Sonniges Bild mit einigen Flecken

Die Geschichte der Tarifverträge für „Freie“ am Beispiel des NDR

Er ist Journalist. Er arbeitet fürs Fernsehen. Er macht längere Dokumentationen und Magazinbeiträge. Er bekommt dafür Stücklohn. Pro Sendeminute. Für Recherchen, Treatment, Regie oder Realisation, Schnittüberwachung, Text und Endfertigung.

Die Honorare stehen in der Vergütungstabelle. Sie ist Bestandteil des Tarifvertrags für arbeitnehmerähnliche freie Mitarbeiter.

Er hat Anspruch auf bezahlten Urlaub. 31 Tage im Jahr. Entsprechend dem Tarifvertrag über Urlaub für Arbeitnehmerähnliche.

Er ist bisher noch nie ernsthaft krank, arbeitsunfähig gewesen. Bei Krankheit hätte er Anspruch auf einen Zuschuss zu den Leistungen seiner Krankenversicherung für die Dauer von 87 Kalendertagen. Nach dem Tarifvertrag über Zahlung im Krankheitsfall.

Er bekommt Zuschüsse zu seinen Beiträgen für die private Krankenversicherung und seine private Lebensversicherung.

Er ist seit 1972 Mitglied der Pensionskasse für freie Mitarbeiter an den Rundfunkanstalten. Er hat 28 Jahre lang 4 Prozent oder 7 Prozent seiner Honorare eingezahlt. Der Sender hat noch einmal dasselbe draufgelegt. Das summiert sich zu einem ganz hübschen Anspruch. Demnächst, wenn er 65 wird. So um die 5000 Mark im Monat.

Seine Beschäftigung fällt unter „Bestandsschutz“. Der ist im Tarifvertrag für befristete Programm-Mitarbeit festgeschrieben. Er kann so viel arbeiten wie er will und die Redaktionen bei ihm in Auftrag geben. Ein Geflecht von Tarifverträgen sichert seine Existenz …

Was für ein sonniges Bild! Mit einigen Sonnenflecken. Der Arbeitnehmerähnliche ist ein Edelfreier.

Er ist Journalist, Moderator, Regisseur, ausnahmsweise auch Kamerafrau oder Kameramann bei größeren Produktionen, selbständig künstlerisch gestaltender Tonmeister oder Graphikerin.

Die geschriebene Liste der „bestandsgeschützten“ Professionen ist lang. Die ungeschriebene Liste der Ungeschützten ebenso. Darunter sind Kameraleute, Tontechniker, Cutterinnen, Musiker, Maskenbildnerinnen. Ihre Arbeitsmöglichkeiten sind begrenzt, limitiert, beschränkt auf einen kümmerlichen Jahresverdienst zwischen 18000 und 25000 Mark.

Außerdem: die meisten arbeitnehmerähnlichen Freien müssen eine Rahmenvereinbarung unterschreiben, die ihre Mitarbeit bei der Programmgestaltung auf drei Jahre begrenzt. Dann folgt eine neue – auch nur für drei Jahre. Danach wieder eine neue. Bis hin zu einer Gesamtdauer von 15 Jahren.

Dann ist Schluss. Aus arbeitsrechtlichen Gründen. Wie die Hausjuristen sagen. Nach ihrer maßgeblichen Ansicht könnte eine Festanstellung nach 15 Jahren freier Beschäftigung beim NDR geltend gemacht werden.

Im Klartext heißt das: wenn sich der NDR nicht dazu entschließt, den freien Mitarbeiter festanzustellen, fällt er in den Zustand eines „Beschränkten“ zurück. Schlimmer noch: er muss ein Jahr lang pausieren und wird erst danach wieder, aber dann nur noch limitiert beschäftigt.

Der Ausweg, eine fiktive Planstelle im Haushalt zu hinterlegen und den Freien darauf weiter frei zu beschäftigen, stößt noch auf den Widerstand der hauseigenen Zukunftsplaner, die sich darauf festgelegt haben, 500 Planstellen im NDR abzubauen.

Rückblick

1953

Am Anfang war das Wort – und seine Meister. Hörfunkautoren wie Alfred Andersch, Axel Eggebrecht, Günter Eich. Namen, die einen guten Klang hatten, bei allen Radiosendern der ARD.

Das schützte sie nicht vor einer Attacke der Justitiare der ARD. Sie hatten in gemeinsamer Anstrengung das Muster eines Knebelvertrags ausgearbeitet, den sogenannten „Verpflichtungsschein“. Per Unterschrift sollte der freie Mitarbeiter auf sämtliche Urheber- und Wiederholungsrechte an seinem Werk verzichten. Ein für alle Mal, auch für die zukünftigen Programme auf Lang- und Kurzwelle und für das kommende Fernsehen. Den wortgewaltigen Autoren verschlug es die Sprache. Aber nur kurze Zeit. Ende März gründeten 87 von ihnen im Hamburger Künstlerclub „die insel“, eine Autorengruppe, die sich kooperativ der Rundfunk Union anschloss.

So kamen die freien Mitarbeiter zur Gewerkschaft – wenn auch nicht zu ihrem Recht. Die Honorarbedingungen wurden zunächst weiter per Dienstanweisung des Intendanten erlassen. Immerhin: die sittenwidrigen „Verpflichtungsscheine“ wurden zurückgezogen.

Zumindest ein Autor trug es mit Humor:

1958

veröffentlichte Heinrich Böll seine Kurzgeschichte „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“, eine satirische Beschreibung des freien Mitarbeiters in einer unbenannten Rundfunkanstalt, die wie der Hessische Rundfunk aussah:

„Wanderburn trank, setzte das Glas ab, blickte die drei Männer der Reihe nach an und sagte: „Ich warne Sie vor dem Funk, vor diesem Scheißkasten – vor diesem geleckten, geschniegelten, aalglatten Scheißkasten. Ich warne Sie. Er macht uns alle kaputt.“

Seine Warnung war aufrichtig und beeindruckte die drei jungen Männer sehr. Aber die drei jungen Männer wußten nicht, daß Wanderburn gerade von der Kasse kam, wo er sich viel Geld für eine leichte Bearbeitung des Buches Hiob abgeholt hatte. „Sie schneiden uns“, sagte Wanderburn, „zehren unsere Substanz auf, kleben uns, und wir alle werden es nicht aushalten …“

So richtig ernst wurde die Kunstfigur Freier Mitarbeiter von dem freien Mitarbeiter Heinrich Böll damals nicht genommen – und zunächst auch nicht von der Gewerkschaft. Erst 1960 auf dem 4. Delegiertentag der Rundfunk Union, die von da an Rundfunk und Fernseh-Union hieß, wurde den freien Mitarbeitern das Recht auf volle Mitgliedschaft eingeräumt. Wie schön! Nur, aus der Sicht der Freien brachte das zunächst noch nichts. Streng juristisch gesehen waren sie noch vogelfrei. Nicht tariffähig. Das änderte sich 1974 auf beharrliches Drängen des SPD-Abgeordneten Dieter Lattmann, einem Schriftsteller, der sich entschlossen hatte, in die Politik zu gehen, beschloss der Bundestag einen neuen Paragraphen 12 a in das Tarifvertragsgesetz einzufügen.

Er erlaubte es den Tarifvertragsparteien, den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden, für „arbeitnehmerähnliche Personen, die künstlerische, schriftstellerische oder journalistische Leistungen erbringen, sowie auf Personen, die an der Erbringung, insbesondere der technischen Gestaltung solcher Leistungen unmittelbar mitwirken“, Tarifverträge abzuschließen.

Das war das „Ende der Bescheidenheit“, das Heinrich Böll schon zwei Jahre vorher auf dem Schriftstellerkongress verkündet und gar nicht satirisch gemeint hatte.

Nach zwei Jahren voller Verhandlungen wurde beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus dem freien Mitarbeiter der „arbeitnehmerähnliche“ oder der „auf Produktionsdauer beschäftigte“.

1976 und 1977

schloss die RFFU mit den ARD-Anstalten eine ganze Kette von Tarifverträgen ab. Damit wurde die „soziale Schutzbedürftigkeit“ und die „wirtschaftliche Abhängigkeit“ der Freien, die ihr Brot überwiegend beim Hörfunk und Fernsehen verdienten, anerkannt.

Honorare waren nun nicht mehr dem „freien Spiel der Kräfte“ überlassen, der nicht-angestellte Mitarbeiter trug zwar weiter seine Haut zu Markte, aber unter Bedingungen, die ihm das Leben erträglich machen sollten – und seinen Anspruch auf eine feste Anstellung unmöglich. Das ging so lange gut, wie die Finanzdecke der ARD reichte. Einsparungen beim Programm lösten bei den Freien Existenzängste aus. Viele klagten auf Festanstellung vor den Arbeitsgerichten – und gewannen

Es kam zu den berüchtigten Dienstanweisungen der Intendanten, die genau das verhindern sollten. Und das, obwohl 1982 das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzentscheid den Rundfunkherren bestätigt hatte, dass sie „aus Abwechslungsbedürfnis der Zuhörer und Zuschauer“ feste wie freie Mitarbeiter im Programm beschäftigen dürften.

Eine bleierne Zeit von zähen Verhandlungen folgte. Dabei wurde die Absicht der ARD und auch des ZDF, die hinter dem Entgegenkommen beim Abschluss der Tarifverträge gesteckt hatte, deutlich: man wollte die Zahl der Angestellten verringern, Planstellen streichen und das Programm überwiegend von den Freien machen lassen.

Das stieß auf den berechtigten Argwohn der Mehrheit der Angestellten in der RFFU. Er ist auch mit dem Übergang in die IG Me- dien nicht ausgeräumt.

Fazit

Bei allen Unwägbarkeiten: was sich aus der wechselhaften Geschichte der arbeitnehmerähnlichen Personen und ihrer Tarifverträge lernen lässt steht schon in der Abschlusserklärung zum ersten Tarifvertrag für Freie beim NDR vom 30. September 1977:

Die Tarifpartner gehen davon aus, dass die Beschäftigten freier Mitarbeiter neben der Beschäftigung von festangestellten Arbeitnehmern zur Erfüllung des Programmauftrages des NDR unerlässlich ist.

Das Wort sie sollen lassen stahn!


  • Jürgen Schröder-Jahn, nach Zeitungsvolontariat und Studium seit 1967 freier Fernsehjournalist, vor allem für den NDR tätig, 1976 bis 1979 gewählter Vertreter der Freien Mitarbeiter im Hauptvorstand der RFFU, von 1979 bis 1985 Mitglied im (ehrenamtlichen) Geschäftsführenden Hauptvorstand (GHV) der RFFU.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Initiative: KI besser nutzbar machen

Der Dominanz der globalen Big-Tech-Konzerne etwas entgegensetzen – das ist das Ziel einer Initiative, bei der hierzulande zum ersten Mal öffentlich-rechtliche und private Medienanbieter zusammenarbeiten. Sie wollen mit weiteren Partnern, vor allem aus dem Forschungsbereich, ein dezentrales, KI-integriertes Datenökosystem entwickeln. Dadurch soll die digitale Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Medienstandorts gestärkt werden.
mehr »

Anteil von Frauen in Führung sinkt

Nach Jahren positiver Entwicklung sinkt der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Journalismus das zweite Jahr in Folge. Der Verein Pro Quote hat eine neue Studie erstellt. Besonders abgeschlagen sind demnach Regionalzeitungen und Onlinemedien, mit Anteilen von knapp 20 Prozent und darunter. Aber auch im öffentlichen Rundfunk sind zum Teil unter ein Drittel des Spitzenpersonals weiblich.
mehr »

Unsicherheit in der Medienlandschaft

Künstliche Intelligenz (KI) und ihre Auswirkungen auf die Medienbranche wurden auch bei des diesjährigen Münchner Medientagen intensiv diskutiert. Besonders groß sind die Herausforderungen für Online-Redaktionen. Im Zentrum der Veranstaltung  mit 5000 Besucher*innen, mehr als 350 Referent*innen aus Medienwirtschaft und -politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft, stand allerdings die Frage, wie Tech-Konzerne reguliert werden sollten.
mehr »

Für faire Arbeit bei Filmfestivals

„Wir müssen uns noch besser vernetzen und voneinander lernen!“, war die einhellige Meinung bei der Veranstaltung der ver.di-AG Festivalarbeit im Rahmen des  Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm. Die AG hatte zu einer Diskussionsrunde mit dem Titel Labour Conditions for Festival Workers: Roundtable & Fair Festival Award Launch eingeladen. Zu Gast waren internationale Teilnehmer*innen. Die Veranstaltung war auch der Startschuss zur ersten Umfragerunde des 4. Fair Festival Awards.
mehr »