Algeriens Journalisten kämpfen gegen Zensur

Journalistenprotest am 28. Februar 2019 auf dem Platz der Pressefreiheit in Algier
Foto: Reuters/Ramzi Boudina

„Das Recht die Hörer frei zu informieren“ und „Demokratie jetzt sofort“, wurde auf den Schildern gefordert, mit denen am 28. Februar Dutzende Journalist*innen des staatlichen algerischen Funk und Fernsehens (ENTV) in der Hauptstadt auf die Straße gingen. Sie demonstrierten mit einem Sit-In auf dem Platz der Pressefreiheit unweit des staatlichen Radiogebäudes „gegen Zensur“. Der konkrete Anlass: Im ganzen Land kommt es seit Wochen zu Protesten gegen die Kandidatur des schwerkranken, greisen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika um eine fünfte Amtszeit. In den staatlichen Medien erfährt man davon so gut wie nichts.

Die in Algier protestierenden Journalisten, denen sich auch Kolleg*innen aus den privaten Medien anschlossen, forderten ein „öffentliches Fernsehen und Radio“ statt staatlicher Kontrolle. Es dauerte nicht lange, bis die Polizei einschritt. Mehrere Journalist*innen wurden vorübergehend abgeführt. Ihnen drohen jetzt Strafen wegen Verstoßes gegen das in Algier seit Jahren herrschende Demonstrationsverbot.

Statt über die Proteste gegen eine fünfte Amtszeit zu berichten, zeigte das staatliche Fernsehen am letzten Februarwochenende, als erstmals landesweit koordinierte Mobilisierungen stattfanden, Bouteflika bei der Vereidigung des neuen Vorsitzenden des Verfassungsrates. Die kurzen Aufnahmen vom Präsidenten – die ersten seit Monaten – wurden kommentiert, als wäre es ganz normal, den alten Mann bei der Arbeit zu sehen. Der 81-jährige sitzt seit einem Schlaganfall 2013 im Rollstuhl. Internationale Gäste empfängt Bouteflika nur noch selten. Auf Reisen geht er schon lange nicht mehr. Wenn überhaupt, lässt er sich in der Präsidentenmaschine nach Frankreich oder die Schweiz zu Behandlungen und Untersuchungen bringen. Bouteflika wurde wie immer ohne Originalton gezeigt. Denn das Sprechen fällt ihm schwer.

„Wir sind weder für noch gegen ein fünftes Mandat. Wir Journalisten fordern das Recht, über die Ereignisse professionell und neutral berichten zu können. Wir fordern auch, dass die Sender für alle Tendenzen und alle politischen Parteien offen sind“, hieß es in einer Erklärung der demonstrierenden Journalist*innen und Techniker.

Bereits einen Tag bevor sie auf die Straße gingen, hatten sich die Mitarbeiter*innen des staatlichen Rundfunks ENTV ganz offiziell per Brief an den Generaldirektor der Anstalt gewandt. Die Beschäftigten seien es leid, sich „nichts als Vorwürfe der Verantwortungslosigkeit, der mangelnden Professionalität und des Verrats anhören zu müssen“. Sie beklagten in ihrem Brief die „administrative Willkür“ mit der gegen Kolleg*innen vorgegangen werde, die „eine persönlichen politischen Position zum Ausdruck gebracht haben“. Gemeint ist damit unter anderem die Nachrichtenchefin bei Radio Chaine 3, Meriem Abdou. Sie trat aus Protest über die mangelnde Berichterstattung von ihrem Amt zurück. Die Direktion strich ohne zu zögern Abdous beliebtes Programm „L‘histoire en marche“, das internationalen Konflikten und deren Ursachen auf den Grund geht.

Nachdem nun erneut überall im Land Hundetausende gegen die Kandidatur des alten Präsidenten auf die Straße gingen, zeigte Canal Algérie erstmals Bilder der Protestmärsche. Die Menschen wollten „einen friedlichen Wechsel“, hieß es. Parolen gegen Bouteflika waren nicht zu hören.

 

 

Weitere aktuelle Beiträge

AfD-Einstufung zwingt Rundfunkgremien zum Handeln

Das zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten des Verfassungsschutzes, welches zur Einstufung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextremistische Partei“ führte, wurde nunmehr durch Medien veröffentlicht. Innenminister Dobrindt ließ zunächst offen, inwiefern juristische Schritte gegen die Veröffentlichung geplant seien. Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im Bundesvorstand von ver.di, begrüßt, dass nun öffentlich über das Zustandekommen der Einstufung diskutiert werden kann.
mehr »

„Gewerkschaften müssen Schutz bieten“

Marina Weisband hat zuletzt zusammen mit Doris Mendlewitsch das Buch "Die neue Schule der Demokratie. Wilder denken, wirksam handeln." herausgegeben. Die 37-Jährige diskutiert im Gespräch mit M die Rolle von Medien und Gewerkschaften in autoritärer werdenden Staaten und wie das Geschäft mit der Aufmerksamkeit eine ungleiche Machtverteilung befördert.
mehr »

Soziale Medien: Nachbarschaft fördern

Die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zeigen, dass und wie Soziale Medien den Zusammenhalt in Nachbarschaften fördern können. Zwar sei eine niedrigschwellige Zugänglichkeit und eine auf realen Begegnungen basierende Vertrauensebene unerlässlich, aber die Online-Kommunikation schaffe unter Umständen eine neue Qualität sozialer Nähe, so die Forschenden.
mehr »

RBB: Nach- und Neubesetzungen

Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) wird es voraussichtlich im Herbst eine neue Leitung der Programmdirektion geben. Es gehe darum, dann die Neubesetzung mit dem eingeleiteten Konsolidierungs- und Reorganisationsprozess aufeinander abzustimmen, erklärte der RBB auf Anfrage. Damit wird es keine schnelle Nachbesetzung der Programmdirektorenstelle geben.
mehr »