Über den Streik und den erstrittenen Tarifabschluss für Redakteure an Tageszeitungen sprach «M» mit dem ver.di-Verhandlungsführer Frank Werneke.
«M»: Redakteure an Tageszeitungen waren vier Wochen im Streik, damit es keine Verschlechterungen im neuen Manteltarifvertrag gibt – vergeblich. Ist das Ergebnis ein Schritt rückwärts?
Frank Werneke: Nein, so würde ich das nicht bewerten. Wir haben uns in einer Abwehrauseinandersetzung befunden. Es ist gelungen, wesentliche Forderungen der Verleger, die das Berufsbild des Journalisten vollständig in Frage gestellt haben, abzuwehren. Die Ausweitung der regelmäßigen Arbeitszeit, Öffnungsklauseln, die zu massiven Tarifeinschnitten auf der betrieblicher Ebene geführt hätten, wurden verhindert. Es gibt keine Streichung bei den Berufsjahren. Und nicht zu Vergessen: Die Verleger wollten die Streichung von fünf Urlaubstagen und eine Reduzierung des Urlaubsgeldes um 40 %. Dass wir überhaupt soweit gekommen sind, ist den über 3.000 am Arbeitskampf beteiligten Redakteurinnen und Redakteuren zu verdanken. Was sie in den letzten vier Wochen geleistet haben, auch an politischer Diskussion, an der Entwicklung eines neuen Gefühls für den Stellenwert von Tarifpolitik und Tarifverträgen, an gelebter Solidarität trägt weit über diese Tarifrunde hinaus. Vielleicht ist es sogar das eigentliche Kapital, das wir mit diesem Abschluss verbuchen können. Deshalb nochmals großen Dank an die Streikenden.
Dennoch ist das Tarifergebnis natürlich auch unbefriedigend, weil es klare Verschlechterungen im Manteltarifvertrag mit sich bringt. Das betrifft vor allem die Urlaubstage, aber auch die Höhe des Urlaubsgeldes. Das ist ärgerlich und führt nachvollziehbar zu Kritik bei den dju-Mitgliedern.
«M»: Warum war nicht mehr möglich?
Frank Werneke: Das Ergebnis ist Ausdruck des derzeitigen Kräfteverhältnisses. Wir können stolz auf das sein, was in diesem Arbeitskampf erreicht wurde. Aber es hat auch Schwächen in der Mobilisierung gegeben. Etwa bei den überregionalen Tageszeitungen. Es ist auch nicht ausreichend gelungen, mit den Streiks die Herausgabe der Tageszeitungen zu beeinträchtigen. Das waren Schwächen, die natürlich ihren Widerhall im Tarifergebnis haben.
Aber es bleibt dabei: Es war die intensivste Streikbeteiligung der Nachkriegszeit im Redakteursbereich. Von fast 14.000 fest angestellten Redakteurinnen und Redakteuren waren 3.000 an Warnstreiks und Streiks beteiligt. Viele Kolleginnen und Kollegen ununterbrochen über Wochen. Das finde ich bemerkenswert.
«M»: Gemeinsam sind wir stark, heißt ein Slogan von ver.di. Warum hat sich die Technik nicht mit den Redakteuren solidarisiert?
Frank Werneke: Es hat eine Reihe von Solidaritätsstreiks gegeben vor allem in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und in Bayern, aber auch in anderen Bundesländern. Jeder für sich war wertvoll. Zwei Gründe würde ich dafür sehen, dass es nur einige waren. Auf der einen Seite haben Solidaritätsstreiks rechtlich harte Begrenzungen. Nur dort, wo es intensive Streikbewegungen von Redaktionen gibt, kann zu Solidaritätsstreiks aufgerufen werden – und auch dann nur im entsprechenden Umfang. Die sogenannte Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben. Das hat auch bei unserer Streikbewegung die Zahl der Betriebe, in denen Soli-Streiks der Technik möglich gewesen wären, deutlich eingeschränkt.
Es gab aber – ganz offen – auch noch einen anderen Grund. In einer Reihe von Häusern herrscht aufgrund von Enttäuschungen aus der Vergangenheit keine ausgeprägte Bereitschaft der Technik, bei Redakteursstreiks mit auf die Straße zu gehen. In den vergangenen Wochen ist neue Gemeinsamkeit gewachsen, aber nicht überall war es möglich, in der zur Verfügung stehenden Zeit Brücken zu bauen.
«M»: Woran liegt es, dass Redakteure so wenig für ihre eigenen Belange streiten?
Frank Werneke: Der entscheidende Punkt bei dieser Tarifrunde war, dass es nicht in erster Linie um Geld gegangen ist. Wenn die Journalistengewerkschaften in der gegenwärtigen Zeit eine überdurchschnittliche Gehaltsforderung gestellt hätten, wäre die Unterstützung sicher nicht so ausgefallen. Es ging um die Frage, wie wird der besondere Charakter des Berufes der Journalistinnen und Journalisten durch die Verlegerforderungen angegriffen. In welchem Maße ist es überhaupt noch möglich, einen Qualitätsanspruch in der Zeitung durchzusetzen. Es war also eine sehr grundsätzliche Auseinandersetzung. Das erst führte zu dieser Beteiligung. Streiks – in einer Zeit, die auch von Angst um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes geprägt ist. Im redaktionellen Bereich sind fast 10 Prozent aller Arbeitsplätze in den letzten zwei Jahren verloren gegangen. „Es hat viele kleine Wunder gegeben“, wurde das von einer Kollegin in einer Streikversammlung, an der ich teilgenommen habe, sehr treffend beschrieben. Und in der Tat: Es haben sich Kolleginnen und Kollegen aus Redaktionen am Arbeitskampf beteiligt, wo ich das vor Wochen nie erwartet hätte.
«M»: Die Stimmung im Arbeitskampf war nie euphorisch, dennoch wurde er mit viel Engagement und Ideen geführt. Kann vor allem den Aktiven das Ergebnis vermittelt werden?
Frank Werneke: Ich weiß, dass es gerade bei jenen, die teilweise mehrere Wochen vor dem Tor gestanden haben, Enttäuschung gibt. Aus der Perspektive von Redaktionen, die sich sehr geschlossen und phantasievoll am Arbeitskampf beteiligt haben, ergibt sich die Vorstellung, dass doch mehr raus zu holen gewesen sein müsste und in den Verhandlungen nicht alles rausgeholt wurde, was möglich gewesen wäre. Gleichzeitig stelle ich fest, dass sich gerade die Kolleginnen und Kollegen aus wichtigen Streikbetrieben sehr realistisch mit dem Tarifergebnis auseinander setzen. Sie sehen ja auch, wo es Mobilisierungsdefizite an anderer Stelle gegeben hat. Von daher bin ich optimistisch, dass mit einem gewissen Abstand das Ergebnis nicht als Niederlage empfunden wird, sondern als das, was unter den Bedingungen möglich war. Letztlich spiegelt sich das auch in dem Ergebnis der Urabstimmung wider, 67 Prozent stimmten für die Annahme des Tarifabschlusses. Teilweise schwer erträglich finde ich die wilden Protestmails der letzten Tage, die mich von Kolleginnen und Kollegen aus Redaktionen erreicht haben, wo es nicht mal Protestaktionen gegeben hat. Dieser Unmut, zum richtigen Zeitpunkt mutig gegen die Verleger gerichtet, hätte zu einem besseren Tarifabschluss geführt.
«M»: Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber Werner Hundhausen sagte, dass mit dem Abschluss der Einstieg in eine dringend notwendige dauerhafte Korrektur des Tarifniveaus erreicht worden sei. Stehen wir vor einer unaufhaltsamen Korrektur nach unten?
Frank Werneke: Das Tarifergebnis ist eine Momentaufnahme. Die Verhandlungen fanden unter Bedingungen statt, die durch die schwierige wirtschaftliche Situation einiger Zeitungsverlage, den Abbau von Arbeitsplätzen und all den damit verbundenen Ängsten, gekennzeichnet waren. Diese Rahmenbedingungen werden – zumindest in diesem Ausmaß – nicht dauerhaft sein.
Im Anzeigengeschäft sind bereits jetzt leichte Erholungszeichen sichtbar. Die Verlagskonzerne schreiben deutliche Gewinne. Wenn unsere Durchsetzungsbedingungen wieder besser sind, werden wir versuchen, den Manteltarifvertrag wieder in unsere Richtung zu verbessern. Ich glaube auch, dass die breite Streikbeteiligung ein Zeichen für die Verleger ist. Sie müssen vorsichtig sein, falls sie vorhaben, dauerhaft solche Minusrunden zu fahren. Angesichts dessen, was die Verleger ursprünglich mal gewollt haben, sind sie ja in dieser Runde ziemlich flach gelandet.
«M»: Wie wirkt sich der Abschluss auf künftige Tarifrunden aus? Vor der Tür stehen die Verhandlungen für Redakteure an Zeitschriften und in der Druckindustrie ?
Frank Werneke: Bei den Zeitschriften gehe ich von einer ganz normalen Gehaltsrunde aus, bei der die Bäume zwar nicht in den Himmel wachsen, aber wir werden versuchen, die branchenüblichen Gehaltsanpassungen durchzusetzen. Die Situation bei den Zeitschriften rechtfertigt es keinesfalls, Abstriche beim Mantel vorzunehmen. Hinzu kommt, dass das Niveau z. B. beim Urlaubsgeld schon jetzt niedriger ist, als bei den Redakteuren an Tageszeitungen.
In der Druckindustrie wollen die Arbeitgeber den bisherigen Mantel ebenfalls heftig verschlechtern. Das wird eine sehr harte Auseinandersetzung, die im kommenden Frühjahr in die entscheidende Phase tritt. Mit einem Urlaubsgeldanspruch von 80 Prozent und bis zu 34 Urlaubstagen, wie jetzt für Tageszeitungsredakteure vereinbart, sehe ich für die Druckindustrie aber keine Vorbelastung. Das ist deutlich über dem Niveau der Tarifverträge für die Druckindustrie. Es gibt es keine Notwendigkeit, die Druck- und Verlagsangestelltentarife abzusenken.
Das Gespräch führte Karin Wenk