Konfliktfelder programmiert

Der Bundestag hat gestern das neue Bundesdatenschutzgesetz verabschiedet, womit es endlich der europäischen Datenschutz-Grundverordnung angepasst wurde. Freuen darüber kann man sich kaum, denn der Bundestag hat nicht alle europarechtswidrigen Regelungen beseitigt, die das Bundesinnenministerium im Namen eines selbst definierten „Gestaltungsauftrags“ in den Entwurf eingebracht hatte.

Beispielsweise gibt es noch immer Ausnahmen von der Auskunftspflicht für Unternehmen gegenüber Betroffenen, wenn sie diese Daten analog speichern. Der TÜV Rheinland kam angesichts dieser und anderer Ausnahmeregelungen zu Gunsten der Unternehmen zu dem Schluss: „Vergesst das Datenschutzanpassungsgesetz!“ Denn letztlich werden sich Aufsichtsbehörden und Gerichte im Konfliktfall nach der Datenschutzgrundverordnung orientieren, was den Unternehmen teuer zu stehen kommen könnte.

Zu den europarechtswidrigen Bestandteilen gehört auch die Entmachtung der Bundesdatenschutzbeauftragten. Ihr wurde das Recht genommen, gegenüber Sicherheitsbehörden eine Anordnung zu erlassen, wenn diese beispielsweise ihre Beanstandungen ignorieren. Diese Einschränkung ihrer Befugnis ist bedenklich, denn so kann etwa das Bundeskriminalamt sein neues IT-System für Bund und Länder umsetzen, das ebenfalls gestern beschlossen wurde und das Juristen im Vorfeld als potenziell verfassungswidrig bezeichnet hatten. Auch kann es vorerst ungestört die nationale Fluggastdatenbank für alle Flüge innerhalb und außerhalb der Europäischen Union aufbauen. Ebenfalls ein Beschluss des gestrigen Marathons bei der Verabschiedung mehrerer Gesetze. Man darf gespannt sein, ob sich die Bundesdatenschutzbeauftragte in diesem Fall ihr Recht nach Europarecht einfach herausnehmen wird.

Angesichts dieser eigenwilligen Ausnahmen und Beschränkungen wiegen die offenkundigen Versäumnisse umso stärker. So hat es der Bundestag bisher versäumt, für die Presse mögliche Ausnahmen von zahlreichen Kapiteln der Grundverordnung vorzusehen, sofern dies für den Ausgleich der Grundrechte notwendig ist. Zwar können die in Deutschland vor allem im Landesrecht geregelten besonderen Datenschutzbestimmungen bei Presse und Rundfunk fortgelten. Gleichwohl könnte es künftig öfter zu Konfliktfällen kommen, die einen Gang vor das Gericht erfordern werden. Schlimmstenfalls könnten Journalisten schon im Vorfeld von einer Berichterstattung absehen, um die Gerichtskosten zu vermeiden. Etwa wenn ein Hinweisgeber möglicherweise tatsächlich „berechtigte Interessen“ geltend macht, um jeden einzelnen Rechercheschritt unter Vorbehalt seiner Einwilligung kontrollieren zu können. Besonders betroffen wäre aber der ganz normale Bürger, denn anders als die Presse kann er sich auf kein Privileg berufen.

Beobachter gehen davon aus, dass eine landesrechtliche Regelung nicht genügen wird und dass nur ein Bundesgesetz zur Presse- und Meinungsfreiheit den gegenwärtigen formalen Vorrang des datenschutzrechtlichen „Verbotsprinzip“ zurücknehmen könnte. Damit sind nur einige der künftigen Konfliktfelder angesprochen angesichts derer man sich der Forderung „Vergesst das Datenschutzanpassungsgesetz!“ anschließen möchte. Ignorieren hilft jedoch nicht. Denn gerade der Konflikt zwischen informationeller Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit könnte befeuert vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz bald für alle Journalisten unangenehme Folgen haben.

 

Weitere aktuelle Beiträge

Aktive Medien gegen Rechts

„Wie weiter?“ – unter dieser Fragestellung wollten am 7. Mai in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin Medienpolitiker*innen und Journalist*innen über „Visionen für eine demokratische Medienlandschaft“ diskutieren. Den Rahmen bildete das Roman Brodmann Kolloquium zum Oberthema „Rechtsruck in Europa! Ohnmacht der Medien?“ Anstelle von überzeugenden Visionen spiegelte die Debatte eher die Ratlosigkeit der Demokraten angesichts eines erstarkenden Rechtsextremismus.
mehr »

Von Drehtüren und Seitenwechslern

Seit gestern hat Deutschland eine neue Bundesregierung. Das Personalkarussell dreht sich - sowohl in der Politik als auch in der PR. Einige prominente Namen der künftigen Mannschaft von Bundeskanzler Friedrich Merz kommen aus dem Journalismus. Zu den spektakulärsten Seitenwechseln zählen die Personalien Stefan Kornelius und Wolfram Weimer. Kornelius, seit 2000 in leitender Funktion bei der Süddeutschen Zeitung, zuletzt als Ressortleiter Politik, tritt die Nachfolge von Steffen Hebestreit (SPD) als Regierungssprecher an. Mit Weimer wird gar ein Verleger („Business Punk“) und Publizist („Cicero“) und Ex-Focus-Chefredakteur neuer Staatsminister für Kultur und Medien.
mehr »

Rechtsextreme im Fernsehen

Durch meine Eltern habe ich Anstand und Respekt beigebracht bekommen. Daher missfällt es mir, Menschen nicht anzuhören, nur weil sie eine andere oder unliebsame Meinung vertreten. Das geht mir auch so bei der Frage, ob man Politikerinnen und Politiker der rechtsextremen AfD in TV-Talkshows einladen sollte. Ein grundsätzliches „Nein“ behagt mir nicht. Ein offenes „Ja“ kommt mir allerdings auch nicht über die Lippen, angesichts der AfD-Auftritte gerade im Vorfeld der jüngsten Bundestagswahl. Was also tun?
mehr »

Im Fokus: Justiz und Rechtspopulisten

Ein mildes Urteil ist es tatsächlich geworden: David Bendels, Chefredakteur des AfD-nahen „Deutschland-Kuriers“, ist am Montag vom Amtsgericht Bamberg zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Er soll die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit einem Post auf dem Kanal des „Deutschland-Kuriers“ der Plattform X verunglimpft haben. Faeser war mit einem Schild vor dem Körper zu sehen, auf dem steht: „Ich hasse die Meinungsfreiheit.“
mehr »