Der Historiker Christian Hardinghaus erläutert an zahlreichen Beispielen bis hin zum aktuellen Ukrainekrieg, wie Regierungen Propaganda einsetzen und welche Rolle Medien dabei spielen können. In seinem Ratgeber analysiert er 115 Propagandatechniken, um Bürger*innen über die Manipulationen aufzuklären und appelliert als Journalist an seine Kolleg*innen, die Propaganda der Regierungen nicht zu verstärken, sondern auch in Kriegszeiten kritisch zu bleiben.
Als „Propaganda“ bezeichnet Hardinghaus mediale Darstellungen der Lebenswelt, die Wahrheit und Lüge gleichermaßen nutzen, um politische Zwecke zu erfüllen – besonders, wenn es um „Angstthemen“ geht wie Klimakrise, Coronapandemie oder Ukrainekrieg. Propaganda gebe es auch in Friedenszeiten und auch in demokratischen Staaten. Je nach Zielgruppe und Methode könne Propaganda entweder überzeugen, überreden oder täuschen. Am effektivsten sei „schwarze Propaganda“, die auf Täuschung und Lügen aufbaut.
Hardinghaus beschreibt sieben Grundformen von Propaganda – angefangen bei Abwertung des Gegners durch Schimpfwörter wie „Lügner“ oder „Nazi“ und Glorifizierung der eigenen Seite durch Vertrauen erweckende Begriffe wie „Demokratie“ oder „Freiheit“. Die Verbindung mit der Zielgruppe stelle „der Propagandist“ durch „Transfer“ her – etwa wenn ein Politiker Fahrrad statt Auto fährt – oder durch „Plain Folks“, wenn er sich in seinen Reden als „einer der Ihren“ verkaufe und „Testimonials“, z.B. von Wissenschaftler*innen, die politisch erwünschte Anschauungen beglaubigen. Eine weitere „simple, aber effektive Methode“ sei das „Card Stacking“, die selektive Darstellung von Informationen – positiv für die eigene, negativ für die andere Seite. Als „Zugpferd des Propagandisten“ bezeichnet Hardinghaus das „Bandwagon“, d.h. jemand gibt vor, mit der Stimme aller zu sprechen, etwa: „Wir schaffen das!“
Irritierend wirkt, dass bei den „Propagandatechniken der Täuschung“ neben „Fake News“, „Gasligthing“ oder „Victim Blaming“ auch journalistische Standardmethoden zur Komplexitätsreduktion aufgeführt werden – wie Agenda Setting oder Framing. Natürlich kann die Themensetzungsfunktion der Medien politisch instrumentalisiert werden genauso wie die einordnende Rahmung von Ereignissen. Doch wenn Hardinghaus diese Methoden in einem Atemzug mit inhärent gefährlichen Propagandamethoden nennt, könnte das meines Erachtens das Medienmisstrauen verstärken.
Kriegspropaganda als die „radikale Anwendung aller Techniken“ diene der Manipulation der Massen als Mittel der Kriegsführung. Häufig hätten Lügen „in den militärischen Konflikt hineingeführt“, so Hardinghaus. Sie rechtfertigten nicht nur den Kriegsgrund, sondern begleiteten die bewaffnete Auseinandersetzung bis zu ihrem Ende. Eine Kriegsanlasslüge werde immer erst aufgedeckt, wenn der Frieden wieder hergestellt sei. So die „Operation Tannenberg“, der fingierte Überfall auf den Sender Gleiwitz als Anlass für den deutschen Überfall auf Polen im Zweiten Weltkrieg oder die von einer PR-Agentur inszenierte „Brutkastenlüge“, die den USA 1990 als Vorwand diente, in den Irak einzumarschieren.
Hardinghaus analysiert Propagandamethoden in acht Kriegen vom Ersten Weltkrieg bis zum Ukrainekrieg, die sich immer stärker der Medien bedienten: Die Nazis bildeten „Propagandakompanien für die Kriegsberichterstattung“, Desinformation sei schon damals die „Spezialität der russischen Kriegsführung“ gewesen, die Golfkriege markierten den Beginn von „Medienkriegen“ und im Irakkrieg 2003 professionalisierten die USA den „Embedded Journalism“. Der aktuelle Ukrainekrieg werde auch als „TikTok-Krieg“bezeichnet, weil man ihn live über die sozialen Medien mitverfolgen kann. Propaganda, die mit einer Gleichschaltung der Medien einhergeht, gebe es sowohl in der Ukraine als auch in Russland, so Hardinghaus. Die deutsche Berichterstattung über den Krieg bezeichnet er als „dilettantisch“. Sie sei einseitig, simplifiziert und folge zu sehr der Regierungsagenda, kritisiert er und belegt das mit einer Inhaltsanalyse der Otto-Brenner-Stiftung. Mit Verweis auf Umfragen verdeutlicht er, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung statt der Waffenangebote an die Ukraine diplomatische Lösungen wünscht. Hardinghaus plädiert für eine pluralistischere Berichterstattung, die Propaganda entlarvt.
Nach Romanen und Sachbüchern hat Hardinghaus hier erstmals einen Ratgeber geschrieben. Der durch Bilder aufgelockerte Text ist gut lesbar und stringent in fünf Kapitel gegliedert. Quellen sind in Anmerkungen nachgewiesen und die 115 Propagandatechniken in einem alphabetischen Register aufgelistet. Doch für einen „Ratgeber“ setzt das Buch allerhand Vorwissen der Leser*innen voraus. Es provoziert kritische Fragen wie: Gibt es das Interesse „der Bevölkerung“ und kann Journalismus überhaupt „objektiv“ sein? So ist Hardinghaus’ Buch eher ein guter Anstoss für eine differenziertere Diskussion über Propagandatechniken und ihre Gewichtung!
Christian Hardinghaus: Kriegspropaganda und Medienmanipulation. Was Sie wissen sollten, um sich nicht täuschen zu lassen. Europa-Verlag, München 2023, 232 Seiten, 24 Euro