Thilo Mischke kommt doch nicht

Thilo Mischke in einer Filmszene aus "Prosieben Spezial: Rechts. Deutsch. Radikal.", einer Recherche zu rechtsextremen Netzwerken in Deutschland.

Zwei Wochen lang war der Journalist Thilo Mischke der designierte Nachfolger von Max Moor, der 17 Jahre das ARD-Kulturmagazin „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“ moderiert hat. Ende Dezember war der Wechsel bekanntgegeben worden, am 16. Februar sollte der in den letzten Jahren vor allem für investigative Recherchen und Reportagen bei ProSieben bekannte Journalist Mischke zum ersten Mal in seine neue Rolle schlüpfen, direkt von der diesjährigen Berlinale.

Am Vormittag des 4. Januar 2025 berichtete dann jedoch zuerst die Süddeutsche Zeitung, dass die ARD-Programmleitung den Vertrag mit Mischke grade mal zwei Wochen nach Bekanntgabe wieder aufgelöst habe.

Mischkes Ernennung war nämlich ausnahmsweise nicht in das nachrichtliche Jahresendloch gefallen und auch nicht angesichts der Berichterstattung über den Anschlag auf Besucher*innen des Magdeburger Weihnachtmarkts mit fünf Toten und Hunderten Verletzten am 20. Dezember 2024 hinten runter gerutscht. Stattdessen musste sich die ARD umgehend mit starker Kritik an ihrer Personalentscheidung auseinandersetzen, der sie zuletzt nicht mehr viel entgegenzuhalten hatte. Vor allem zahlreiche Journalistinnen hatten sich umgehend an die ARD gewandt und die Personalia Mischke als das kritisiert, was sie war: eine empörende Fehlentscheidung.

Sexistisches Frauenbild nicht überwunden

Denn Thilo Mischke hat nicht nur zu rechtsextremen Netzwerken der AfD und zur Lage in Afghanistan und Syrien recherchiert, Mischke hat auch in etlichen Büchern und Podcasts auf kaum zu ertragende Weise sexistische und rassistische Äußerungen von sich gegeben, die ihn für eine Rolle als Moderator im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ganz klar diskreditieren. Es tut dabei nichts zur Sache, dass, wie immer wieder betont wurde und wird, diese Äußerungen einige Jahre zurück liegen. Weder hat sich Mischke für diese entschuldigt, noch kann er glaubhaft erklären, dass er seine zuletzt vor fünf Jahren getätigten Aussagen zu Vergewaltigungen und Frauenbildern inzwischen wirklich revidiert hat. Die Journalistinnen Annika Brockschmidt und Rebekka Endler hatten am 23. Dezember in ihrem Podcast „Feminist Shelf Control“ eine ausführliche Recherche dazu veröffentlicht.

Die ARD hatte trotz der Kritik zunächst an der Personalie Mischke festgehalten und betont: „„ttt“ stellt sich gegen jede Form von Sexismus und Rassismus und steht, genauso wie Thilo Mischke, für Meinungsvielfalt und Toleranz.“ Seit der Veröffentlichung der Aussagen habe er sich, so die ARD, „intensiv und selbstkritisch mit den Vorwürfen, darin ein sexistisches Frauenbild vermittelt und stellenweise rassistische Sprache benutzt zu haben, auseinandergesetzt“. Man wolle alles dazu tun, „Rufschaden“ von ARD und dem „ttt“-Format abzuhalten. Vielmehr war dann nicht zu hören. Neben der erhobenen Kritik forderte auch der Deutsche Journalisten-Verband am 30. Dezember 2024 die Redaktion des Magazins auf, die versprochenen Antworten auf die Sexismusvorwürfe gegen den designierten Moderator zu liefern. Schließlich erscheint am 2. Januar 2025 ein offener Brief von über 100 Kulturschaffenden an die zuständige Programmdirektion, der die Neubesetzung mit den schon genannten Argumenten kritisiert.

Kommunikation strukturell auf Mischkes Seite

Ob es dieser Brief war, der den Druck schlussendlich so erhöhte, dass die ARD den Vertrag mit Mischke wieder löste, bleibt fraglich. Denn die Argumente, die die Kritiker*innen vorbringen, werden sowohl von der ARD als auch von seiten der Mischke-Verteidiger*innen nicht anerkannt. Weder wurde sich von Mischkes Äußerungen distanziert, noch die entsprechende Distanzierung von ihm selbst geliefert. Stattdessen heißt es, Thilo Mischke sei ein hervorragender Journalist und falle „Cancel Culture“ sowie feministischer Kritik zum Opfer. Niemand stellt allerdings in Frage, dass Mischke gute investigative Reportagen („Uncovered“) liefern kann. Ebensowenig ging es um eine – wenn auch nötige – grundsätzliche Auseinandersetzung mit frauenfeindlichen Strukturen im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk. Zuallererst ging es um die Frage, ob eine Person wie Thilo Mischke grundsätzlich geeignet ist, ein Format wie „ttt“ zu übernehmen – zumal vor dem Hintergrund seiner früheren nur schwerlich als ausschließlich journalistisch zu betrachtenden Produkte

Die Causa Mischke fällt in eine Zeit, in der die Urteilsverkündung im Fall Gisèle Pelicot, die in Südfrankreich von dutzenden Männern über ein Jahrzehnt vergewaltigt wurde, bekannt gegeben und ein Netzwerk von Vergewaltigern auf Telegram aufgedeckt wurde, eine Zeit, in der der rechtsextreme AfD-Abgeordnete Maximilian Krah auf millionenfach geklickten Videos Datingtipps für junge Männer gibt und ihnen erklärt, was „echte Männer“ sind. Die Rolle und auch das Agieren Verantwortlicher des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks muss in diesen Zeiten klar und transparent sein: sich nicht von populistischen Vorwürfen treiben und vereinnahmen lassen, sondern für Aufklärung, gesellschaftliche Werte, Fehlerkultur und Verantwortung einstehen.

Weitere aktuelle Beiträge

Medienrat: Chance für den ÖRR

Der Medienrechtler Wolfgang Schulz hält es grundsätzlich für positiv, einen Medienrat zu schaffen, der evaluiert, ob die öffentlich-rechtlichen Sender ihren Auftrag insgesamt erfüllen. Es sei „eine gute Idee“ eine Institution zu haben, die gesamthaft die Entwicklung der Rundfunkanstalten in den Blick nehme, erklärt Schulz, Vorstandsvorsitzender des Leibniz-Instituts für Medienforschung Hans-Bredow-Institut (HBI).
mehr »

Die unendliche Krise des RBB

Der Schock sitzt nach wie vor tief. „2025 wird ein Schicksalsjahr für den RBB“, so die unfrohe Botschaft von Intendantin Ulrike Demmer Ende Januar auf einer Informationsveranstaltung vor der fassungslosen Belegschaft. Was folgte, war ein radikales Sanierungsprogramm für den Sender. Insgesamt 22 Millionen Euro will die Geschäftsleitung am Personal- und Honoraretat einsparen. Das entspricht 10,2 Prozent der bisherigen Aufwendungen und ziemlich genau 254 Vollzeitstellen.
mehr »

Gewalt gegen Medienschaffende verdoppelt

In der „Nahaufnahme“ dokumentiert Reporter ohne Grenzen (RSF) jedes Jahr Attacken auf Pressevertreter*innen. Für 2024 sind jetzt die Zahlen erschienen. RSF fordert angesichts der Verdopplung von Übergriffen auf Medienschaffende und Medienhäuser von der neuen Bundesregierung entschiedene Unterstützung für die Pressefreiheit.
mehr »

Quellenschutz in Gefahr 

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) verurteilt die Wochenzeitung  Kontext, weil sie den Namen des Mitarbeiters von AfD-Abgeordneten genannt hat, der sich in Chats rassistisch geäußert hatte, und ihre Quellen nicht preisgeben wollte. Das Frankfurter Urteil widerspreche guter journalistischer Praxis, kritisierte der verdi-Vorsitzende Frank Werneke.
mehr »