.di) wollte sowohl die Überstunden- als auch die Nachtzuschläge einschneidend kürzen.
Die Kino-Beschäftigten wollten nicht nur mehr Geld, sondern forderten für einen neuen Manteltarifvertrag Regelungen, wie sie in den meisten anderen Branchen längst üblich sind, so eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden, sechs Wochen Urlaub, ein 13. Monatsgehalt. Das alles nicht nach dem Motto „wir wollen alles – und das sofort“, sondern die IG Medien war bereit, auf Stufenpläne einzugehen. Doch – wie erinnerlich – Ar.di war trotz vieler Warnstreiks (siehe M 11/2000) nicht bereit, ein verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen. Folglich haben die Beschäftigten ihre Streiks fortgesetzt. In Berlin und Heidelberg zum Beispiel fielen Ende November ganze Vorstellungen aus. In Hannover verlegten die Journalisten und Journalistinnen die Vorabendveranstaltung ihres jährlichen JournalistInnentages vors Cinemaxx und verteilten zusammen mit den Streikenden Flugblätter an die potenziellen Kinobesucher.
Solidarität der Besucher
Vor einigen Kinos sammelten Streikposten vor der neunten Verhandlungsrunde am 29. November Solidaritätsunterschriften: „Wir fordern als Kunden die Arbeitgeber auf, in der nächsten Verhandlung ein deutlich besseres Angebot vorzulegen.“ Denn um sich im Kino wohl fühlen zu können, seien ein gutes Betriebsklima und ordentliche Arbeitsbedingungen wichtig, wofür auch die Bezahlung „eine wichtige Rolle“ spiele. Besucher geizten nicht mit aufmunternden Worten für die Streikenden, schnell waren zum Teil mehrere hundert Unterschriften zusammen. Und es gab auch Filmfreunde, die nicht einsehen konnten, für eine Kinokarte mehr ausgeben zu sollen als die Kartenverkäufer zur Zeit pro Arbeitsstunde verdienen, und die unaufgefordert mitteilten, ihr Geld lieber für einen Schoppen Wein ausgeben zu wollen.
Mehr als vier Monate nach Verhandlungsbeginn legten Cinemaxx und Ufa dann am 29. November wirklich erstmals ein verhandlungsfähiges Angebot vor, so die Bewertung durch IG-Medien-Verhandlungsführer Manfred Moos. Ein Tarifabschluss war allerdings nicht möglich, weil vor allem die Regelung für die Nachtzuschläge strittig blieb. Selbst in der folgenden, zehnten Gesprächsrunde am 5. Dezember gab es keine Einigung – obwohl sich die Verhandlungen passenderweise bis nach Mitternacht hinzogen. Um doch noch eine Vereinbarung vor dem Jahresende zu erreichen, einigten sich die Tarifpartner kurzfristig auf einen weiteren Gesprächstermin – allerdings nach dem eigentlichen Redaktionsschluss dieser Ausgabe von M; der Kurzbericht über das Ergebnis wurde in der Druckerei in diese Ausgabe einmontiert (siehe Kasten Seite 9).
Rasanter Ausbau bis zum „Overscreening“
„Ende der Vorstellung“ war in den „Cinemaxx-Filmtipps“ der Streikbericht aus den USA überschrieben. Doch diese Schlagzeile könnte ganz anders bei uns Realität werden: Das „Overscreening“ – also zu viele Leinwände für relativ zu wenig Besucher und Besucherinnen – könnte schon bald dazu führen, dass nicht nur – wie bislang schon gang und gäbe – in traditionellen Kinos die letzte Vorstellung läuft, sondern auch in den ersten Multiplex-Kinos. Als Aktiengesellschaft ist Cinemaxx zu einem Mindestmaß an Publizität verpflichtet. Im „Konzernlagebericht für das Geschäftsjahr 1999/2000“ (das sich auf den Zeitraum bis zum 30. Juni bezieht) vermeldete der AG-Vorstand noch überaus positive Zahlen: In Deutschland 10,5 Prozent mehr als im Vorjahr verkaufte Kinokarten, nämlich insgesamt knapp 157 Millionen. Noch ein wenig stärker – um 11,3 Prozent – stieg der Umsatz auf 1,67 Milliarden Mark. Jeder Bundesbürger ging statistisch 1,9mal ins Kino – der höchste Stand seit 1990. Schließlich – für die Verhandlungen mit den großen Multiplex-Betreibern Cinemaxx und Ufa nicht uninteressant -: „Die Multiplexe haben ihre Marktposition zu Lasten der traditionellen Filmtheater weiter von 24 Prozent auf 31 Prozent erhöht.“
Darüber hinaus besonders gut hat laut Geschäftsbericht Cinemaxx abgeschnitten: „eine um 11,1 Prozent höhere durchschnittliche Kapazitätsauslastung“ im Vergleich mit allen anderen Multiplexbetreibern, eine Steigerung der Pro-Kopf-Erlöse – gemeint sind die Kinobesucher – beim Kartenverkauf um 4,3 Prozent (deutlich über der Inflationsrate) und aus dem Verkauf von Süßigkeiten und Getränken um 4,6 Prozent. Kein Wachstum dagegen bei den „Mitarbeitern“: Trotz weiterer Neueröffnungen hat Cinemaxx die Zahl der Beschäftigten „aufgrund von Rationalisierungen“ um 1,6 Prozent verringert und vermeldet in technokratischem Jargon als Erfolg im Umgang mit den bei ihnen beschäftigten Menschen: „Die Personalkostenquote konnte von 20,2 Prozent auf 19 Prozent der Gesamtleistung verringert werden. Diese Verbesserung dokumentiert die nachhaltige Wirkung des zu Beginn des Geschäftsjahres begonnenen konzernweiten Kostenoptimierungsprogramms.“
Notbremse
Doch das alles galt nur bis zur Hauptversammlung am 7. Dezember in Hamburg. Dort gab es dann plötzlich eine Gewinnwarnung: Im nächsten Geschäftsjahr sei ein zweistelliger Millionenverlust zu befürchten. Ursache vor allem: Die wirkliche Besucherzahl von bestenfalls 150 Millionen in diesem Jahr blieb zu sehr hinter der erwarteten von 200 Millionen zurück, was Cinemaxx-Chef Flebbe zum Eingeständnis zwang: „Wir haben uns verrechnet.“ Wohl wahr. Seit 1993 hat aufgrund der Expansion der Multiplexe die Zahl der Leinwände in Deutschland von rund 3700 auf über 4600 zugenommen (laut FAZ). Die Folge war, dass nicht mehr wie im Ausgangsjahr über 35.000 Besucher je Leinwand und Jahr Geld für eine Kinokarte ausgaben, sondern 1999 nur noch 32.000. Hans-Joachim Flebbe will die Notbremse ziehen: Keine weitere Expansion, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen. Und er plant „eine tiefe Umstrukturierung“ (FTD): „Es werde weniger Personal, weniger Vorstellungen und weniger Service geben.“ Das allerdings ist eine sehr zweifelhafte Strategie: Wie soll eine Verschlechterung der Dienstleistung mehr Besucher und Besucherinnen anlocken?
Übrigens: Besonders laute Klage führt Flebbe über die schlechte Auslastung seiner Kinos im vergangenen November. Das war allerdings auch der Hauptstreikmonat bislang. Vielleicht hätte der Kino-Mogul statt in immer mehr Betonpaläste lieber in Menschen investieren und seinen Beschäftigten eine anständige Bezahlung bieten sollen. Spontan haben während der Streiks hunderte von Filmfreundinnen und -freunden mit ihrer Unterschrift bekundet, was sie von einem Kino-Besuch erwarten: Höfliche und freundliche Bedienung, saubere Kinos. Das war die Begründung dafür, dass die Kundinnen und Kunden den Arbeitskampf unterstützten.