Sie schlug hohe Wellen im Sommer 2023: Eine Umfrage des Kinderhilfswerks Plan International unter 18- bis 35-jährigen Männern in Deutschland. Laut Studie findet es jeder dritte der Befragte in Ordnung, Gewalt gegen Frauen in der Partnerschaft einzusetzen. Im Anschluss wurde um die Repräsentativität der Daten gestritten, dabei ist die Realität weitaus schockierender.
Weniger als alle zwei Minuten erfährt in Deutschland ein Mensch häusliche Gewalt, jede Stunde erleiden sie mehr als 14 Frauen. Denn vier von fünf der Betroffenen sind Frauen, 80 Prozent der Täter sind Männer. Jede vierte Frau hat Erfahrung mit Partnerschaftsgewalt, beinahe jeden Tag versucht ein (Ex)-Partner, eine Frau zu töten.
Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland stark verbreitet. Und sie betrifft Frauen allen Alters und aus allen sozialen Schichten. Nur wenig daran geändert hat die Istanbulkonvention – das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt -, die seit 2018 auch für Deutschland gilt. Obwohl sie umgesetzt werden muss, kämpfen Beratungsstellen und Frauenhäuser weiterhin mit Geldknappheit und mangelndem politischen Rückhalt.
Datenlage bleibt ungenau
Die raren Anlässe, an denen öffentlich über die Jahr um Jahr steigenden Zahlen zu häuslicher Gewalt gesprochen wird oder zu lesen ist. Meist um den 8. März herum oder am 25. November, dem Tag gegen Gewalt an Frauen, werden Fahnen gehisst, Expert*innen befragt, mangelnde Frauenhaus-Plätze kritisiert und Statistiken zu Opferzahlen und Frauenmorden zitiert. Dabei lassen letztere eine differenzierte Datenerhebung vermissen. Versuchte Tötungen, die nicht als solche wahrgenommen oder angezeigt wurden, tauchen in den Statistiken gar nicht auf. Die zentrale Informationsstelle der Frauenhäuser geht von einer hohen Dunkelziffer aus.
Es ist zu einer Art Gewohnheit geworden, das Thema nicht gänzlich zu ignorieren. Zugleich bleibt ein Status Quo aufrecht, der gerade Menschen, die mit von Gewalt betroffenen Menschen arbeiten oder selbst gewaltbetroffen waren, die Wut auf die Stirn treibt. Zwar hat es das Thema Femizid (also der Mord an Frauen aufgrund ihres Geschlechts) immerhin schon bis in den „Tatort“ geschafft. Andererseits ist es medial vollkommen unterrepräsentiert.
Wenig Berichterstattung
Christine Meltzer, Kommunikationswissenschaftlerin an der Uni Mainz, hat die Berichterstattung 17 deutscher Tageszeitungen untersucht und rund 3.500 Zeitungsartikel analysiert. In der daraus resultierende Studie für die Otto-Brenner-Stiftung, kommt sie unter anderem zu dem Schluss, dass viel zu selten über Gewalt gegen Frauen berichtet wird, und wenn, dann der Fokus häufig auf den Tätern liege. Sensationslust überwiegt: Je brutaler eine Tat, desto wahrscheinlicher eine Berichterstattung . Auch die Herkunft des Täters ist ein Faktor, ob über Femizide berichtet wird. Dabei spielt diese absolut keine Rolle, sondern allein die misogyne Motivation der Tat und das Geschlechterverhältnis, das dieser zugrunde liegt.
Femizide benennen
Auch die Rede von „tragischen Einzelfällen“, „Familientragödien“ oder „Eifersuchtsdramen“ hält sich beharrlich. Dabei geht mit den Bezeichnungen eine Individualisierung, Privatisierung und Entpolitisierung des Problems einher. Der Begriff Femizid verweist dagegen auf die strukturelle Gewalt einer patriarchalen Geschlechterordnung, die männliches Besitzdenken und Dominanz hervorbringt – und die weiterhin von vielen mitgetragen und vor allem von rechten und konservativen Kräften massiv verteidigt wird.
„Ich sage euch, was Freiheit für mich bedeutet: Ohne Angst zu leben.“ Dieses Zitat der Schwarzen Sängerin Nina Simone hat die Juristin Christina Clemm ihrem 2023 erschienenen Buch „Gegen Frauenhass“ vorangestellt. Clemm vertritt als Rechtsanwältin seit 30 Jahren Menschen, die von geschlechtsspezifischer und rassistisch motivierter Gewalt betroffen sind. Sie erklärte kürzlich in einem Interview: „Es reicht nicht, die Opfer aufzufordern, sich zu wehren und ihr Schweigen zu brechen. Eigentlich muss die gesamte Gesellschaft ihr Schweigen brechen.“