Flatrate für Journalismus?

Foto: Readly

Tausende Zeitschriften streamen mit Readly – Tageszeitungen noch nicht dabei

Wir brauchen ein Netflix für den Journalismus“, forderte Netzexperte Richard Gutjahr Ende vergangenen Jahres. In den USA scheint man diesem Geschäftsmodell nun einen Schritt näher. Tech-Gigant Apple will seinen Anfang des Jahres erworbenen Abo-Dienst für Zeitschriften „Texture“ um die Inhalte von Tageszeitungen erweitern. Deutsche Nutzer_innen können mit Readly seit 2014 zumindest Zeitschriften streamen – die Integration von Tageszeitungen ist dort aber vorerst nicht geplant. Ob das Erfolgsmodell Streaming hierzulande den Journalismus erobert, bleibt daher mehr als fraglich.

Wie das US-Techportal recode.net im September berichtete, plane Apple, seinen im März dieses Jahres ­erworbenen Abo-Dienst für Zeitschriften „Texture“ um die Inhalte von mehreren großen Tageszeitungen zu erweitern. Seit dem Sommer befänden sich dafür ­Apple-Manager um Onlinedienste-Chef Eddy Cue in Gesprächen mit der Washington Post, der New York Times sowie dem Wall Street Journal. Integriert werden soll das komplette Flatrate-Angebot für Zeitschriften und Tageszeitungen dann in die „Apple News“-App, mit der der Silicon-Valley-Konzern 2015 an den Start gegangen war und die mittlerweile auf iPhones und iPads in den USA, Australien oder Großbritannien vorinstalliert ist. Nach Angaben von Apple habe man damit im Januar 1,3 Milliarden aktive Mobilgeräte erreichen können – ein starkes Argument gegenüber den Verlagen, die New York Times etwa zähle laut recode.net derzeit 2,9 Millionen Digital-Abos. Gelingt Apples Plan, hätte der Tech-Riese damit eine Art Netflix des Journalismus geschaffen – freilich nur für den US-Markt, denn in Deutschland ist Apples Nachrichten-App bisher nicht verfügbar.

Journalismus streamen können Leserinnen und Leser hierzulande allerdings seit 2014 mit Readly. Das schwedische Unternehmen bietet seinen Nutzer_innen für 9,99 Euro im Monat eine Flatrate auf nach eigenen Angaben 3.662 Zeitschriften – darunter nicht nur deutsche, sondern auch internationale Titel. Abonnent_innen-Zahlen kommuniziert Readly nicht, allerdings seien in Deutschland die bezahlt gelesenen Inhalte im dritten Quartal 2018 um 12 Prozent auf über 7,2 Millionen Magazinausgaben gestiegen, so Unternehmenssprecherin Susanne Ardisson. „Von den 9,99 Euro schütten wir 70 Prozent an unsere Verlagspartner aus. Der genaue Betrag, der dabei beim einzelnen Verlag hängen bleibt, ist abhängig vom ­Leseverhalten des Nutzers.“ Heißt, je öfter ein Titel geklickt wird, umso mehr verdient der Verlag. Sollte es wie von Bundesfinanzminister Olaf Scholz im Oktober angekündigt nun zügig zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auch für digitale Zeitungen und Zeitschriften kommen, wolle man den durch die Senkung der Mehrwertsteuer entstehenden Mehrumsatz zudem netto an die Verlagspartner weitergeben.

Foto: Readly

Readly verstehe sich laut Ardisson als aktiver Partner, der die Verlage bei der Monetarisierung ihrer Inhalte über einen neuen digitalen Kanal unterstützt: „Readly hilft den Verlagen gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen bieten wir Reichweite und Extra-Umsatz ganz umsonst und ohne Gegenleistung. Zum anderen erhalten Verlage mit der Analytics-Funktion einen echten Mehrwert, indem wir spannende Infos über Nutzergruppen und deren Leseverhalten liefern.“ Bei Readly könnten Verlage demnach völlig risikolos und ohne Kosten einen Sales- und Marketing-Vertriebs­kanal erschließen.

Aufwand und Kosten gespart

Offenbar ist ein solches Angebot aber vor allem für kleinere Verlage interessant, die sich damit den Aufwand und die Kosten für ein eigenes Online-Geschäftsmodell sparen können. Denn Magazin-Titel von Spiegel und Zeit, aber auch Zeitschriften von Gruner+Jahr sucht man bei Readly vergeblich. Andere Verlage vertreiben dagegen nur einen Teil ihres Portfolios über Readly. Hubert Burda Media ist etwa mit Burda Style, Chip und Prinzessin Lillifee in der Magazin-Flatrate vertreten, andere Zeitschriften, darunter auch Zugpferde wie Bunte, Fit for Fun oder Freundin, fehlen jedoch. Warum das so ist und nach welchen Kriterien man sich für oder gegen die zusätzliche Vermarktung bestimmter Titel auf Readly entscheidet, dazu wollte sich das Unternehmen auf Anfrage allerdings nicht äußern.

Was Gruner+Jahr betrifft, so heißt es aus dem Unternehmen, man setze zwar auf einen „breiten Multiplattformvertrieb“, vermarkte die eigenen Titel digital über sehr verschiedene Kiosk-Modelle wie z.B. Blendle oder pressreader, lege den Fokus jedoch „auf unsere starken Marken, Angebote rund um unsere Marken und entsprechende Vertriebserlöse“. Flatrate-Anbieter wie Readly beobachte man aber dennoch. Eine „Entwertung“, sprich Kannibalisierung der eigenen Verlagsangebote durch Inhalte-Streaming, befürchtet man dagegen beim Zeit-Verlag. „Derzeit sehen wir durch das große Potential unserer Abo-Modelle keine Veranlassung, Readly als zusätzlichen Vertriebskanal zu nutzen. Für uns ist es gewinnbringender, an unseren eigenen Produkten und Vertriebskanälen zu arbeiten“, so eine Verlagssprecherin. Ähnlich sieht das auch Christoph Hauschild, Vertriebsleiter des Spiegel-Verlags. Qualitätsjournalismus wie ihn der Spiegel betreibe sei mit den Erlösen aus einem Vertriebsmodell wie Readly nicht finanzierbar: „In unserem Haus legen wir Wert auf besonders hochwertigen Journalismus. Dieser basiert z.B. auf einer breit aufgestellten Redaktion und hoch qualifizierten Mitarbeitern in der Dokumentation. Mit dem Geschäftsmodell von Readly können wir die wirtschaftliche Basis für diese Art von Journalismus nicht sicherstellen.“

So scheint es auch nicht verwunderlich, dass Readly vorerst keine Erweiterung seines Angebots um Tageszeitungen plant. Laut Unternehmenssprecherin Ardisson hätten die Skandinavier in der Anfangszeit in Schweden mit Flatrates für Tageszeitungen experimentiert. Funktioniert habe das allerdings nicht wirklich. „Die Monatsabos der Tagespresse liegen häufig bei 50 Euro. Das würde unser Geschäftsmodell, das sowohl für Verlage als auch für Nutzer sehr attraktiv ist, durcheinanderwerfen.“

Ohnehin stehen die Verlage dieser Idee eher skeptisch bis ablehnend gegenüber. Johannes Vogel, Geschäftsführer der Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH, ist wie Ardisson der Meinung, dass es bis heute kein Flatrate-Modell gebe, welches „ein für alle Seiten einträgliches Modell“ darstellen würde. Im Zeitschriftenbereich könnten auf Streaming basierende Geschäftsmodelle zwar durchaus Sinn machen, „da es dort keine bzw. nur sehr wenige wirtschaftlich trag­fähige Digitale-Geschäftsmodelle mit Paid Content gibt. Im Zeitungsumfeld sieht dies deutlich anders aus“. Die Süddeutsche Zeitung sei mit ihrem Paid Content-Modell SZ Plus seit einigen Jahren sehr erfolgreich. Süddeutsche.de-Chefredakteurin Julia Bönisch hatte gegenüber Horizont kürzlich sogar verraten, dass man mittlerweile mehr Geld mit Paid Content als mit Anzeigen verdiene.

Als „wirtschaftlich nicht attraktiv“ bewertet auch die FAZ die Idee einer Journalismus-Flatrate. Da man sich an „eine kleine, aber zahlungskräftige Zielgruppe“ richte, komme eine „Beteiligung an einem breiten Angebot vieler Medien und Gesamterlöse, die sich zwischen einem Plattformbetreiber und vielen oft populäreren Medien verteilen“, für die Frankfurter nicht ­infrage. Beim Zeit-Verlag bekundet man neben dem Erfolg der eigenen Abo-Modelle außerdem die Sorge vor einer „Verwässerung“ der journalistischen Marke als Folge einer solchen Content-Allianz zwischen unterschiedlichen Verlagen.

Wertschätzungskette muss stimmen

Ein „Netflix für den Journalismus“, wie es Richard Gutjahr vor genau einem Jahr im Interview mit dem Branchenmagazin Meedia gefordert hatte, rückt damit in eine ziemlich unüberschaubare Ferne. Einzig beim Spiegel zeigt man sich grundsätzlich gesprächsbereit. Vertriebsleiter Hauschild hält eine „starke Allianz“ für möglich, sofern gewisse Bedingungen erfüllt werden: „In so einem Modell muss allerdings die Wertschöpfungskette stimmen, damit es einen substantiellen Beitrag für eine solide Finanzierung eines unabhängigen Qualitätsjournalismus liefern kann.“ Entscheidend sei dabei neben einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der beteiligten Verlage die Entwicklung eines eigenen Geschäftsmodells sowie die Hoheit über die Kundenbeziehungen, „damit der wirtschaftliche Kern eines solches Modells nicht Dritten überlassen wird“.

Die Sorge vor dem Verlust der direkten Beziehung zu den Abonnentinnen und Abonnenten treibt indes auch die US-Zeitungen um, mit denen sich Apple in Gesprächen über seine geplante News-Flatrate befindet. Gepaart mit der Angst vor der Kannibalisierung der eigenen (und zumeist recht erfolgreichen) Abo-Modelle könnte dies dazu führen, dass der Deal letztendlich doch platzt. Ein deutsches Journalismus-Netflix erscheint damit umso unwahrscheinlicher. Denn im Gegensatz zu den Amerikanern, die potenziell den gesamten englischsprachigen Markt erreichen können, ist die Zielgruppe für deutschsprachige Inhalte ungleich kleiner. Eine für die Verlage dennoch attraktive Erlössituation müsste demnach durch einen entsprechend hohen Flatrate-Abo-Preis sichergestellt werden. Und dann wird man wieder die Gretchen-Frage stellen müssen: Wieviel sind die Nutzer_innen bereit für guten Journalismus zu zahlen?

 

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