Cengiz Haksöz hatte Mitte Juni vor dem Bundestagsausschuss für Digitales über seine Arbeitsbedingungen als Contentmoderator gesprochen. Nun wurde er von seinem Arbeitgeber freigestellt und darf den Betrieb nicht mehr betreten. Das behindert auch die Betriebsratswahl, die Anfang Juli erstmals an Haksöz Arbeitsplatz stattfinden soll. ver.di kritisiert die Maßregelung scharf und kündigt rechtliche Schritte an.
In einem parlamentarischen Fachgespräch vor dem Bundestagsausschuss für Digitales am 14. Juni hatte Cengiz Haksöz über die Arbeitsbedingungen von Content-Moderator*innen berichtet. Daraufhin stellte sein Arbeitgeber Telus International ihn bis auf Weiteres von der Arbeit frei und erteilte ein Betretungsverbot für die Firmenräume und das Büro des Wahlvorstandes. Als dessen gewählter Vorsitzender ist es Cengiz Haksöz gesetzlich festgelegte Aufgabe, die für den Juli terminierte Wahl des ersten Betriebsrates für die rund 1800 Telus-Beschäftigten zu organisieren.
Rechtliche Schritte gegen Telus
Daraufhin kündigte ver.di nun rechtliche Schritte gegen Telus International an.
„Wir fordern die Rücknahme der Freistellung und das Zugangsrecht zum Betrieb und werden das zur Not auch einklagen.“
sagte ver.di-Vorstandsmitglied Christoph Schmitz. Es werde auch geprüft, ob ver.di die Behinderung der Betriebsratswahl anzeige. Diese Behinderung sei nämlich strafbar. „Was wir hier sehen, ist ein Fall von sogenanntem Union Busting“, so Schmitz, die Be- oder Verhinderung von gewerkschaftlicher Betätigung der Beschäftigten in einem Betrieb.
Die Maßnahmen des Arbeitgebers gegen Haksöz seien „nicht nur illegal, sondern auch eine Missachtung der Demokratie“, so Schmitz weiter. Haksöz war vom Ausschuss für Digitales eingeladen worden, um über die Arbeitsbedingungen von Content-Moderat*innen zu berichten und hatte dafür hohe Anerkennung von den Bundestagsabgeordneten erfahren. „Telus International verletzt die demokratischen Rechte unseres Kollegen Cengiz Haksöz, wenn sein Erfahrungsbericht vor Abgeordneten des Bundestages zur Maßregelung führt“, sagte Schmitz.
Arbeit über der Belastungsgrenze
Haksöz durchforstet die Plattform eines bekannten Social-Media-Konzerns nach problematischen Inhalten. Die Beschäftigten bei Telus müssen dabei unter anderem illegale und jugendgefährdende Inhalte prüfen sowie extreme Gewaltdarstellungen von den Social Media-Plattformen des Meta-Konzerns löschen. „Das Schwierigste ist, dass man wieder und wieder schlimme Dinge sieht – Enthauptungen zum Beispiel oder der Missbrauch von Kindern“, erzählte er im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio kurz vor seinem Termin im Digitalausschuss. Kollegen seien zum Teil schwer traumatisiert, zwei würden im Krankenhaus psychiatrisch behandelt.
Der Bundestagsausschuss für Digitales hatte Beschäftigte, Vertreter*innen von Nichtregierungsorganisationen (NGO) und ver.di eingeladen, um über die Arbeitsbedingungen der Content-Moderator*innen zu berichten. Viele der Moderator*innen klagen über die extremen Belastungen, die zu psychischen Erkrankungen führten. Mehr als nachvollziehbar laut Christoph Schmitz: „Die Kolleg*innen sehen tagtäglich Videomaterial, das wir als Nutzer*innen von Digitalkanälen zu recht nie sehen sollen. Damit leisten sie einen hochrespektablen Beitrag für unsere Gesellschaft. Die Anerkennung, rechtliche Absicherung, angemessener Gesundheitsschutz und gerechte Bezahlung bleiben aber noch aus.“
Mehr Verantwortung gefordert
Gemeinsam mit der NGO Superrr Lab und Foxglove (aus UK) fordert ver.di mehr Verantwortung von einem finanzkräftigen Tech-Unternehmen wie Meta und ein Ende des Outsourcings, also der Auslagerung der Arbeit. Beschäftigte in den Auftragsfirmen hätten oft deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen und geringere Bezahlung als direkt bei den Social-Media Unternehmen angestellte Content Moderator*innen. Oft arbeiten überdies Migrant*innen in der Branche deren Arbeitserlaubnis und damit auch deren Aufenthaltsstatus von der Beschäftigung abhängig ist. Auch das macht es für die Kolleg*innen schwer, gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
„Über Jahre wurde im Bereich der Content Moderation eine Kultur der Angst und Geheimhaltung etabliert“, sagt Julia Kloiber, Geschäftsführerin von Superrr Lab. Es seien große Konzerne wie Meta, die hinter diesen Praktiken stehen. „Der Fall von Cengiz Haksöz zeigt: Die Konzerne halten weiter an dieser Kultur fest und versuchen, Content Moderator*innen einzuschüchtern und vom Gebrauch ihrer Rechte abzuhalten“, so Kloiber.
ver.di fordert mit seinen Kooperationspartner*innen unter anderem den Zugang zu externer psychologischer Betreuung für die Content-Moderator*innen, bessere Arbeitszeitgestaltungen sowie bessere Bezahlung in Form einer Gefahrenzulage. Betriebsräte gibt es in der Branche kaum, ausreichende Regelungen zum Gesundheitsschutz ebenso wenig.
Unter dem Titel: Stoppt das Union-Busting gegen Facebook Content Moderator*innen – Solidarität mit Cengiz! hat ver.di eine Petition gestartet, die HIER unerschrieben werden kann.