Die Entstehung des ÖRR in Deutschland

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Foto: Auchiv

Im Jahr 1945 strahlten die deutschen Radiosender Programme der Militärregierungen aus. Zum Beispiel Norddeutschland. Dort hatte der nationalsozialistische Reichssender Hamburg am 3. Mai seine Tätigkeit eingestellt. Nur wenige Stunden später besetzten britische Soldaten das Funkhaus und schon am 4. Mai erklang eine neue Ansage: „This is Radio Hamburg, a station of the Allied Military Government.”

Gleichzeitig strahlte der nicht weit entfernte Nebensender Flensburg noch bis zum 9. Mai NS-Durchhalteparolen aus und war noch einige Tage als Sprachrohr der provisorischen Regierung Dönitz tätig.

Nach der Kapitulation berichteten zunächst nur Rundfunkprogramme der Allierten – den Deutschen war dies untersagt. In der Weimarer Republik war der Rundfunk als Staatsrundfunk definiert und als eine Art staatliche Verwaltung konzipiert. Das hatte den Nationalsozialisten die völlige Gleichschaltung der Medien zu einer Propagandamaschine für ihre Zwecke erleichtert.

Den Alliierten war klar. Nie wieder sollten die Medien ein zentrales Instrument staatlicher Informationskontrolle sein. Durch eine freie und unabhängige Berichterstattung sollte der Rundfunk zur „Reeducation“ und zum Aufbau einer demokratischen Öffentlichkeit beitragen. Man war der Überzeugung, „dass der entscheidende Einfluss auf die Mittel der öffentlichen Meinungsbildung wie Presse und Rundfunk diffus verteilt sein soll und von jeder Regierungseinwirkung freigehalten sein muss“, hieß es in einer Anordnung der US-Militärregierung von November 1947.

Bereits ab 1946 begannen die Westalliierten nach und nach damit, die Sender wieder in die Hände deutscher Verantwortlicher zu geben. (Den sich neu formierenden deutschen Parteien passte das Alliiertenkonzept eines unabhängigen Rundfunks allerdings zunächst überhaupt nicht ins Konzept.)

Verschiedene Sender in Ost und West

In der Aufbauphase griffen die Alliierten zunächst auf eigene Leute zurück. Erst nach und nach wurden diese von deutschen Mitarbeiter*innen ersetzt. Man vertraute lieber auf unerfahrene, politisch unbelastete Newcomer als auf die alten Kader. Das galt für alle vier Besatzungszonen, aber wenig später hörten die Gemeinsamkeiten schnell auf. Westmächte und Sowjets konnten sich schon bald nicht mehr über ein koordiniertes Vorgehen einigen. Der aufziehende kalte Krieg hinterließ seine Spuren auch in der Medienpolitik. Bald organisierte jede Besatzungsmacht ihren eigenen Rundfunk. Es entstanden mehrere Sender, die neben Nachrichten, Hörspielen und Musik auch politische Beiträge sendeten. Briten und Franzosen riefen mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk und dem Südwestfunk jeweils eine Anstalt für ihre Landkreise ins Leben. Die US-Amerikaner errichteten mit dem Bayerischen, Hessischen, Süddeutschen Rundfunk und Radio Bremen vier eigenständige Sender. In Berlin sendete zudem der Sender Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS), als „Gegenprogramm“ zum Berliner Rundfunk. Dieser stand wie der Mitteldeutsche Rundfunk und der Deutschlandsender unter der Kontrolle der sowjetischen Militärkommandantur. Die Rundfunkanstalten in Ostdeutschland sollten nach dem Willen der Sowjetunion vor allem den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung ideologisch vorantreiben.

In der Ablehnung jeder Form von Staatsrundfunk waren sich die Westalliierten einig. Briten und Franzosen hatten sich den amerikanischen Vorstellungen angeschlossen. Da es angesichts der darniederliegen Wirtschaft im zerstörten Nachkriegsdeutschland sowie der fehlenden Tradition unmöglich gewesen wäre, einen kommerziell betriebenen Hörfunk im US-amerikanischem Stil aufzubauen, blieb nur der Aufbau von Sendern nach dem Vorbild der British Broadcasting Corporation (BBC): staatsfern, durch Gremien kontrolliert, aus Gebühren finanziert. „Ein Instrument wie der Rundfunk sollte nicht durch die politischen Parteien oder eine Regierung beherrscht werden“, so skizzierte damals auch der britische Militärgouverneur Christopher Steel das rundfunkpolitische Credo der Siegermächte. „Er muss in der Lage sein – wenn nötig – die Handlungen von Parteien und Regierungen zu kritisieren.“

Entstehung per Verordnung

Als „Chefarchitekt“ des Nordwestdeutschen Rundfunks gilt der Deutschlandkenner und Rundfunkexperte Hugh Carleton Greene, seit dem 1. Oktober Chief Controller für das Rundfunkwesen in der britischen Zone. Der Sender wurde nicht über ein kompliziertes Gesetzgebungsverfahren, sondern einfach per Verordnung begründet. Personal- und Programmpolitik trafen auf harte Kritik der sich wieder neu formierenden Parteien. Die deutschen Politiker mochten sich nicht mit einer Beschneidung ihres direkten Einflusses abfinden. In den ersten „Hauptausschuss“, den späteren Rundfunkrat des NWDR, schickten sie vorzugsweise eigene Regierungsmitglieder aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg – entgegen dem Geist des angestrebten Modells, möglichst Staatsferne zu garantieren. Zum ersten deutschen Generaldirektor wählte der Verwaltungsrat 1948 den niedersächsischen Kulturminister Adolf Grimme (SPD).

Landesrundfunkanstalten entstehen

So entstanden noch vor der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 sechs autonome Landesrundfunkanstalten in Westdeutschland von recht unterschiedlicher Größe. Die Leitidee eines Rundfunks für alle, als Diskussionsforum der Gesellschaft statt eines staatlichen Verlautbarungsinstruments, blieb weiterhin umstritten. In den fünfziger Jahren verstärkten sich Versuche der Politik, ihren Einfluss auf Personal und Programm der Sender auszuweiten. Erste Schritte in diese Richtung erfolgten in West-Berlin. Die Politiker der ehemaligen Hauptstadt, die sich als Vorposten im sich zuspitzenden Kalten Krieg betrachteten, wollten nicht länger nur durch eine Filiale des NWDR rundfunkmäßig versorgt werden. Schließlich unterstand der RIAS bis zum Ende der Teilung Deutschlands offiziell den US-Amerikanern. Doch erst im Juni 1954 nahm der Sender Freies Berlin (SFB) als siebente westdeutsche Rundfunkanstalt seinen Programmbetrieb auf.

Auch das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen wollte nicht Teil einer von Hamburg aus geleiteten Rundfunkorganisation bleiben. Mit dem Anfang 1955 unterzeichneten „Staatsvertrag über die Liquidation des NWDR und die Neuordnung des Rundfunks im bisherigen Sendegebiet des NWDR“ war der Weg für einen eigenständigen WDR in Nordrhein-Westfalen frei. Zeitgleich gründeten die drei norddeutschen Länder Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein aus den verbleibenden NWDR-Resten den NDR. Bereits 1950 hatten sich die jungen Rundfunksender zur „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“ – späteres Kürzel ARD – zusammengeschlossen.

1961 Das „Fernsehurteil“ des Bundesverfassungsgerichts

Nach den Landespolitikern suchte auch die Bundespolitik Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu erlangen. Manöver mit dem Ziel, den Funk in ein Instrument zur Verfolgung eigener politischer Interessen umzuwandeln, verstärkten sich besonders ab Mitte der fünfziger Jahre, als das 1952 gestartete Fernsehen zum Massenmedium wurde.

Der krasseste Versuch fand 1960 statt. Damals schickte Konrad Adenauer (CDU), der erste Kanzler der noch jungen Bundesrepublik, sich an, eine zweite Fernsehkette, einen bundesweiten Staatssender aufzubauen. Ihm war die Berichterstattung der ansatzweise kritischen ARD ein Dorn im Auge. Im Bündnis mit Verlegern und Unternehmern gründete er die „Deutschland Fernseh GmbH“. Die SPD-geführten Bundesländer klagten dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht und stoppten das Projekt durch eine Einstweilige Verfügung.

Darin qualifizierten die Karlsruher Richter das Konzept der Deutschland Fernseh GmbH als verfassungswidrig. Für die Organisation des Rundfunks seien die Länder zuständig, der Bund hingegen nur für die Rundfunktechnik, so die klare Ansage. Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik wurde somit eine klare Trennung zwischen dem sendetechnischen Bereich und dem Veranstalter gezogen. Begleitet von dem berühmten Leitsatz: Der Rundfunk als modernes Instrument der Meinungsbildung darf weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert werden. Es müsse also eine „freie, umfassende und wahrheitsgemäße Meinungsbildung gewährleistet“ sein. Ein Prinzip, das unverändert Gültigkeit hat, von den Mächtigen aber immer wieder in Frage gestellt wurde. Daher gilt bis heute: Jeder Versuch von Regierungen und Parteien, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Spielball ihrer Interessen zu machen, muss zurückgewiesen werden.

 

 

 

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