Das Imperium bröckelt

Montage: M, unter Verwendung von Foto:123rf/SalaverrAa Calahorra

Bertelsmann: Gruner+Jahr und RTL im Fusionsfieber

Die Mediengruppe RTL Deutschland und Gruner + Jahr wollen in Zukunft noch enger zusammenarbeiten.“ So nüchtern und wenig spektakulär diese Meldung vom 10. Februar klingt – sie hat es in sich. Es handelt sich schlicht um die kaum verschleierte Ankündigung einer Großfusion unter dem Dach von Bertelsmann. Die Folgen dieser Pläne für die Belegschaft sind einstweilen unabsehbar.

Diese Verschmelzung zu einem „nationalen Champion“, so teilte Konzernboss Thomas Rabe zeitgleich den Belegschaften beider Unternehmen mit, solle helfen, globalen Tech-Plattformen wie Google, Facebook & Co. Paroli zu bieten. Kaum drei Wochen zuvor war Rabes Vertrag als Vorstandschef von Bertelsmann um fünf Jahre verlängert worden. Unter den Beschäftigten an den Standorten Köln, Hamburg und Berlin herrscht Verunsicherung. Das gilt vor allem für die Belegschaft von G+J. Noch haben die Kolleg*innen vom Stern die Eingliederung ihres Politik- und Wirtschaftsressorts in ein gemeinsames Hauptstadtbüro unter Leitung von Capital-Chefredakteur Horst von Buttlar nicht verdaut. „Was macht mehr Sinn, als die journalistische Kraft zweier starker – und befreundeter – Marken in der Hauptstadt zu ballen?“ – mit solchem Euphemismus hatten die Stern-Chefredakteure Anna-Beeke Gretemeier und Florian Gless versucht, den Vorgang schön zu reden.

Mitbestimmung außer Kraft

Ganz anders die Reaktion der Belegschaft. Der Redaktionsbeirat fühlte sich überrumpelt und forderte die Geschäftsleitung zur Rücknahme der Pläne auf. Wirkung? Null. „Trotz statuarisch verbürgter Mitbestimmungsrechte“ werde der Rat „völlig ignoriert“, klagt ein Betroffener. Auch der Betriebsrat protestierte. Er fürchtet um eine noch unbestimmte Zahl von qualifizierten Arbeitsplätzen. Ganz zu schweigen von den Imagefolgen für die Marke Stern. (siehe auch M Online )

Capital und Business Punk hatten bislang schon einen gemeinsamen Sitz in Berlin mit rund 30 Beschäftigten. Die Politik- und Wirtschaftsberichterstattung beim Stern in Hamburg sowie beim Berliner Büro des Stern wurde von rund 20 Kolleg*innen gestemmt. Die Zentralisierung in Berlin läuft somit auf einen Verlust von etwa 15 Jobs beim Flaggschiff von G+J hinaus. Dieses Outsourcing von Politik macht offenbar auch vor publizistischen Hochkarätern nicht halt. Selbst dem renommierten Investigativreporter Hans-Martin Tillack soll der Rückzug in die Altersteilzeit nahegelegt oder ein goldener Handschlag angeboten worden sein. Der Verzicht auf ein eigenes Politikressort trifft auch bei Außenstehenden auf Unverständnis. Leider gebe es „Verlagsmanager (und auch Chefredaktionen), die nicht nur an den Ästen sägen, sondern auch den Baum nur für einen dicken Ast halten“, monierte Kurt Kister, bis Sommer 2020 Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung. Drastischer noch formulierte Hans-Ulrich Jörges, bis 2017 Mitglied der Chefredaktion des Stern: „Ein Stern ohne Politik am Konferenztisch ist ein sterbender Stern“.

Dazu passt die Mitteilung, dass in Kürze auch die Pressedatenbank des Verlags geschlossen werden soll. Hier werde „an Qualität gespart, wie so oft in letzter Zeit bei Gruner + Jahr“, protestiert der Betriebsrat. Vier Kolleg*innen solle gekündigt werden, Ersatzarbeitsplätze sind nicht in Sicht. Die gegenwärtige Pandemie samt Homeoffice und Hygieneauflagen erleichtern es der Geschäftsleitung, den Unmut zu kanalisieren. „Eine geradezu gespenstische Atmosphäre“, registrierte Gewerkschaftssekretärin Tina Fritsche von ver.di Hamburg bei der erstmals in Form einer Videokonferenz abgehaltenen G+J-Betriebsversammlung Ende Februar. Keine physische Präsenz, keine Interaktion.

Kahlschlag bei Wirtschaftsmedien

Noch begreift sich G+J vollmundig als „größter Premium-Magazin Verlag Europas“. Leuchttürme sind weiterhin Stern, Brigitte und Schöner Wohnen. Neben jüngeren Erfolgsgeschichten wie Barbara, 11freunde und Beef gehören rund 500 gedruckte und digitale Angebote zum Portfolio. Aber das Imperium bröckelt. Begonnen hatte es 2013 mit dem Kahlschlag bei den Wirtschaftsmedien inklusive der brutalen Einstellung der Financial Times Deutschland. 2019 wurde die Motorpresse Stuttgart abgestoßen. Ende 2020 stellte man Geo Special ein und führte alle Reisemagazine unter der Marke Geo zusammen. Dramatischer erscheint der Schrumpfprozess jenseits der deutschen Grenzen. Ob Österreich, Spanien oder die Niederlande – unter der Regie von G+J-Chefin Julia Jäkel zog sich das Verlagshaus aus fast allen relevanten Auslandsmärkten zurück. Jetzt steht auch die Trennung von der französischen Tochter Prisma Media an.

„Niemand bei G+J verschließt sich gegen eine kluge wachstumsorientierte Zusammenarbeit mit anderen Häusern des Bertelsmann-Konzerns“, versicherte G+J-Betriebsratsvorsitzender Frank Donovitz. Das gelte auch für das „Kollegium“ von RTL. Zugleich warnte er: „Unwidersprochene Fusions- oder Übernahmespekulationen helfen unserem Tun nicht.“ G+J-Geschäftsführerin Julia Jäkel hält sich einstweilen mit öffentlichen Stellungnahmen zurück. Lediglich im Intranet lieferte sie schon mal einen Synergieeffekt der besonderen Art: Im hauseigen produzierten Selbstgespräch mit den beiden Co-Chief-Officers Oliver Radtke und Stephan Schäfer verteilt sie verbale Beruhigungspillen („gemeinsame Potenziale erschließen“, „nachhaltig und systematisch intensiver zusammenarbeiten“ usw.) Selbstredend sei es auch „wichtig, miteinander ins Gespräch zu kommen, über Chancen und auch über Sorgen“.

Sorgen, die angesichts der schrumpfenden Bedeutung des Unternehmens nur allzu berechtigt erscheinen. Noch vor zehn Jahren wetteiferte G+J als globaler Player mit Bauer und Burda. Der damalige Umsatz von 2,2 Milliarden Euro hat sich mittlerweile annähernd halbiert. 2019 lag er bei 1,4 Mrd. Euro, der Gewinn bei 157 Mio. Euro. Die Bilanz für 2020 wird Ende März präsentiert. Angesichts dieser Entwicklung erscheinen Überlegungen, das Magazinhaus partiell oder komplett dem Schwesterkonzern RTL einzuverleiben, fast schon logisch. Zumal die Weichen schon seit längerem in diese Richtung gestellt werden: durch eine immer stärkere Verzahnung des Inhalte- und Vermarktungsgeschäfts. Ob gemeinsame Print- und TV-Formate, ob eine engere Kooperation der Redaktionen beider Häuser, Konzernchef Rabe führt das Hamburger Verlagshaus immer näher an die Kölner RTL-Zentrale.

Bereits seit 2017 arbeiten RTL Deutschland und G+J in der Vermarktung zusammen. Unter dem Dach der Ad Alliance tummeln sich die Vermarkter IP Deutschland und G+J EMS. Nach eigenen Angaben ist man inzwischen größter Crossmedia-Vermarkter Deutschlands. Vor zwei Jahren startete die Content Alliance von Bertelsmann. Unter dem Vorsitz von G+J-Chefin Julia Jäkel steuert sie sämtliche deutschen Inhalte-Geschäfte der Gütersloher. Beteiligt sind die Mediengruppe RTL, RTL Radio Deutschland, die TV-Produktionsfirma UFA, die Verlagsgruppe Random House, G+J sowie das Musikunternehmen BMG. Zusätzlich gibt es noch die Audio Alliance, in der alles Podcasts und Audio-Angebote der Partner produziert werden. Der Sinn solcher Bündnisse besteht hauptsächlich darin, jeden Inhalt über möglichst viele Plattformen zu verbreiten. Perfekt exekutiert am Beispiel der PR-Tour von Ex-US-Präsident Barack Obama für seine jüngst erschienene Autobiografie: erst das TV-Interview von RTL-News-Anchorman Peter Kloeppel, dann die Abrufmöglichkeit im Streamingdienst TV Now, flankiert von Print-Fassungen im Digitalangebot von G+J.

Parole: Poolbildung

„Es entstehen immer neue Ideen“, schwärmte denn auch Co-Geschäftsführer Schäfer im Intranet, „gerade bereiten die Kolleg*innen beim Stern, der Mediengruppe RTL und bei Audio Alliance gemeinsam den Morning Podcast vor“. Poolbildung lautet die Parole. Nur ein kleiner Baustein im Bemühen, Zentralredaktionen aufzubauen. Nicht nur im eigenen Haus. „Möglich ist, dass der Medienmacher die jüngst gebündelte News-Redaktion in Köln mit 700 Journalisten zu einem zentralen Inhalte-Hub aufbläht, der die Print-, Online- und TV-Marken beider Häuser aus einer Hand bedient“, augurierte unlängst der Branchendienst Meedia. Stern-tv auf RTL war der Prototyp. Als jüngstes Kind der gemeinsamen Markenfamilie startete Mitte März 2020 Guidos Deko Queen, das neue Heft- und TV-Format mit Designer Guido Maria Kretschmer.

Wenn jetzt allerdings selbst eine hochprofitable Konzerntochter wie Prisma Media von G+J abgestoßen wird, wirken Parolen wie die von der „Einzigartigkeit“ des Fusionsprojekts mit RTL zunehmend schal. Natio-naler Champion? „Dieses Ziel können wir in Deutschland erreichen, in Frankreich nicht“, begründet Jäkel mit unfreiwilliger Komik diesen „auf den ersten Blick vielleicht überraschenden Schritt“. Auch das restliche alberne Anglizismen-Getue erübrigte sich. Content Alliance? Schon während der letzten großen Entlassungswelle im Jahr 2014 – damals wurden an die 400 Jobs bei G+J liquidiert – taufte die Belegschaft ihr Unternehmen um: Aus dem „Haus der Inhalte“ wurde das „Haus der Hinterhalte“. Und das „Gruner-Gefühl“ von dem „Chief Product Officer“ Stephan Schäfer jetzt im „Greenport-Interview“ fabuliert, firmiert bei den Beschäftigten längst unter dem Hashtag „grunerundspar“.

Klare Marschroute bei RTL

Beim großen potenziellen Fusionspartner RTL erscheint die Marschroute einstweilen klarer: Investitionen in die Bereiche Streaming und Technologie auf der einen, Personalabbau auf der anderen Seite. Entsprechende Pläne verkündete die Geschäftsführung schon Mitte Dezember. Etwa 100 bis 150 Stellen werden gestrichen. Derzeit verhandeln die Betriebsräte über Abfindungen für Kolleg*innen bis 58 Jahre sowie über Freiwilligenprogramme zu Vorruhestand und Altersteilzeit. Die Stimmung in der Belegschaft ist dem Vernehmen nach angespannt. Immerhin: Betriebsbedingte Kündigungen sollen vermieden werden.

Auch innerhalb der RTL-Mediengruppe wächst die Fusionitis, werden Verantwortlichkeiten zusammengelegt. So übernahm Henning Tewes, der bisherige Geschäftsführer des Streamingdienstes TVNow (bald RTL+), am 1. März auch die Leitung des Fernsehsenders RTL. Ziel der Zusammenführung von TV und Streaming, so heißt es, sei eine „stringente Programm- und Markenführung“. Zeitgleich avancierte RTL zum alleinigen Besitzer des Kinder- und Jugendsenders Super RTL. Bisher hatte eine Disney-Tochter die Hälfte der Anteile gehalten. Es handelt sich hier immerhin um die größte Sender-Übernahme seit der von Leo Kirch exekutierten Fusion von ProSieben und Sat.1 im Jahr 2000. Workshops mit Vertretern des Top-Managements von RTL und G+J sollen in den nächsten Monaten über neue Kooperationen sowie eine „gemeinsame Wachstumsstrategie“ beraten. Noch stehe man am „Beginn eines ergebnisoffenen Prozesses“, versichert Bertelsmann-Boss Rabe, in Personalunion auch Geschäftsführer der RTL Group. Eines hat Rabe immerhin kategorisch ausgeschlossen: Ein Verkauf von G+J komme nicht in Frage. Die schlechte Nachricht: Wie üblich bei derartigen Manövern scharren auch die Controller von McKinsey bereits mit den Hufen, um die „Kooperationsberatungen“ mit ihrem speziellen Knowhow zu begleiten.

Aus Sicht der Beschäftigten und des Publikums dürfte am Ende vieles auf die entscheidende Frage hinauslaufen: Wie viel (Qualitäts-)Journalismus wird sich Deutschlands größter Medienkonzern künftig noch leisten? Was wird nach der angeblich so ergebnisoffenen Operation vom „größten Premium-Magazin Verlag Europas“ übrigbleiben? Entschieden werde im dritten Quartal. „ab dem vierten Quartal beginnt die Umsetzung“, so Rabe. Im günstigen Fall, findet ein ver.di-Kollege, könnte so etwas wie ein „Bertelsmann Publishing House“ entstehen. Im ungünstigsten Fall liefe es auf das Ende des norddeutschen Traditionshauses Gruner + Jahr als selbstständiges Unternehmen und weiterem Schrumpfen seiner publizistischen Bedeutung hinaus. Wie lautete die Headline des Rabe-Interviews im Spiegel: „Nichts ist für die Ewigkeit“.

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