Fake oder Fiktion: Wer darf was?

Innehalten und sich fragen: Was leite ich da eigentlich weiter? Illustration: 123rf

Bei Fake News dreht es sich meist um Falschaussagen, Lügen, die als Journalismus getarnt sind oder Angriffe auf die Pressefreiheit. In der Literatur hat Wahrheit und Authentizität einen ganz anderen Stellenwert. Bei der Gesprächsrunde „Fake News oder Fiktion?“ auf der diesjährigen Buchmesse im Leipzig loteten die Teilnehmer*innen die Grenzen zwischen journalistischen und belletristischen Formaten aus.

„Kein Autor von Belletristik behauptet die Wahrheit zu verbreiten“, betonte Bestseller-Autorin Amelie Fried zu Beginn des Gesprächs auf der Leipziger Buchmesse: „Der entscheidende Begriff ist nicht Realität, sondern Authentizität.“ Neben Fried diskutierte Sven J. Olsson als stellvertretender VS-Bundesvorstand in ver.di die „Kernfrage unserer Zeit“ mit dem Journalisten Peter Freitag, Rheinische Redaktionsgemeinschaft, Mitglied im WDR-Rundfunkrat und stellvertretender Vorsitzender des dju-Bundesvorstands in ver.di. Journalist*innen kennen selbstverständlich die Richtlinien, unter denen sie arbeiten sollten, gerade in Zeiten zunehmender Desinformation ist es wichtig, dass Zwei-Quellen-Prinzip und die Kenntlichmachung von Quellen auch einem breiteren Publikum erläutert werden.

Fake News sind keine Flüchtigkeitsfehler

Zwar passierten im Journalismus auch Fehler, räumt Freitag ein, aber das läge meist an der massiven Überarbeitung: „Das macht man nicht wissentlich.“ Manipulationen von Inhalten und Bildern erschwerten die Arbeit. Bildmanipulationen schon immer, aber vielleicht müsste es künftig Hinweise wie in der Kriegsberichterstattung geben, überlegte Fried: Konnten die Information nicht überprüfen. Eine Kennzeichnungspflicht sieht Freitag künftig auch für KI-generierte Inhalte als sinnvoll an.

Doch auch in der Belletristik fühlt sich Fried der Recherche verpflichtet. Ihr neues Buch „Der längste Sommer ihres Lebens“ schildert die Geschichte von Mutter, Tochter und Großmutter, die sich auf unterschiedlichen Seiten im Kampf gegen die Klimakrise befinden und doch als Familie vereint sind. „Was ich in meinem aktuellen Buch erfunden habe, lege ich offen“, sagt Fried. So befinden sich sogenannte „Hungersteine“, die nur bei großer Dürre sichtbar werden, in der Elbe oder auch am Rhein. In München an der Isar, wo Frieds Geschichte spielt, allerdings nicht, den erfand die Schriftstellerin und machte dies kenntlich.

Autofiktion und die Todsünde des Journalismus

„Bei Autofiktion habe ich jedes Recht alles zu tun – außer die Familie beschwert sich“, sagte Fried. Sie selbst habe sich bei der Darstellung ihrer jüdischen Familiengeschichte väterlicherseits bewusst entschieden, keinen Roman zu schreiben. Schwierig werde es bei Büchern, die sich als Schlüsselromane generieren, weil die Leserschaft doch immer wissen wolle, wer gemeint sei.

In dem Sinne ließe sich Autofiktion auch kritisch hinterfragen, ergänzte Freitag: „Manche lassen sich verleiten eine schöne Geschichte zu erzählen.“ Das Füllen von Lücken ist die Todsünde des Journalismus. „Eine wichtige Kontrollinstanz sind die für uns Leser oder Hörer“, sagte Freitag: „Und die stehen im Zweifel vor unserer Tür.“

Erwartungen an die Fiktion

Olsson wollte mit der Gesprächsrunde Erwartungen der Leserschaft brechen. „Alle Welt redet über Fake News. Aber Schriftsteller produzieren seit Anbeginn des Schreibens etwas, das die Realität abbildet.“ Für Olsen bildet das Thema nicht nur eine Kernfrage unserer Zeit: „Es ist auch die Kernfrage, die immer alle Schriftsteller*innen am Ende einer Lesung trifft: Haben Sie das alles selbst erlebt?“ Ein Teil des Publikums nimmt also Fiktion für bare Münze.

Verantwortung für Medienkompetenz

Menschen zu ermächtigen zwischen Fake und Fiktion zu unterscheiden, ist auch eine Aufgabe für Medienschaffende, Verlage und Produzent*innen. „Man sollte dem Thema Medienkompetenz viel mehr Platz einräumen“, betonte Freitag im Anschluss an die Gesprächsrunde. „Es geht nicht nur darum, was wir konsumieren, es hat auch Folgen für die Demokratie. Und KI verschärft das Problem.“ Es dürfe nicht bei Projekten wie Zeitung in der Schule stehenbleiben. Zwar gebe  es Angebote, dass Journalist*innen an die Schulen kommen, aber die Zeit hätten die Kolleg*innen aufgrund des immer größer werdenden Drucks gar nicht mehr.

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