Filmtipp: Cleaners im Schatten der Netzwelt

Ausschnitt aus "The Cleaners"
Bild: gebrueder beetz filmproduktion

Die Dreharbeiten waren nicht einfach und sogar gefährlich, weil unerwünscht. Was die sogenannten Content-Moderator_innen in Manila an den Bildschirmen machen, ja dass es sie überhaupt gibt, das unterliegt bei den großen Social-Media-Konzernen größter Geheimhaltung – die freilich nicht immer funktioniert. „Die Welt soll wissen, dass es uns gibt“ sagt einer der Protagonist_innen. „The Cleaners“ – eine gebruederbeetz Filmproduktion – läuft ab 17. Mai in den deutschen Kinos.

„The Cleaners“ nennen die Autoren Hans Block und Moritz Riesewieck ihren Film über die Schattenwelt der Putzkolonnen der Digitalisierung. Allein in Manila arbeiten mehr als 10.000 Menschen daran, aus dem Internet zu löschen, was die User nicht sehen sollen: Gewalt, Pornografie, Enthauptungen, Vergewaltigungen. Diese gigantische Schattenindustrie steht für den Albtraum der Globalisierung und Vernetzung. Fünf dieser Content-Moderator_innen waren nach mühsamen Recherchen bereit, von ihrer Arbeit zu erzählen. Manchmal sieht ihnen die Kamera auch zu, wie sie sekundenschnell entscheiden: „ignore“ – kann bleiben, „delete“ – muss weg. Die einen vergleichen sich mit Scharfschützen, andere verstehen sich als Retter vor der Schlechtigkeit der Welt und sind stolz auf ihre Arbeit.

Dabei stehen die Content-Moderator_innen selbst stark unter Druck. Einer der Protagonist_innen erzählt, dass er täglich bis zu 10.000 Fotos sieht. Sie dürfen sich nur drei Fehler im Monat erlauben. Die Familien dürfen von dieser Arbeit nichts erfahren. Die Philippinen sind ein christliches Land, da kommt auch das christliche Menschenbild ins Spiel. Nacktheit, Brüste, Genitalien – undenkbar. Delete. Zugleich macht diese Arbeit die Bildschirmarbeiter_innen kaputt. Wer hunderte Enthauptungen gesehen hat, wird sich daran kaum gewöhnen können. Ihre Traumata sind der Kollateralschaden dieser Kommunikationsverhältnisse.

Natürlich hat die Geschichte doppelten Boden. Es geht nicht nur um die versteckte Ausbeutung von Arbeitskräften weit weg vom Firmensitz von Facebook und Co, sondern auch potentiell um die Eliminierung kritischen Denkens im digitalen Raum. Eine amerikanische Künstlerin hat Donald Trump gemalt, mit kleinem Penis, eine satirische Anspielung auf dessen Potenzgehabe – gelöscht. Bilder von Kriegsgräueln, die NGOs als Beweismittel zusammentragen, werden als IS-Material eingestuft und gelöscht. Das ikonographische Bild des von Napalm verbrannten nackten Mädchens im Vietnamkrieg – es musste erst mühsam vor der Löschung gerettet werden. „Es wird weniger unangenehme Botschaften geben“, prognostiziert einer der Experten im Film. Noch dazu läuft dieses Internet-Cleaning parallel zur Politik des Social Cleaning auf den Philippinen, wo Präsident Duarte zum Mord im Drogenkrieg aufruft und sich selbst als Mörder rühmt.

Ästhetisch gesehen entwickeln die Autoren eine Filmsprache, die der künstlichen Welt der Social Media und der Schattenhaftigkeit der Existenz der Putztruppen entspricht. Künstliche Farben, rasante Schnitte. Manchmal geht die Kamera ganz nah an die Content-Moderator_innen heran, dann spiegelt sich in den Augen der Bildschirm. Dann wieder geht es so schnell zu wie bei den Entscheidungen. Delete-ignore-ignore-delete, das bleibt im Kopf hängen.

„Wir enthüllen in unseren Arbeiten die trojanischen Pferde unserer Zeit“, sagen die Autoren in einem Statement, „etwa den vermeintlichen Fortschritt und zivilisatorischen Gewinn, den die rasante Digitalisierung verspricht. Wir schauen dem geschenkten Gaul ins Maul: erweitern den Blick für die Ambivalenzen, die Ideologien und gesellschaftlichen Entscheidungen, die hinter jeder technologischen Frage stecken.“

Damit trifft der Film wie bestellt in die öffentlich breit diskutierte Debatte etwa um Facebook / Cambridge Analytics oder EU-Datenschutzgrundverordnung. Er stellt die notwendigen Fragen, wie wir damit umgehen wollen. Die Autoren: „Wir wollen vor Augen führen, wohin wir steuern, wenn wir die Verantwortung für die digitale Öffentlichkeit Privatunternehmen überlassen, die Wut und kollektive Empörung zu Geld machen, und deshalb trotz aller Lippenbekenntnisse keinerlei ernsthafte Anstrengung dagegen betreiben.“

Weitere Informationen und Termine: http://www.thecleaners-film.de/

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Quartalsbericht zur Branche liegt vor

Einen detaillierten Blick auf das Geschehen in der Medienbranche wirft der jetzt wieder vorliegende Quartalsbericht. Er speist sich aus den Auswertung von Internetseiten, Zeitungen, Fachzeitschriften, Informationsdiensten, Verbands- und Unternehmenspublikationen. Ein Merkmal des ersten Monate dieses Jahres: Viele Übernahmen und eine Werbekonjunktur. 
mehr »

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »