Der Pressevertrieb stöhnt. Wegen des Ukraine-Krieges verzeichneten die Pressegrossisten ein schwieriges Jahr. Auf ihrer Septembertagung in Wiesbaden will der Gesamtverband Pressegroßhandel e.V. dennoch Zuversicht verbreiten. Anlass zur Hoffnung bietet die neuerliche Branchenvereinbarung mit 13 Verlagen. Seit Monatsbeginn soll das System durch eine gleichmäßigere Verteilung von Zeitungen und Zeitschriften auf die einzelnen Wochentage effizienter werden. Einige Verlage sind dennoch unzufrieden.
Pressegrossisten beliefern Verkaufsstellen mit Zeitungen und Zeitschriften. Mit den Verlagen verbindet sie eine Zwangsgemeinschaft, die immer wieder zu Konflikten führt. Gerade wegen der erst im März in Kraft getretenen neuen Branchenvereinbarung, zeigt sich GVPG-Hauptgeschäftsführer Kai-Christian Albrecht verwundert über die Diktion von Bauer-Vertriebsgeschäftsleiter Mark Schrader. Der hatte auf dem Distribution Summit des Medienverbandes der Freien Presse (MVFP) am 29. August einen Generalangriff auf die Grossisten gefahren. Er sprach von Reformunwilligkeit, immer höheren Preisen zu Lasten der Verlage, unprofessionellem Management bei der Sortimentsgestaltung und der Unfähigkeit, eine einheitliche IT für den Vertrieb zu schaffen. Er wiederholte dabei immer aufs Neue den Vergleich mit der „Titanic“. Sehenden Auges steuere das Grosso-System auf den Eisberg zu, von dem bislang nur die Spitze zu sehen sei.
Wege für das Pressevertriebssystem
Dieses Bild hält Albrecht für „schief“. „Das hiesige Pressevertriebssystem haben Verlage und Presse-Grosso gemeinsam aufgebaut und stetig fortentwickelt. Nun gelte es, gemeinsam einen neuen Kurs zu bestimmen. So ist es verabredet.“ Das Presse-Grosso habe bislang einen enormen Beitrag zur Transformation des Systems geleistet. Und was die IT angeht: „Wir arbeiten an der Vereinfachung und Standardisierung der IT. Um die führenden Systeme werden sich neue Kooperationen entwickeln, die gemeinsam in die weitere Digitalisierung investieren.“ Das Presse-Grosso verfüge über filigrane Vertriebsdaten des gesamten Sortiments und setze diese fachkundig für die Sortimentssteuerung ein. Denn: „Wir haben nicht die Flasche Wein, die unverändert in den Verkauf geht. Ein Magazin wie ‚Der Spiegel’ ist jede Woche ein neuer Artikel und verlangt dafür eine intelligente Steuerung.“ Es gehe dabei etwa um die Regalkapazität, das Umfeld oder die Größe der Verkaufsstelle.
Neue Branchenvereinbarung
Das Presse-Grosso soll sicherstellen, dass jede Zeitung und jede Zeitschrift die gleiche Chance hat, am Kiosk oder anderen Verkaufsstellen erhältlich zu sein. Dabei gab es in den vergangenen Jahren starke Veränderungen, beispielsweise durch Umbrüche in der Mediennutzung. Das führte zu sinkenden Auflagen und damit einem geringeren Verteilvolumen. Da die Zeitschriften dennoch flächendeckend verteilt werden sollen, haben sich Verlage und Grossisten Ende Februar auf die neue Branchenvereinbarung und Handelsspannen geeinigt. Zum Verbund der G13-Verlage gehören Axel Springer, Bauer Media Group, Delius Klasing, Eat Smarter, Funke, Gruner+Jahr, Hubert Burda Media, Klambt, Martin Kelter Verlag, PPV Medien, Spiegel-Verlag, Stiftung Warentest und VF Verlagsgesellschaft. Die Vereinbarung regelt für zwei Jahre die Voraussetzungen, Konditionen und Leistungen für den flächendeckenden und diskriminierungsfreien Sortimentsvertrieb durch die Presse-Grossisten. Dabei sollen der Beitrag einzelner Zeitschriftentitel und die jeweiligen Kosten verursachungsgerechter verteilt und Ressourcen geschont werden.
Sparen beim Zeitschriftenkauf
Die aktuelle Branchenvereinbarung läuft bis Ende Februar 2025. Eine Verlängerung sei vertraglich möglich, bestätigt Albrecht. Die Geltungsdauer begründet Albrecht mit der unsicheren allgemeinen Lage, dem Ukraine-Krieg und den damit einhergehenden explodierenden Kosten im Bereich Personal und Energie. Das belaste Verlage wie auch Pressegroßhandel enorm. Mit der hohen Inflation hielten viele Menschen seit Mitte 2022 ihr Geld zusammen und verzichteten auf Zeitschriften. Anders noch als zu Corona-Zeiten, wo die Nachfrage nach Publikationen im Bereich Politik und Wirtschaft sowie Jugend und Comic angestiegen sei. Dabei habe es zwei Ausreißer nach oben gegeben: der Krieg und der Tod von Elisabeth II.
Die Situation spiegelt sich in der Branche: „Vor zehn Jahren gab es noch 31 Grossisten, heute sind es noch 15.“ Der Prozess werde weitergehen, so der Hauptgeschäftsführer. Das Presse-Grosso stelle sich zukunftsfest auf, um die Herausforderungen im Kerngeschäft Presse auch künftig zu meistern. Zugleich ermögliche es die Bündelung, neue Wertschöpfung zu generieren etwa in der B-to-B-Logistik.
Bundesweit gebe es – Stand Februar – rund 86.000 Verkaufsstellen, 9.740 Pressefachgeschäfte und 5.120 Kioske, die werktäglich mit passgenauen Sortimenten beliefert werden. Durch die Inflation sei ein starker Rückgang bei Bäckereien, Pressefachhändlern, Kiosken und sonstigen Spezialverkaufsstellen zu verzeichnen. Neben den Pressefachgeschäften würden Supermärkte und Discounter immer wichtiger für den Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften. Darauf stelle sich das Presse-Grosso mit seinen kompetenten Großkundenbetreuern, Sortimentskompetenz und schlanken Prozessen zum Einzelhandel ein.
Rund 1,6 Milliarden Umsatz
Der Absatz gedruckter Presse über den Pressegroß- und Einzelhandel ist für die Verlage der wichtigste Vertriebsweg. 2022 lag der Branchenabsatz bei rund einer Milliarde verkauften Zeitungen und Zeitschriften. Die Presse-Grossisten setzten rund 1,6 Milliarden Euro um. In Wiesbaden würden die neuen Halbjahreszahlen vorgelegt, kündigt Albrecht an. „Wir werden insgesamt nicht besser dastehen als im vergangenen Jahr, im Umsatz vermutlich leicht besser“, prognostiziert Albrecht. Dies liege an statistischen Effekten und Preiserhöhungen. Sorge bereite aber der strukturelle Absatzrückgang durch geänderte Lesegewohnheiten und Konsumflaute sowie die Kostenexplosion. Und er verweist auf die größten Preisblöcke: zum einen sei das die Logistik und Auslieferung mit den höheren Kraftstoffpreisen. Der zweite Preisblock sei die Erhöhung des Mindestlohns. Ein Lichtblick sei, dass bei den Gruner+Jahr-Titeln nach der Übernahme durch RTL doch einige, wenn auch teils unter einem anderen Dach, erhalten blieben. Wünschenswert seien Neuerscheinungen, die das Sortiment im Regal frisch hielten.
Zukunftssicherer durch neue Verteilung
Teil der neuen Branchenvereinbarung ist die gleichmäßigere Verteilung von Zeitschriften, die seltener als 14tägig erscheinen, auf die Wochentage. Bislang ist der Mittwoch der stärkste Erscheinungstag. „Wenn sich sowohl in der Anlieferung von Druckerei an Presse-Grosso, der Kommissionierung im Pressegroßhandel und der Auslieferung zu den Einzelhändlern Ressourcen gleichmäßiger einsetzen lassen und Sonderaufwand abgebaut werden kann, hilft uns das. Gleichzeitig kann der Einzelhandel die einzuräumenden Mengen besser über die Woche verteilen.“ So würden Objektgruppen gestaffelt, erklärt Albrecht. Die Bereiche Frauen/Unterhaltung, Familie/Tiere erscheinen künftig dienstags, Auto/Motor und TV am Donnerstag und die politischen Magazine hätten ihren Platz am Samstag. Für Zeitschriften mit wöchentlicher und vierzehntägiger Erscheinungsweise sowie für Zeitungen bleiben die bisherigen Erscheinungstage.
Aus Sicht des Hauptgeschäftsführers greife hier ein „kreatives Element der neuen Branchenvereinbarung“. Er widerspricht damit Schraders Vorwurf einer „reinen Preiserhöhung“. „Um Preise zu senken, können die Verlage künftig auch ihre Anlieferung beim Grosso steuern“, sagt Albrecht, etwa durch die Anlieferung vor sieben Uhr. So könnten Vertriebskosten stabil bleiben.
Auf diesem Feld sieht Albrecht auch Möglichkeiten für den Einsatz Künstlicher Intelligenz, etwa bei der Disposition in der gesamten Wirtschaftslinie. Hier könnten Routinen abgeschafft und Raum für Neues geschaffen werden.
Die Bundesregierung erinnert er daran, dass das Grosso systemrelevant sei. „Wir begrüßen die Initiativen der Bundesregierung und auf Landesebene, die Presse-Infrastruktur zu stützen“, sagt Albrecht. „Es hakt momentan an Kompetenz-Querelen und zugenähten Hosentaschen. Aber auch die Verlage sind sich nicht einig“, kritisiert Albrecht. Sein Verband sieht einen effektiven Weg in der Absenkung der Mehrwertsteuer, wobei er zugleich verschiedene Steuersätze bei Zeitungen und Zeitschriften für möglich hält. Eine Absenkung auf Null hält er für unrealistisch.