Als das Coronavirus nach Deutschland kam, standen Mitte März auch die Auszubildenden vor den geschlossenen Türen der Berufsbildungszentren. Betriebe verlagerten die Arbeit ins Homeoffice ihrer Beschäftigten, meldeten Kurzarbeit an oder mussten ganz schließen. Wie sollten Ausbildung und Prüfungen weitergehen?
Dem „Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung“ (BVLB) offenbarten sich in der Coronakrise die „eklatanten Schwächen“ des „bildungspolitischen Flickenteppichs in Deutschland“, als einige Kultusministerien erwogen, die Abschlüsse auf der Basis der Leistungen bis Anfang März zu vergeben. Die Vorsitzenden der „Berufsbildner“, wie sich der BVLB auch nennt, verlangten Chancengleichheit und forderten, die Abschlussprüfungen zu verschieben, nicht abzusetzen: „Auch in der Krise darf die Prüfungspflicht nicht ausgesetzt werden.“
Zu diesem Schluss kamen auch die Bildungsverantwortlichen der Länder: Zunächst wurden zwar die Zwischenprüfungen ersatzlos gestrichen, die bundeseinheitlichen schriftlichen Abschlussprüfungen aber verlegt, für die Medienberufe auf den 17. Juni. Die mündlichen Prüfungen begannen später und werden, je nach Industrie- und Handelskammer (IHK), bis weit in den Sommer dauern.
Bei den Berufsschulen kam der Bildungsstoff auf neuen Wegen zu den Schüler*innen: als Lernpaket per Post, per Mail oder auf digitalen Plattformen. Als Ende April die Berufsschulen wieder öffneten, konnten sie Präsenzunterricht zunächst nur für bestimmte Ausbildungs- und Abschlussklassen anbieten, die anderen Jahrgänge folgten gestaffelt. Wegen der Abstandsregeln wurden die Klassen in kleine Gruppen aufgeteilt und nur abwechselnd unterrichtet. Für Schulorganisatoren wie Wilm Diestelkamp, den Abteilungsleiter der Berufsschule am Oberstufenzentrum der Ernst-Litfaß-Schule für Mediengestaltung und Medientechnologie in Berlin, bot sich ein buntes Puzzle mit vielen Teilen.
An der Ernst-Litfaß-Schule bedeutet das eine Zweiteilung: Die Mediengestalter*innen und Fotograf*innen werden fast ausschließlich im Fernunterricht beschult, erklärt Diestelkamp und verweist dankbar auf die vielen Aktivitäten der Kolleg*innen in diesem Bereich. Bei den Medientechnolog*innen Druck, -Druckverarbeitung, -Siebdruck und den Packmitteltechnolog*innen spielt der Präsenzunterricht neben Online-Aufgaben eine große Rolle, wegen der nötigen Technik, der teils mangelnden Ausstattung der Azubis mit Computer-Lernplätzen, aber auch wegen einer geringeren „digitalen Affinität“ und Vorbildung, erläutert Diestelkamp die Situation seiner Schüler*innen.
In diesen Ausbildungsgängen ist die Zahl der Schüler*innen mit Hauptschulabschluss viel höher als etwa bei den Mediengestalter*innen. Die Übersicht der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zur schulischen Vorbildung zeigt bei den technischen Berufen, zu denen in der Statistik auch die Medientechnolog*innen im Druckbereich gehören, ziemlich konstant einen Anteil von 18 Prozent Hauptschule und 50 Prozent Realschule. Rund ein Viertel beginnen die Ausbildung mit einer Hochschul- oder Fachhochschulreife. Für die „Querschnittsberufe“ wie Mediengestalter*innen verzeichnet die Statistik in den vergangenen Jahren einen Anteil von unter fünf Prozent Hauptschule, etwa ein Drittel Realschule und um die 60 Prozent mit Abitur oder Fachabitur. Darunter sind auch Auszubildende mit Hochschulerfahrung oder sogar abgeschlossenem Studium.
Kurzer „Weg“ zur Arbeit und fehlende Kontakte
Die auszubildenden Mediengestalter*innen im ersten und zweiten Lehrjahr an der Ernst-Litfaß-Schule sehen den Online-Unterricht eher positiv. Auch wenn Sarah meint, es sei schon eine „gefühlte Übergangslösung“ und merkwürdig, alle nur übers Display zu sehen. Sie arbeitet überwiegend im Homeoffice und fährt nur in den Betrieb, wenn es die Produktion erfordert. Oder wenn Kundenkontakte im Terminkalender stehen, ergänzt Vivien im natürlich per Digitalplattform geführten Gespräch mit M.
„Man muss sich seine Struktur für einen geregelten Arbeitstag selbst schaffen“, fasst Sarah ihre Tage im Homeoffice zusammen. Sofie findet es eigentlich sehr angenehm im Homeoffice, wenn man sich den Tag gut einteilt. Sie habe auch vorher schon viel digital gearbeitet. Daniel, der seine Ausbildung in einer Grafikabteilung im Öffentlichen Dienst absolviert, hat für das Homeoffice einen Rechner bekommen und spart wegen des kurzen Wegs zur Arbeit am heimischen Schreibtisch viel Zeit. „Mir geht es sehr gut dabei“, kommentiert er die vergangenen Wochen, die er als eine Zeit der Konzentration empfindet. „Ich finde gerne alles selbst heraus“. Sie hätten ja auch schon vorher in der Schule sehr viel mit der Online-Plattform „Lernraum Berlin“ gearbeitet. „Trotzdem wäre es mir lieber, mal wieder zur Schule zu fahren wegen der sozialen Kontakte.“ Auch wenn er regelmäßig mit Lehrer*innen und Ausbildern telefoniert.
Erklärvideos und Quiz in der Schulcloud
Es gebe etliche Angebote zum Austausch, erklärt Lehrerin Elisabeth Lohse, wie das an der Schule übliche Tutorensystem, Chats oder auch die Podcast-Reihe zum Schulalltag in Corona-Zeiten von Lohse und ihrer Kollegin Caroline Münch. In der wöchentlichen Videokonferenz mit den Schülerinnen und Schülern werden auch Probleme angesprochen. So hatten einige berichtet, dass sie von den Betrieben nicht genug Zeit zum Lernen für die Schule erhielten. Mittlerweise habe sich das gebessert, so Lohse.
Die Düsseldorfer Berufsschullehrerin Tanja Diaz von Lochow, die seit Mai im 14-tägigen Wechsel jeweils nur die halbe Klasse in der Schule sieht, hat in der langen Zeit des „Homeschoolings“ nicht nur Arbeitsblätter, sondern auch Erklärvideos in die Schulcloud gestellt. Für die Gruppenarbeit gibt es in der Cloud eigene Ordner. Für die Abschlussklasse bastelte sie ein Quiz mit häufigen Prüfungsfragen. Die Berliner Lehrerin Münch hebt hervor, dass „Selbstorganisation“ auch schon vor Corona ein Thema im Unterricht war, „aber jetzt verstehen die Schülerinnen und Schüler die Bedeutung aus eigener Erfahrung.“ Auch Diestelkamp sieht in mehr Selbstständigkeit ein Ziel, das er künftig noch stärker im Berufsschulunterricht verfolgen will.
Während die Mediengestalter*innen den Vorteil haben, ihren Arbeitsplatz und ihre Produkte mit PC oder Laptop relativ flexibel gestalten zu können, sei es im Betrieb oder im Homeoffice, sieht das für die Fachkräfte der Veranstaltungstechnik schon schwieriger aus – denn Veranstaltungen finden derzeit nicht statt. Zu ihrer Abschlussprüfung gehört eine Projektarbeit, erläutert Ralf Stroetmann, Solo-Selbstständiger der Veranstaltungstechnik und Prüfer sowohl für Azubis wie für Meister*innen seines Fachs (s. „Ehrenamt Prüfer“, S. 15). Diese Projektarbeit besteht in der Planung und Durchführung einer Veranstaltung und hätte zwischen März und Mai erledigt werden sollen. Aber: Keine Veranstaltungen, keine Projektarbeiten. Soweit möglich, sollten die Auszubildenden die Technik im Betrieb aufbauen. Prüfer besuchen diese Aufbauten stichprobenhaft, das bleibe aber ohne Einfluss auf die Note, erklärt Stroetmann die schwierige Situation.
Durch den kompletten Ausfall von Galas, Konzerten, Sportveranstaltungen und anderen Events fehlt den Auszubildenden in der Veranstaltungstechnik jetzt nicht nur der Präsenzunterricht in der Berufsschule, sondern auch die betriebliche Ausbildung ist massiv eingeschränkt. Um dennoch auf die bundesweite schriftliche Abschlussprüfung am 16. Juni gut vorzubereiten, bietet die Interessengemeinschaft Veranstaltungswirtschaft (IGVW) seit 11. Mai ein Kursangebot auf der neuen Plattform „IGVW 4 Education“: Neben Einzelfragen zu Ton, Licht, Veranstaltungsorganigrammen oder Plänen werden auch ganz konkret Kurse zur Prüfungsvorbereitung angeboten.
Susanne Fritzsch organisiert dieses Kursangebot, sie will nicht nur die Techniker*innen, sondern auch die Veranstaltungskaufleute ansprechen. Die Kurse zur Prüfungsvorbereitung stehen zu Zeit ganz vorn in der Nachfrage. Rund 50 Azubis nutzen die jeweiligen kostenlosen Angebote nach der ersten Woche: „Das Feedback von Ausbildungsbetrieben und deren Azubis ist sehr positiv und die Zusammenarbeit mit den Berufsverbänden der Branche rege. Täglich kommen neue Kursangebote hinzu und die Reichweite steigt“, erklärt Fritzsch. Die Dozent*innen seien selbst Ausbilder*innen und/oder Fachleute der Branche.
Veränderte Regelungen bei Fortbildungen
Die Corona-Schließungen haben aber nicht nur die berufliche Ausbildung getroffen, sondern auch die berufliche Weiterbildung. Auf vielen IHK-Internetseiten findet man die Terminverschiebungen für Fortbildungsprüfungen aller möglichen Fachrichtungen.
Im Mai hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) drei neu geregelte Fortbildungen in der Medien- und Veranstaltungsbranche hervorgehoben: die/den „Geprüfte/n Meister/in für Veranstaltungstechnik“, die/den „Geprüfte/n Industriemeister/in Fachrichtung Printmedien“, der jetzt auch die Buchbinderei einschließt, und die/den „Geprüfte/n Medienfachwirt/in“. Die Regelungen, so das BIBB, „greifen inhaltlich auch Veränderungen durch die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung auf. Insbesondere im mittleren Management bedeutet dies für Beschäftigte mit höherer Fachkompetenz und Führungsverantwortung eine deutliche Erweiterung ihres Tätigkeitfelds.“
Neue Prüfungsverordnungen, ob für Fachkräfte oder Meister, werden von den Expert*innen der Berufsbildung zusammen mit Vertreter*innen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite konzipiert. Ralf Stroetmann, ebenso wie Uta Kupfer von ver.di, bei der Erarbeitung der neuen Prüfungsverordnung „Veranstaltungsmeister/-in“ beteiligt, stellt besonders die verstärkte Aufgabe der Personalführung für die neuen Meister*innen heraus. Dazu gehöre als Teil der Prüfung auch ein Rollenspiel zu einem Konfliktgespräch. Durch die neue Prüfungsordnung, die seit Jahresbeginn in Kraft ist, fallen die früheren Meisterprüfungen ohne Fachrichtung und die Meisterprüfung mit den Fachrichtungen „Bühne/Studio, „Beleuchtung“ und „Halle“ weg.
Den ersten Kurs für den neuen Abschluss als „Geprüfte/r Meister/in für Veranstaltungstechnik“ erlebte Stroetmann, der selbst Dozent ist, an der Deutschen Event Akademie in Hannover mit. Aber nur einen Tag lang, dann kam auch hier die Corona-Schließung. Geschäftsführerin Anke Lohmann musste zehn Männer und eine Frau gleich wieder verabschieden. Weiter ging es mit dem Kurs, der eigentlich sehr stark auf Präsenz und Projekte ausgerichtet ist, am PC. Das war für die Teilnehmer*innen ziemlich herausfordernd. Normalerweise treffen sie sich zum zwei- bis dreiwöchigen Blockunterricht an der Akademie und absolvieren nur ein Fünftel der 850 Lerneinheiten à 45 Minuten im Selbstlernen.
Neu entwickelte Didaktik für Online-Unterricht
Auch für die Dozent*innen war das eine grundlegende Veränderung des Fortbildungsformats. Für diesen Online-Unterricht müsse man eine ganz neue Didaktik entwickeln, sagt Stroetmann. Das sehen auch Wilm Diestelkamp von der Ernst-Litfaß-Schule und seine Kolleginnen so. Für Diestelkamp ist dabei nicht die Technik das Problem, sondern die jeweils auf die verschiedenen Ausbildungsrichtungen und -niveaus abzustufende digitale Lehre. Er geht davon aus, dass die Online-Vermittlung nach diesem Schuljahr nicht wieder zweitrangig wird, sondern dass die Einschränkungen durch die Pandemie auch im kommenden Schuljahr noch deutlich zu spüren sein werden. Ähnliche Überlegungen gibt es offenbar ebenfalls in Schulverwaltungen und auch bei den organisierten Berufsschullehrern: „Denn die Frage ‚Homeschooling vs. Präsenzunterricht?‘ stellt sich nicht mehr. Der Mix aus beidem … ist gelebte Realität – und bleibt es auch auf Dauer.“ Das macht die Planung für das neue Schuljahr ebenso schwierig wie Diestelkamps Befürchtung, im nächsten Jahr weniger Schüler*innen begrüßen zu können. Betriebe könnten als Folge der Krise Ausbildungsplätze abbauen. Eine Sorge, mit der er nicht allein ist. Auch die IHKs, Handwerkskammern (HWK), Gewerkschaften, Arbeitsagenturen, Verwaltungen und Unternehmerverbände fordern dazu auf, Betrieben für den Erhalt von Ausbildungsplätzen Hilfe anzubieten und wollen dafür zum Beispiel in Berlin und Brandenburg enger zusammenarbeiten.
Als Konsequenz aus den Schulschließungen haben die „Berufsbildner“ vom BVLB und ihre Realschulkollegen, die Bildungsallianz Mittelstand und der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft „ein digitales Fitnessprogramm für die Schulen“ gefordert. Es gebe keine übergreifende „Bildungscloud“, sondern bisher nur „digitale Insellösungen“. Für Caroline Münch, die Berufsschullehrerin aus Berlin, hat die Coronakrise bei aller Tragik und allen Einschränkungen, die sie gebracht hat, doch ein Gutes als Chance für „mehr Bewegung in der Bildungspolitik“. Ihre Kollegin Elisabeth Lohse ergänzt: als „Zwang, sich neuen Herausforderungen zu stellen“.
Mehr Informationen:
Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung (BVLB):
Bundesinstitut für Berufsbildung – neue Regelungen