Tarifpolitik für die Angestellten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Tarifpolitik gilt gemeinhin als das Kernstück gewerkschaftlicher Arbeit, geradezu als Existenzgrund für eine Organisation, die sich Solidarität als Leitsatz gewählt hat. Dabei stellt sich natürlich sofort die Frage: Solidarität mit wem, und wie weit soll sie denn reichen – womit ich auch schon mitten in der Diskussion über die Tarifpolitik unserer Organisation wäre, der alten RFFU wie der Fachgruppe 3 der IG Medien und demnächst vielleicht des Fachbereichs 8 von ver.di.
Tarifpolitik der „Gruppe Funk“, die sich nach und nach zur RFFU in der Gewerkschaft Kunst mauserte, war zunächst und lange Zeit Tarifpolitik für die Angestellten der Rundfunkanstalten. Erst Ende der 70er Jahre wurden beim WDR und beim SFB die ersten Verträge für sogenannte Freie Mitarbeiter, also für auf Produktionsdauer Beschäftigte und für arbeitnehmerähnliche Personen nach dem neuen § 12a des Tarifvertragsgesetzes abgeschlossen (übrigens mein Einstieg in mehr als 20 Jahre Tarifarbeit). Geführt wurden diese Pionierverhandlungen übrigens von sogenannten Festangestellten, so weit reichten die Solidarität und die Erinnerung an eigene Zeiten als Freie schon.
Utopie?
Auch die Regelungen zu den Randbedingungen des Beschäftigungsverhältnisses konnten sich sehen lassen – die Kernpunkte, das System der Mindesthonorare und der Auslauffristen bei Beendigung der Beschäftigung, blieben jedoch hinter der materiellen Absicherung der Angestellten durch Gehaltstarife, Kündigungsschutz und Altersversorgung weit zurück. Mangelnde Solidarität, fehlende Kampfbereitschaft zur Durchsetzung weitergehender Forderungen? Die IG Druck und Papier mit ihrem Streik für die Tariffähigkeit der dju und später die Fachgruppen 1 und 4 der IG Medien bei ihrem Kampf für einen Volontärstarifvertrag haben es vorgemacht: wenn es die Schwachen allein nicht schaffen, müssen auch schon mal die Stärkeren ran und eigene Interessen zurückstellen. Für die Funkangestellten eine unerreichbare Utopie?
Geleitzug-Prinzip
Ob zentrale Tarifabschlüsse (eMTV, Tarifvertrag zur Altersversorgung, demnächst möglicherweise zentrale Vergütungsverhandlungen und -abschlüsse) auch etwas mit Solidarität oder eher mit Zentralismus und den Machtgelüsten von Funktionären auf Bundesebene zu tun haben, war in der RFFU und ist in der Fachgruppe RFAV-Medien höchst umstritten. Ich kann mich an die Diskussion um den eMTV und das Argument: Da wird dann zukünftig nach dem Geleitzugprinzip verhandelt – der schwächste bestimmt das Tempo – noch gut erinnern und gestehe, dass ich es seinerzeit selbst benutzt habe, als der Verband WDR dem bereits ausverhandelten Tarifwerk nicht beigetreten ist. Dass ich dieses Argument heute für falsch halte, hat vielleicht auch etwas mit meinen neun Jahren Bundesvorstand zu tun. Aber dennoch: Bis heute bin ich nicht zum Zentralis-ten geworden, bin aber überzeugt, dass wir die schwierige Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht meistern werden, wenn wir uns nicht stärker vom Solidaritätsgedanken und etwas weniger – nein, deutlich weniger – vom Be-triebsegoismus leiten lassen. Dass die Arbeitgeber uns seit Jahren die Vorteile nicht nur der zentralen Absprache, sondern auch des zentral gesteuerten Vorgehens bei Verhandlungen vormachen, sollte ein weiteres Argument gegen das Beharren auf senderverbandseigenen Regelungen über alles und jedes sein. Das teilweise immer noch vorhandene Bewusstsein (beim Widerstand gegen den Altersversorgungs-TV bei einigen Verbänden wurde das ganz deutlich), man könne durch Separatlösungen vielleicht doch etwas günstigere Ergebnisse für den eigenen Betrieb herausholen, passt meines Erachtens nicht mehr in eine Situation, wo Sender um ihr Überleben kämpfen und bereits der Finanzausgleich zum politischen Kampfinstrument geworden ist. Ein Auseinanderdriften der Arbeitsbedingungen und der Personalkosten aufgrund unterschiedlicher Tarifbedingungen wäre allerdings das endgültige Ende allerBemühungen um einen Ausgleich zwischen finanzschwachen und finanzstarken Anstalten.
Bezug zum Öffentlichen Dienst
Neben der grundlegenden Frage nach dem Verhältnis zwischen Solidarität und berechtigtem Eigeninteresse, zwischen Zentralismus und gewollt dezentraler Struktur spielt die zweite lebenslange Diskussion in der Tarifpolitik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sicher eine untergeordnete Rolle, nämlich die über die Bedeutung des öffentlichen Dienstes für die Tarifabschlüsse im Rundfunk. Nach einer sehr langen Zeit der totalen Bindung der Gehaltstarife an die ÖD-Abschlüsse kam es nach und nach bei allen Anstalten, zuletzt beim SFB, zur Aufkündigung der Bindungsklauseln. Im Vordergrund stand nun das Bemühen, den Rundfunk vom öffentlichen Dienst tarifpolitisch zu emanzipieren – mit nicht überwältigendem Erfolg. Zu stark war immer wieder der Druck der Anstalten und insbesondere ihrer Gremien, den tarifpolitischen Gleichklang zumindest in den Grundzügen beizubehalten. Der Altersversorgungs-TV mit seiner ganz neuen Finanzierungsmethodik war hier ein beachtlicher Schritt auf dem Weg zur Unabhängigkeit.
Der diesjährige Abschluss im Öffentlichen Dienst mit seiner politisch motivierten skandalös langen Laufzeit verschafft vielleicht etwas Freiraum für einen neuen Anlauf. Dennoch wird es meines Erachtens nie zu einer völligen Unabhängigkeit vom Öffentlichen Dienst kommen – zu sehr ähneln sich Strukturen und Traditionen. Wer keine Privatisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks will, und das will ja wohl niemand in unserer Gewerkschaft, wird sich mit einer gewissen tarifpolitischen Nähe zum ÖD abfinden müssen. Eine Konsequenz sollte die Fachgruppe, erst recht wenn es zum Zusammenschluss mit der ÖTV kommen sollte, allerdings endlich ziehen: wir sollten nicht länger die Straßenbahner und die Müllwerker für uns die Kohlen aus dem Feuer holen lassen, sondern auch mal einen Solidaritätsstreik wagen oder am besten durch gleiche Laufzeiten für synchrone Verhandlungen sorgen. Dann stellt sich – gegenseitige – Solidarität von alleine her.