KI im Journalismus richtig nutzen

Wer spricht und schreibt? Menschen wünschen sich Klarheit bei Künstlicher Intelligenz Foto: 123rf

Einerseits kann Künstliche Intelligenz (KI) im Journalismus die Arbeit erleichtern, wenn Beiträge automatisch erstellt werden und KI-Systeme große Datenmengen auswerten. Andererseits besteht die Gefahr, von großen Tech-Unternehmen abhängig zu werden und Diskriminierungen Vorschub zu leisten. Im neuen „Whitepaper aus der Plattform lernende Systeme“ wird ausgelotet, wie KI zu einem zeitgemäßen Journalismus beitragen kann, der Medienschaffenden mehr Zeit für kreative und investigative Arbeit verschafft.

Die Plattform Lernende Systeme wurde 2017 als Netzwerk von mittlerweile 200 Expert*innen zum Thema Künstliche Intelligenz gegründet. Medienforscherin Jessica Heesen und ihre Kolleg*innen von der Arbeitsgruppe IT-Sicherheit, Privacy, Ethik und Recht haben in diesem gut lesbaren Papier Handlungsempfehlungen erarbeitet, die auf den Ergebnissen eines Praxis-Workshops mit Journalist*innen im Juli 2022 aufbauen. Im Fokus steht die öffentliche Aufgabe von Medien in der demokratischen Gesellschaft, die auf journalistischen Qualitätsstandards und ethischen Prinzipien fußt. Nach einer Bestandsaufnahme bisheriger Nutzung von KI in den Medien, ihrer Chancen und Risiken stellt die Arbeitsgruppe Gestaltungsoptionen für ihren Einsatz vor.

Für eine Kennzeichnung von KI

So sollten mit KI erstellte Medienprodukte und Moderationen gekennzeichnet werden, auch wenn es dafür (noch) keine rechtliche Verpflichtung gibt. In einigen deutschen Nachrichtenredaktionen gehöre der sogenannte Roboterjournalismus, etwa bei Sport-, Börsen- oder Wetterberichten, längst zum Standard. Der WDR präsentierte auf der re:publica 2021, wie die Stimme von Moderatorin Steffi Neu digital nachgebildet als Basis für neue Radioansagen dienen kann. Da sorgt Transparenz für mehr Medienvertrauen beim Publikum.

Um ihre Sicherheit und Qualität zu gewährleisten, sollten KI-Systeme nach europäischen Standards zertifiziert werden, unabhängig von großen Tech-Konzernen in USA und China. Sie müssten sicher vor Überwachung sein, um Journalist*innen und ihre Informant*innen zu schützen. Es gelte, bereits bei ihrer Gestaltung Werte wie Nicht-Diskriminierung, Fairness, Datenschutz und -souveränität in die KI-Algorithmen und die notwendigen Trainingsdaten zu integrieren und Presserecht und -ethik anzupassen – etwa Urheberrecht und journalistische Sorgfaltspflicht.

Arbeitsbedingungen im Auge behalten

Wenn KI in die Redaktionsarbeit eingeführt wird, müssen die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen bei der Gestaltung einer neuen Arbeitsteilung zwischen Mensch und KI-System einbezogen werden. Dabei dürften Journalist*innen durch Aufgabenhäufung und Stellenabbau nicht überlastet werden. Ziel solle es sein, entstehende Freiräume durch KI-Unterstützung – etwa bei der Transkription von Interviews oder Moderation von Nutzer*innenkommentaren – in kreative oder investigative Arbeit einfließen zu lassen. Zudem bleibe der „redaktionellen Blick als Korrektiv“ unverzichtbar, „um die Qualität KI-unterstützter Beiträge nach journalistischen Standards zu gewährleisten“, betonen die Whitepaper-Autor*innen – „gerade bei der Nutzung von externen KI-Lösungen“. Notwendige Kompetenzen sollten durch Kooperationen mit bestehenden Media Labs als Experimentierräumen, in Weiterbildungen und in der journalistischen Ausbildung vermittelt werden. Wenn viele Kolleg*innen an den Veränderungsprozessen mitwirkten, „baut das Vertrauen in die Arbeit mit Algorithmen auf“, wird Jörg Pfeiffer vom Bayerischen Rundfunk als befragter Experte zitiert.

Wer kontrolliert die Technik?

Diese Innovationen erfordern Ressourcen, die kleine Medienhäuser oder Freelancer oft nicht aufbringen können. Um die Vielfalt des Medienangebotes zu erhalten, müssen sie unterstützt werden – von finanzieller Förderung bis hin zu Kooperationen, etwa mit Rundfunkhäusern bei der Nutzung von KI-Systemen. Die Autor*innen empfehlen zudem das Programm JournalismAI der London School of Economics, das Schulungsmaterialien und Online-Kurse für Journalist*innen anbietet. Auch die Aufsichtsgremien müssten über KI-Expertise verfügen, um ihrer Kontrollfunktion gerecht zu werden.

Das Whitepaper ist eine aktuelle, gut strukturierte Handreichung, auflockert mit Zitaten und eingeschobenen Anwendungsbeispielen, einem Literaturverzeichnis und Infos über Autor*innen und Expert*innen. Mit Blick auf Journalist*innen und ihr Publikum geschrieben, ist es sicherlich auch für gewerkschaftlich engagierte Medienschaffende hilfreich, wenn es um die Einführung von IT-Systemen in Redaktionen geht.


KI-und-Journalismus, Foto: Lernende Systeme

Heesen et al.: Künstliche Intelligenz im Journalismus. Potenziale und Herausforderungen für Medienschaffende. Whitepaper aus der Plattform Lernende Systeme, München 2023, 33 Seiten. Kostenloser Download

 

 

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