Wenn Arbeit krank macht: Personalabbau, Arbeitsverdichtung, Bedrohungslagen. Die Bedingungen, unter denen Journalist*innen heute arbeiten, sind nicht gerade rosig. Damit Journalist*innen ihre demokratische Aufgabe aber wahrnehmen können, sind gute Arbeitsbedingungen notwendig. Dafür müssen auch Arbeitgeber*innen Sorge tragen. Denn psychische Gesundheit ist kein Privatproblem.
Die CORRECTIV-Recherche zum Geheimtreffen der AfD hat einmal mehr gezeigt, wie wichtig guter Journalismus für Demokratie und Aufklärung der Gesellschaft ist. Doch die Profession krankt auf allen Ebenen. Für rund 70 Prozent der Journalist*innen ist ihre Arbeit nach einer Befragung in 2023 mit der digitalen Transformation nicht leichter, sondern stressiger geworden. Das hat Folgen für ihre mentale Gesundheit. Selfcare reicht da nicht aus, auch Medienhäuser und das soziale Umfeld sind in der Pflicht etwas zu verändern.
Die mentale Gesundheit von Medienschaffenden wird vor allem durch Strukturprobleme im Journalismus gefährdet – etwa neue Anforderungen im digitalen Wandel, Arbeitsverdichtung durch Personaleinsparungen in den Redaktionen und Vertrauensverlust der Medien in der Bevölkerung. Eine erste Studie dazu, wie Journalist*innen diese Facetten des aktuellen Wandels im Mediensystem erleben, hat der Arbeits- und Organisationspsychologe Burkhard Schmidt 2022 zusammen mit drei Kollegen im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung erstellt. Als er die Untersuchung „Arbeitsdruck – Anpassung – Ausstieg“ auf dem diesjährigen ver.di-Journalismustag präsentierte, stieß er besonders bei den jüngeren Kolleg*innen auf große Ressonanz.
„Leistung und Gesundheit sind zwei Seiten derselben Medaille! Das predigen wir den Firmenchefs schon seit Jahrzehnten“, sagte Schmidt in Berlin. Am „Job-Demand-Ressources“-Modell erläuterte er, dass jede Arbeit Herausforderungen und Stress mit sich bringe und nur ohne Schädigung der Mental Health erledigt werden könne, wenn es genügend positive Ressourcen und Motivation zum Ausgleich gebe. „Die Wippe darf nicht ins Ungleichgewicht kommen“, so der Wissenschaftler, „sonst geht es dem Menschen und der Organisation schlecht“. Wegen der ökonomischen Folgen von Arbeitsstress sei es auch im Interesse der Unternehmen, Produktionsprozesse organisationsverträglich und human zu gestalten.
Qualitätsverlust durch Anpassungsdruck
In der interdisziplinären Mixed-Methods-Studie ging es nun darum, erstmals auch für den Journalismus herauszuarbeiten, welche Stressoren, das heißt Stress auslösende Belastungen am Arbeitsplatz, es gibt und mit welchen Ressourcen – persönlicher Austausch oder Erholung in der Freizeit – Journalist*innen dem begegnen, also welche Bewältigungsstrategien sie nutzen.
Zunächst wurden im qualitativen Teil Interviews mit 20 Journalist*innen geführt. „Die Menschen hatten einen großen Redebedarf und zeigten eine positive Offenheit“, so Schmidt. Zentrales Ergebnis: Am häufigsten nannten alle den enormen Anpassungsdruck im Zuge der Digitalisierung, der ihrer Ansicht nach mit einem Qualitätsverlust ihrer Arbeit einhergeht. Die Verantwortung dafür hätten auch die Medienunternehmen, die mit ihren Einsparungen zu Arbeitsverdichtung und Zeitdruck beitrügen. So sagt ein Zeitschriftenredakteur, mit der dünner werdenden Personaldecke in den Redaktionen schwinde zunehmend die Recherchetiefe.
95 Prozent der Interviewten bedauern das sinkende Vertrauen der Bevölkerung in die Branche und mehr als die Hälfte merkt selbstkritisch an, die Publikumskritik, etwa an „einseitiger Berichterstattung“, sei „bedingt richtig“. Ein Print-Redakteur kritisiert, dass Konzepte zur Verbesserung journalistischer Qualität an ökonomisch-finanziellen Vorbehalten des Managements scheiterten: „Die schönsten Ideen, sagt man bei uns im Haus, sterben an der Kasse.“
Immer häufiger Burnout
Auch psychische Erkrankungen wie Burnout nehmen zu – abhängig von der persönlichen Grundkonstellation (Perfektionist*innen sind besonders gefährdet) und der Arbeitssituation (Digitalisierung, Einsparungen), so Schmidt. Bei krassen professionellen Veränderungen komme es zu Überforderungen und einem Konflikt zwischen persönlichen Werten mit denen des Umfelds. In ihrem Redaktionsalltag konstatierten die Interviewten einen solchen Wertekonflikt, weil sie „in ihrem beruflichen Handeln zeitweise durch ökonomisch geprägte Erwartungen oder Vorgaben des Managements gegen ihr berufliches Ethos verstoßen mussten“. So bemängelt ein Online-Journalist, dass ein „Sekunden-Update nach großen Ereignissen schwer vereinbar sei mit dem Re-Check“.
In einem zweiten Schritt sollten die herausgearbeiteten Ergebnisse mit einer Online-Befragung empirisch überprüft werden. Da sich hier nur 161 Journalist*innen beteiligten, seien die Ergebnisse keineswegs repräsentativ, sondern zeigten bestenfalls Trends, so Schmidt. Der in der ersten Teilstudie konstatierte Qualitätsverlust wird von 47,5 Prozent der Online-Befragten bestätigt, allerdings machen sie dafür weniger die digitale Transformation als vielmehr ökonomische Zwänge verantwortlich. Sie bemängeln, dass Medienhäuser auf Geschwindigkeit vor Qualität setzten und ökonomische vor publizistische Ziele stellten. Ältere Journalist*innen tun sich mit der Digitalisierung schwerer als Jüngere, die weniger verdienen und das als ungerecht empfinden. Der Beruf wird für Jüngere unattraktiver. Sie denken häufiger daran, aus dem Job auszusteigen. Insgesamt erwägt über die Hälfte aller Befragten einen Berufswechsel.
Kraftressourcen gegen Arbeitsstress
Nach den Studienergebnissen meint auch etwa die Hälfte, der Journalismus verliere an gesellschaftlicher Anerkennung. In der Online-Befragung stimmten sogar 84 Prozent dieser Aussage zu. Es gebe aber auch Medienschaffende, die sich nicht entmutigen lassen und journalistische Nischen suchen oder – wie allerdings nur wenige – professionelle Hilfe, etwa Coaching in Anspruch nehmen. Wegen beruflicher Überforderung brauchen 60 Prozent eine längere Erholungszeit nach der Arbeit und 40 Prozent fühlten sich emotional ausgelaugt. Schmidt warnte, das führe wiederum zu Konflikten in Familie und Partnerschaft, die „eigentlich die stärksten Unterstützungsquellen“ auf der beruflichen Wippe bilden.
Bei der Messung des Arbeitsstresses nach dem Effort-Reward-Imbalance-Modell (ERI) schneiden Journalist*innen schlechter ab als andere Berufsgruppen. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Anstrengung (Arbeitseinsatz) und Belohnung (Geld, Wertschätzung) ist auf 1 normiert. Größere Werte kennzeichnen ein höheres Stresslevel. Das lag 2022 in der Medienbranche bei einem ERI-Wert von 2,78. „Es fehlt die Kraft, die Wippe, die auf Stress steht, wieder zurückzudrücken“, konstatierte Schmidt.
Arbeitgeber in die Pflicht nehmen
Wer versuche, dem Arbeitsdruck mit Berufsethos entgegenzutreten, führe einen inneren Kampf, der wiederum eine Stresssituation nach sich ziehe. Deshalb müssten die Ressourcen gestärkt werden – auf individueller und Unternehmens-Ebene, beispielsweise durch psychologisches Gesundheitsmanagement, das es in anderen Branchen längst gebe. Unterstützen könnten bei persönlichen Problemen zum Beispiel kollektive Initiativen wie die Telefonberatung „Helpline“, die auch Unternehmen finanziell fördern sollten oder ein Coaching. Die Mitarbeitenden müssten sich selbst fit halten, aber auch die Organisation habe eine Verantwortung für sie und müsse Angebote zum Gesundheitsschutz bereitstellen.
Es sei wichtig, dass die Führungskräfte ein solches betriebliches Gesundheitsmanagement durch „staffcare“ unterstützen und auch einen Generationenkonflikt verhindern, der durch Gehaltsunterschiede und Umgang mit Digitalisierung angelegt ist. Dabei gehe es darum, Altersdiskriminierungen zu vermeiden, gemischte Teams aufzubauen und journalistische Qualitätsstandards zu wahren, heißt es in der Studie.
Um den gesundheitsgefährdenden „Wertekonflikt zwischen dem journalistischen Selbstverständnis und der gelebten Organisationsrealität sowie dem Verhältnis zu den Rezipient*innen“ anzugehen, forderte Schmidt bereits 2022 mit Medienwissenschaftler Rainer Nübel in einem M-Beitrag zu ihrer Studie: „Das Verhältnis von Management und Publizierenden muss geklärt werden.“ Gemeinsam sollten sie versuchen, „dem – immer noch sehr großen – Teil der Bevölkerung, der um die Bedeutung einer intakten Presse weiß, in einer Transparenzoffensive ihre derzeitige Problemlage und deren Ursachen offen und ehrlich nahezubringen“. Die demokratische Mediengesellschaft nehme „gehörig Schaden, wenn der gerade in Zeiten von Fake News, Hassrede und Verschwörungsnarrativen so wichtige professionelle Journalismus derart an strukturellen Problemen leidet und deren Hauptakteure, die Journalist*innen, zunehmend überbeansprucht sind“.