„Angela Merkel – Mutti oder Eiskönigin“, fragt eine ARTE-Dokumentation über die Bundeskanzlerin im Dezember 2016. „Die SPD-Basis feiert ihre ‚Landesmutter'“, titelt das Handelsblatt im Februar 2017 zum Wahlkampfauftakt von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Zwei Amtsinhaberinnen stellen sich im Mai und im September wieder zur Wahl. Ist Politik weiblicher geworden und haben sich die Medienbilder gewandelt – hin zu mehr Gleichstellung?
Von den Abgeordneten im Bundestag sind 36,5 Prozent weiblich, im NRW-Landtag sind es knapp 30 Prozent. „Auf der politischen Bühne bewegen sich Frauen mittlerweile als machtbewusste Akteurinnen. Sie bilden als politische Funktionsträgerinnen zwar keine Mehrheit, sie stellen aber auch keine Besonderheit mehr dar“, konstatierten die Feministischen Studien bereits 2014 in ihrem Heft zu Frauen im öffentlichen Raum.
Das spiegelt sich auch in den Medienbildern von Politikerinnen wider. Untersucht wurde das von der Journalistin und Medienberaterin Dorothee Beck in ihrer 2016 veröffentlichten Dissertation am Beispiel von SPD-Spitzenkandidatinnen bei Landtagswahlen innerhalb von 18 Jahren. Als Renate Schmidt 1994 in Bayern antrat, wurde sie stark sexualisiert präsentiert: „Renata erotica“ oder „barockes Vollweib“. Zu dieser Zeit galten Politikerinnen noch als „Ausnahmefrauen“, Weiblichkeit und Politik erschienen als Widerspruch, denn politische Kompetenz war an die männliche Norm gekoppelt. Auch Heide Simonis, die von 1996 bis 2005 als Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein regierte, „wurde an den männlich kodierten Maßstäben im politischen Feld gemessen“, schreibt Beck. Die Frau mit den originellen Hüten sei in den Medien die „kompetente Politikerin“ und gleichzeitig wegen ihrer Modevorlieben „die spleenige Frau“ gewesen – zwei Zuschreibungen, die zwar nicht mehr als gegensätzlich, aber fast unverbunden neben einander präsentiert würden.
Positive Inszenierung des weiblichen Politikstils
Mit Hannelore Kraft, seit 2010 NRW-Ministerpräsidentin, „war das weibliche Geschlecht in medialer Logik nicht mehr unvereinbar mit dem Status einer handlungsmächtigen politischen Persönlichkeit“, stellt Beck fest. Kraft werde als Bildungsaufsteigerin, „die Frau, die sich nicht traut“, aber auch „bodenständig und direkt“ dargestellt. Geschlecht erscheine hier als persönliches Merkmal – quasi als Synonym für Charaktereigenschaften wie Warmherzigkeit, Fürsorge, Empathie, Kommunikations- und Integrationsfähigkeit.
Beck resümiert, mittlerweile sei „die Landesmutter dominante mediale Metapher für die Frau als mächtige Politikerin“. Frauen in der Politik würden weiterhin als „andersartig“ konstruiert, allerdings habe es eine Bedeutungsverschiebung gegeben, so Beck: „von anders=schlechter zu anders=besser“. Mit der positiven Inszenierung des „weiblichen Politikstils“ gehe eine „leise mediale Kritik am männlichen Politik-Habitus“ einher. Gleichzeitig sei „männlich“ nämlich nicht mehr vorausgesetzte Norm, sondern werde genauso wie „weiblich“ auch explizit genannt. Die „Landesmutter“ besiegt also das „Alpha-Männchen“!
Diese Mechanismen werden auch in medialen Präsentationen von Politikerinnen anderer Parteien und auf Bundesebene wirksam, wie andere Studien belegen. So löste die „Mutter der Nation“ Angela Merkel 2005 Basta-Kanzler Gerhard Schröder ab. Ihr werde Mütterlichkeit zugeschrieben, obwohl sie „mit privat-emotionalisierenden Äußerungen äußerst sparsam umgeht“, konstatieren die Genderforscherinnen Margreth Lünenborg und Tanja Maier 2012 in „Ungleich mächtig“ , einer Analyse über Spitzenfrauen in dem Medien. Bei Merkel bezeichne die Mutter-Metapher „ihren Führungsstil“, der nicht durch Machtrituale, sondern Arbeit hinter den Kulissen geprägt sei. Die Zeit thematisierte diesen 2016 folgendermaßen: Merkels Beraterkreis bestehe „zu einem guten Anteil aus Frauen und aus ‚minimalinvasiven Männern’“, die sich „dem im Kanzleramt vorherrschenden weiblichen Stil anpassen“, der so aussieht: „konkurrenzarm, no bullshit, kein Lemmingrennen darum, wer sich am meisten aufreibt und nachts möglichst viele Selbstzweckmails raushaut.“
Privates und Politisches wird harmonisiert
Das neue Medienbild von Politikerinnen ist nach Beck auch dadurch gekennzeichnet, dass öffentliche und private Sphäre sich ergänzen. Mit dem vermeintlichen Widerspruch zwischen den Anforderungen beider Sphären – weiblich und zugleich politisch kompetent zu sein – waren Spitzenpolitikerinnen als Ausnahmefrauen noch konfrontiert. Nun aber löse sich dieses Dilemma auf, wenn Politikerinnen Privatleben und öffentliches Auftreten harmonisieren. Gebe es eine Kluft zwischen beidem, werde ihre Glaubwürdigkeit, Kompetenz und Handlungsmacht in Frage gestellt.
Diese Synchronisation von Vorder- und Hinterbühne wird in Zeiten der Mediendemokratie allerdings auch von Männern in der Politik erwartet. So hatte der Sozialwissenschaftler Andreas Heilmann 2011 in einer Studie über vier homosexuelle Spitzenpolitiker festgestellt, dass ihre öffentlichen Outings als „Ausweis von Authentizität und Glaubwürdigkeit“ erschienen. Am Beispiel von Volker Beck, Klaus Wowereit, Ole von Beust und Guido Westerwelle zeigt er, dass mit dem neuen Bild vom „weltoffenen Staatsmann“ allerdings nur eine prekäre „Normalität auf Bewährung“ entsteht.
Doch auch die Normalisierung der Medienbilder von Politikerinnen scheint prekär zu sein, denn sie genießen eine „bedingte Anerkennung“, wie in der Studie „Ungleich mächtig“ festgestellt wurde. Immer noch existieren neben Bildern wie von der bodenständigen Kümmerin aus dem Ruhrpott, das von Hannelore Kraft gezeichnet wird, weiterhin sexualisierende Klischees – etwa im Fall von Familienministerin Manuela Schwesig, die jüngst als „Küsten-Barbie“ diskriminiert wurde. Und die Bildzeitung fragt 2017 wieder nach dem Sex-Appeal von Politikerinnen!
Auch Beck ist skeptisch, dass der Wandel in den Medienbildern nur „rhetorische Modernisierungen“ sind, die „Geschlechterungleichheiten im politischen Feld verschleiern und den Diskurs über Strategien zur Veränderung erschweren können“. Das muss nicht sein, wenn die Gleichstellung der Geschlechter in Politik und Medien auf der Agenda bleibt – nicht nur alljährlich zum Frauentag!