Kapitäne für die Bilderflut

Ina Jasmin Kossatz Foto: Christian Burkert

Die freie Fotoredakteurin und Dozentin Ina-Jasmin Kossatz im Gespräch mit M

Auf dem deutschen Tageszeitungsmarkt spielen Lokalzeitungen bis heute eine zentrale Rolle. Während die dort vorherrschenden Konzen­trationsprozesse immer wieder thematisiert werden, ist der Umgang mit der Fotografie im Lokaljournalismus nur selten Thema. In Bezug auf NRW hat dies im Jahr 2019 die freie Bildredakteurin Ina-Jasmin Kossatz in einem Projekt für die FH Dortmund untersucht.

Frau Kossatz, welche Rolle spielt die Fotografie im deutschen Tageszeitungsjournalismus?

Das müsste man als erstes eingrenzen, denn da gibt es große Unterschiede. Wenn ich mir überregionale 
Tageszeitungen wie zum Beispiel die FAZ angucke, sehe ich, dass die mit sehr hochwertiger Fotografie 
arbeiten, die von einem Fotoredakteur ausgesucht wurde, gut zu lesen ist und die von der FAZ gewünschte Wirkung erzielt. Tageszeitungen im Lokaljournalismus hingegen verwenden Bilder, die eher nicht auf Wirkung und nach einem bestimmten Zweck hin ausgesucht wurden, sondern eher illustratorisch sind. Nicht das beste Bild wird genommen, sondern eben das, was gerade da ist.

Im Rahmen eines Projekts mit Professor Dirk Gebhardt an der FH Dortmund haben Sie den Umgang mit Bildern im Lokaljournalismus in NRW untersucht. Was waren die Ergebnisse?

Wir wollten in erster Linie schauen, was es für Bildquellen gibt, also wissen, wo die Bilder herkommen. Dafür haben wir 167 Lokalteile von Tageszeitungen in NRW untersucht um zu schauen, ob es wirklich so ist, dass es immer weniger professionelle Fotografien in die Print-Ausgaben schaffen und immer mehr schreibende Journalist*innen die Fotos machen. Dabei haben wir festgestellt, dass ein hoher Anteil der Bilder aus privaten Quellen kommt, also zum Beispiel Vereine oder Organisationen ihre Bilder selbst herstellen und gratis zur Verfügung stellen. Ein anderer großer Teil stammt tatsächlich immer noch von Fotograf*­innen und ein sehr, sehr hoher Anteil von schreibenden Journalist*innen.

Was zeichnet denn eine gute Fotografie im Lokaljournalismus aus?

Es sollte klar erkennbar sein, um welches Thema es eigentlich geht. Oft haben wir gesehen, dass ein Bild zwar die Protagonist*innen zeigt, aber die Art und Weise der Darstellung nichts mit dem zugehörigen Text zu tun hat. Der Text erzählt also eine andere Geschichte als das Bild. Ein Beispiel war die Renovierung einer Eisdiele. Die beiden Besitzer dieser Eisdiele sehen auf dem Bild aber aus, als wenn sie die ausrauben wollen. Die Eröffnung einer Kita war ein anderes Beispiel. Da wurden Leute fotografiert, die offensichtlich einem Vortrag lauschen. Aber man sieht nicht, wer den Vortrag hält und die Leute sehen aus, als wenn sie keine vierte Kita haben möchten. Da ist dann die Frage, welche Botschaft hier vermittelt wird.

Durch die Digitalisierung der Zeitungslandschaft kommen ja neue Herausforderungen auf die Redaktionen zu, auch was den Umgang mit Bildern angeht. Was sind diesbezüglich ihre Beobachtungen im Lokaljournalismus?

Ich habe das Gefühl, dass die Digitalisierung den 
Lokalzeitungen zu schaffen macht, weil sie nicht so schnell oder noch nicht so richtig verstanden haben, welche Chance diese ihnen bietet. Auf den Webseiten der meisten Lokalzeitungen sind zum Beispiel Werbebilder die qualitativ hochwertiger und größer sind, als der eigene Content. Dadurch entsteht ein Missverhältnis. Und viele haben noch nicht verstanden, dass es eine Paywall im Lokalteil schwieriger hat: Denn wenn man auf dem Bild schon sieht, dass der Sportplatz ein neues Tor hat, warum soll dann jemand Geld aus­geben, um den Text zu lesen? Das Geld fehlt dann natürlich beim Einkauf von hochwertigen Bildern, die mir eine Geschichte erzählen und mich dazu einladen, den Text zu lesen.

Der Zeitungsmarkt in NRW ist einer der größten in Deutschland und so hoch konzentriert in den Händen weniger Verlage wie in kaum einem anderen Bundesland. Gibt es Unterschiede zwischen den großen und kleinen Verlagshäusern?

Meine Beobachtung ist, dass es einige Blätter gibt, die ohne Großkonzern funktionieren und die sich im Umgang mit Fotografie oder Bildjournalismus tatsächlich mehr Mühe geben als die größeren Verlage. Bei denen wiederholt sich viel, da wird viel gleich benutzt. Es gibt vielleicht noch ein paar mehr professionelle 
Fotograf*innen, aber es wird auch mehr an der Vielfalt gespart. Pro Region gibt es dann vielleicht nur dieses eine Thema und es wird nicht mehr so richtig 
zwischen den Orten unterschieden. Damit geht die Individualität flöten und dementsprechend auch das wirklich Lokale. Online ist das ganz ähnlich. Da muss man sich echt durchkämpfen, um die einzelnen Orte zu finden, weil die meistens keine eigene Webseite haben oder unter einem großen Kategorien-Link verborgen sind.

Zugespitzt gefragt, verschwindet da mit Online das tatsächlich Lokale, was ich in der Zeitung vielleicht noch als die Lokalseite im dritten oder vierten Buch identifizieren kann?

Zum größten Teil schon. Vor allem, weil dieser Schritt nicht richtig durchdacht ist. Grundsätzlich wird das Lokale ja immer wichtiger, weil die Leute sich informieren und wissen wollen, was in ihrem Ort passiert: Aber es wird schwieriger, das zu finden. Viele der Lokal­zeitungen haben jetzt zum Beispiel einen Instagram-Account, aber nur 100 Follower. Denn eigentlich haben sie kein Konzept, was sie mit dem Instagram-­Account wollen, wozu der da ist: Wollen sie damit Leser*innen akquirieren oder Sympathien für ihr Blatt? Es gibt keine erkennbaren Strategien. Und das ist total schade. Das Problem ist dabei nicht, ob der Mantel, also das Nationale und Internationale zum Beispiel von der Funke Mediengruppe kommt, sondern die kleine Welt zu behalten, das, was ich eben meistens nicht im Internet finde und das dann keiner mehr mitkriegt.

Dass eine sind die Ressourcen der Verlage, das andere die Kompetenzen der Redakteur*innen. Könnten die durch Weiterbildung gestärkt werden? Wäre das ein Ansatz?

Tatsächlich würde ich sagen, dass man zu allererst mit den Verleger*innen sprechen müsste. Denen muss klarwerden, dass sie an der Stelle noch ein paar Nachhilfestunden zu nehmen haben. Grundsätzlich ist mein Gefühl, dass die Fotografie nicht so wichtig ist und irgendwie so mitläuft: Das Foto ist eigentlich immer nur Beiwerk. Deswegen muss man oben anfangen und klarmachen, dass wenn man möchte, dass das eigene Medium auch von der neuen Generation gesehen wird, ich darauf achten muss, dass die visuelle Kompetenz der Redakteur*innen und der Leser*­innen auf gleicher Höhe ist. Wenn sie das erkannt 
haben, dann wäre es gut, dies an diejenigen weiterzuleiten, die produzieren, also die eigenen Fotograf*innen. Mit Produzent*innen meine ich aber auch die Redakteur*innen, Bildredakteur*innen und auch die Grafiker*innen. Denn es gibt viele Lokalzeitungen, wo Grafiker*innen oder Redakteur*innen die Bilder aussuchen.

Bis heute gibt es mit Ausnahme von Einzelkursen in bestimmten Studiengängen und der Bildredaktionsklasse an der Ostkreuz-Schule keine Ausbildung oder keinen Studiengang für Bild­redaktion. Ist das ein Manko und braucht es da neue Ansätze?

Bei dem, was ich vorher beschrieben habe, auf jeden Fall. Niemand wird widersprechen, dass wir eine Bilderflut haben. Deswegen wird es immer wichtiger, dass es Leute gibt, die uns als „Kapitän*innen“ durch diese Bilderflut hindurch lotsen, um uns zu zeigen, was visuell wichtig ist. Auch um uns vor dem zu schützen, was es an Manipulationen da draußen gibt und um die Bilder zu finden, die wirklich was zu sagen haben und die mit dem Text zusammen ein Ganzes ergeben. Es wäre sehr wichtig, einen Studiengang in diese Richtung zu entwickeln. Außer Ostkreuz gibt es ja noch die MAZ in der Schweiz, die eine Ausbildung anbietet, aber das wird in Zukunft zu wenig sein. Wir brauchen mehr Spezialist*innen, die besser navigieren können und die das Knowhow haben, um die visuelle Literarität zu fördern, zu lehren und zu praktizieren.

Vielen Dank für das Gespräch.

Ina Jasmin Kossatz ist freie Fotoredakteurin sowie freie Dozentin für Fotografie und Bild­redaktion an der FH Dortmund und an der Hochschule Hannover. Sie arbeitete an dem 
Projekt „Institut für visuellen Journalismus“ zwischen 2018 – 2019 zusammen mit Professor Dirk Gebhardt und Udo Milbret an der FH Dortmund. Sie volontierte und arbeitete als Bildredakteurin sechs Jahre bei der laif Agentur für Photos und Reportagen in Köln. Danach betreute sie unter anderem das Magazin „Impulse“ der Volkswagen Stiftung bildredaktionell bis 2016. Studiert hat sie an der Hochschule Hannover visuelle Kommunikation und zeitweise Bildjournalismus bei Professor Rolf Nobel.


Das Interview ist Teil eines Projektes zur Bildredaktionsforschung von Felix Koltermann am Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie der Hochschule 
Hannover. Im Rahmen einer Kooperation erscheint das Interview auch auf der 
Webseite des European Jour­nalism Observatory (EJO)

 

 

 

 

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