Journalistin erstreitet Aktenzugang

Symbolbild 123rf

Das Verwaltungsgericht Gera spricht einer Journalistin das Recht zu, Durchsuchungsbeschlüsse einsehen zu dürfen. Das war ihr vom Amtsgericht bislang verweigert worden. Benjamin Lück von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GfF) wertet den Beschluss als Erfolg und fordert darüber hinaus die Aufhebung des Paragraphen, der die journalistische Arbeit bei juristischen Verfahren grundlegend einschränkt.

„Ein halbes Jahr nach dem Geschehen: Durchsuchung von über zwanzig Objekten in mindestens drei Bundesländern wegen Demonstrationsdelikten“. So lautet die Überschrift der auf juristische Verfahren spezialisierten Journalistin Detlef Georgia Schulze im Taz-Blog . Sie berichtete von einer bundesweiten Polizeirazzia am 8. November 2023. Gegen die Betroffenen der Hausdurchsuchungen wird wegen der Teilnahme an einer antifaschistischen Demonstration am 1. Mai 2023 in Gera ermittelt. Dort war es zu Auseinandersetzungen mit Rechten gekommen. Es habe Versuche der Demonstrationsteilnehmer*innen gegeben, eine Polizeisperre zu durchbrechen. Die Polizei hatte laut MDR-Berichten etwa die Hälfte der gut 500 Teilnehmer*innen für mehrere Stunden eingeschlossen, um Identitäten festzustellen.

Im Eilverfahren gegen das Amtsgericht Gera

Detlef Georgia Schulze stellte an die Staatsanwaltschaft Gera zu den anschließenden Hausdurchsuchungen mehrere Fragen. Unter anderem wollte sie wissen, was aus Sicht der Ermittlungsbehörden der Zweck der Durchsuchungen war und nach welchen Kriterien die Personen ausgewählt wurden. Zudem hatte Schulze vom Amtsgericht Gera die Durchsuchungsbeschlüsse angefordert. Die Journalistin verweist im Gespräch mit M auf bereits veröffentlichte Pressemitteilungen lokaler Gruppen und auf einen Kommentar der thüringischen Landtagsabgeordneten der Linkspartei Katharina König-Preuss zu den Durchsuchungen. Sie berichteten, dass den Betroffenen lediglich vorgeworfen werde, an der Demonstration am 1. Mai in Gera teilgenommen und dabei dunkle Kleidung getragen zu haben. Eine individuelle Beteiligung an konkreten Straftaten hingegen gehörte offenbar nicht zu den Vorwürfen.

Verwaltungsgericht gibt Journalistin Recht

„Ich wollte und will weiterhin feststellen, ob die Staatsanwaltschaft Gera die Durchsuchungsbeschlüsse tatsächlich mit leeren Händen beantragt und erhalten hat“, begründet Schulze ihre journalistische Recherche. Eigentlich wäre zu vermuteten, Gericht und Staatsanwaltschaft sollten ein Interesse haben, darzulegen, dass die Durchsuchungsbeschlüsse zurecht beantragt und erlassen wurden. „Stattdessen gaben sich sowohl Staatsanwaltschaft als auch Amtsgericht sehr wortkarg. Das Amtsgericht stellte sich sogar als unzuständig für seine eigenen Beschlüsse dar und verwies mich an die Staatsanwaltschaft,“ erklärt Schulze. Daraufhin beantragte die Journalistin im Eilverfahren vom Amtsgericht die Herausgabe von anonymisierten Entscheidungs-Digitaldaten. Das VG Gera gab Schulzes Antrag nun statt und verweist auf ein gesteigertes öffentliches Interesse und einen starken Gegenwartsbezug der Berichterstattung. Mit der Verweigerung der Dokumente werde unverhältnismäßig in die Freiheit der Journalist*innen eingegriffen. Die grundrechtliche Dimension der Pressefreiheit sei zu beachten, heißt es in dem Beschluss.

Hürde für journalistische Arbeit

Benjamin Lück von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GfF) bewertet im Gespräch mit M positiv, dass das VG Gera sich bei seiner Entscheidung unter anderem auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2015 bezieht. Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als auch zuletzt der Bundesgerichtshof (BGH) betonen in ihrer Rechtsprechung, dass eine Abwägung mit der Pressefreiheit stets erforderlich sei. Dass Journalist*innen dennoch auf die Hilfe der Justiz angewiesen seien, um angeforderte Dokumente einzusehen, zeige, dass das geltende Recht noch immer nicht überall angewendet würde. Deswegen wertet Lück die erneute Klarstellung der Rechtslage durch das VG Gera als einen positiven Beitrag zur Stärkung journalistischer Rechte. Die GfF habe jedoch häufig  mit Klagen von Medienvertreter*innen über mangelnde Informationsbereitschaft der Ermittlungsbehörden zu tun.

Veröffentlichung bleibt vorerst strafbar

Kritisch bewertet Lück auch den Passus aus dem Geraer Urteil, in dem sich das Gericht positiv auf den Paragraphen § 353d des Strafgesetzbuches bezieht. Diese Strafnorm verbietet ohne Ausnahme jede Veröffentlichung des Wortlauts von Dokumenten eines laufenden Strafverfahrens vor der mündlichen Verhandlung. Das gilt auch Für Pressevertreter*innen. Lück verweist in diesem Zusammenhang auf die Kampagne für eine Abschaffung oder zumindest eine strikte Neuformulierung des § 353, die die GfF gemeinsam mit der Initiative Frag den Staat erst vor wenigen Wochen gestartet hat.

Die Initiative „Strafnorm 353 gefährdet Pressefreiheit“ macht auf die veraltete Norm aufmerksam. Vorausgegangen waren zahlreiche Beschwerden von Journalist*innen, die im § 353d eine unzumutbare Einschränkung der Pressefreiheit sehen. Gegen den Paragrafen war bereits in der Vergangenheit ein Bündnis unterschiedlicher Verbände von Medienvertreter*innen aktiv geworden.


Hintergrund:

Der Chefredakteur von Frag Den Staat, Arne Semsrott, hatte im August diesen Jahres über die Ermittlungsmaßnahmen gegen die Letzte Generation und einen Journalisten des freien Radiosenders Radio Dreyeckland berichtet. Im Zuge dessen veröffentlichte er mehrere relevante Gerichtsentscheidungen. Er riskierte damit bewusst Strafanzeigen. Wenige Wochen später erfuhr Semsrott, dass die Staatsanwaltschaft Berlin ein Ermittlungsverfahren wegen dem Verstoß gegen § 353d Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB) eingeleitet hatte. In ihrer jetzigen Form zwingt diese Norm Medien dazu, nur sinngemäß über strafverfahrensrechtliche Dokumente zu berichten, etwa auch einen Gerichtsbeschluss im laufenden Verfahren.

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