Buchtipp: Plattform Europa

Europäische Politik werde „vor allem dann für die Medien attraktiv, wenn sie als Krise erzählt werden kann“. Es existiere ein „Teufelskreis aus Krise, News und Nationalismus“. So die stringente Europa-Analyse von Politikberater Johannes Hillje. Pünktlich zu den Europawahlen legt er seinen Vorschlag für eine Plattform Europa vor: Das Modell eines digitalen, öffentlich finanzierten sozialen Netzwerks.

Europa kränkelt: Brexit, Orban, mangelnde Solidarität in der Flüchtlingsfrage – derzeit stehen die Zeichen eher auf Desintegration als auf Einheit. Populisten und Natio­nalisten, dies eine zentrale These des Verfassers, haben einen „strukturellen Vorteil im politischen Wettbewerb der EU“: Öffentlichkeiten seien in Europa heutzutage „in erster Linie national und digital organisiert“. In der ­Berichterstattung herrsche eine „einseitige nationale Sicht auf europäische Belange“ vor. Europa verhandle europäische Themen in nationalen Filterblasen, die ­Öffentlichkeiten seien zu „Resonanzräumen für Populismus und Nationalismus“ geworden.

Dabei gebe es enorme „digitale Potenziale für eine ­europäische Öffentlichkeit“. Um sie zu heben, plädiert Hillje für eine „Plattform Europa“ in öffentlicher Hand. Dabei sollen die „dezentralen, nationenunabhängigen Strukturen des Netzwerks „endlich für die europäische Integration nutzbar gemacht“ werden.

Als „Basisausstattung“ einer solchen Plattform schlägt Hillje vier Bereiche vor. Erstens einen europäischen Newsroom, der sich an Kriterien wie Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit, Diversität und Pluralismus orientiert. An zweiter Stelle stehen Unterhaltungs- und Kultur­angebote „zur Repräsentation eines European Way of Life“. Hier knüpft Hillje an das vom ARD-Vorsitzenden Ulrich Wilhelm vorgeschlagene Modell eines Portals an, auf dem sich neben öffentlich-rechtlichen und privaten Medien auch Institutionen aus Wissenschaft und Kultur mit Angeboten beteiligen. Drittens ließe sich die Plattform als Verstärkung von Instrumenten politischer Beteiligung denken. Als Beispiel nennt der Autor das Petitionsportal „change.org“. Auch Umfragetools wie „pol.is“ oder „Liquid Democracy“ ließen sich integrieren. Viertens sollte es Apps geben, mit deren Unterstützung mehr Menschen von der europäischen Integration profitieren könnten. Warum nicht eine App zur Ausschreibung freier Stellen in ganz Europa oder eine App-Verstärkung von „Erasmus Plus“, dem europäischen Austauschprogramm für Auszubildende?

Auch in Sachen Finanzierung hat Hillje klare Vorstel­lungen. Das Budget der Plattform könnte zumindest teilweise aus einer Digitalsteuer für Google, Facebook & Co. stammen. Fazit: Eine kluge Handlungsanleitung für Verfechter einer demokratischen europäischen Öffentlichkeit.

Johannes Hillje: Plattform Europa

Warum wir schlecht über die EU reden und wie wir den Nationalismus mit einem neuen digitalen Netzwerk überwinden können.
Verlag J.H.W., Dietz Nachf., Bonn 2019, 176 Seiten, 18 Euro.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Viel Parteienfunk, wenig Transparenz

Im Gefolge des Skandals beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) werden auch die öffentlich-rechtlichen Kontrollgremien verstärkt kritisch beäugt. Geht es nach dem Urteil des Journalisten und Medienbloggers Peter Stawowy, dann ist das trotz einiger Reformbemühungen nach wie vor mehr als berechtigt. Zu starker Parteieneinfluss, mangelnde Transparenz, ineffiziente Strukturen -  dies nur einige der Defizite, die der Autor in seiner im Auftrag der Otto Brenner verfassten Studie ermittelt hat.
mehr »

„Bedrohung für die Menschheit“

Während Behörden und Institutionen auf regionaler, nationaler sowie EU-Ebene teilweise sehr kleinteilig Medienregulierung betreiben, gibt es kaum Möglichkeiten, gegen im Internet verbreitete Fakenews vorzugehen. Die immense politische Dimension, zeigen gezielte Desinformationskampagnen, die demokratische Staaten destabilisieren könnten. Eine neue Situation ergibt sich außerdem durch die Allianz von US-Präsident Trump und den Tech-Milliardären Elon Musk, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg und Tim Cook. Diese steinreichen Unternehmer kontrollieren den Großteil der Social Media Kommunikation in der westlichen Welt. Der Investigativjournalist Günter Wallraff sieht darin eine der größten…
mehr »

Medienpolitik bleibt Stiefkind der Parteien

Medienpolitik ist überwiegend Ländersache. Dennoch positionieren sich die politischen Parteien bei den anstehenden Bundestagswahlen zu einigen Kernthemen. An erster Stelle wie üblich zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). Denn gerade der ÖRR ist ein zentraler Bestandteil der deutschen Demokratie. Mit seinem Auftrag, unabhängig und vielfältig zu berichten, trägt er wesentlich zur Meinungsbildung und gesellschaftlichen Debatte bei.
mehr »

Buchtipp: Wider die Verrohung

Statt Wut und Bullshit zu verbreiten gibt es einiges, was Medienschaffende tun können, damit sich der Diskurs verbessert. Die österreichische Journalistin Ingrid Brodnig analysiert in ihrem Buch „Wider die Verrohung“ Zusammenhänge, liefert Beispiele und Tipps und macht nicht zuletzt Hoffnung.
mehr »