„System-Fehler“ ist der Frühjahrskongress der Linken Medienakademie in diesem Jahr überschrieben. Mit der Diskussion „Investigativ in Osteuropa“ begann die Veranstaltung heute am Franz-Mehring-Platz 1. Die LiMA dauert noch bis zum Samstag, der sich besonders dem Thema Freiberuflichkeit widmet. Das Darknet ist Thema einer Diskussion im taz-Café am Freitagabend. Rund 300 Teilnehmer haben sich bereits für die rund 40 Workshops angemeldet. Einige sind ausgebucht, bei anderen sind noch Tickets an der Tageskasse zu haben.
„Eine Meinung reicht heute nicht mehr aus, um die Welt zu retten. In Zeiten von Fake-News und Facebook-Blasen müssen kritische Medien mehr liefern: Netzwerke aufdecken, krumme Geschäfte aufzeigen, Schwachen eine Stimme geben, kurz – Licht ins Dunkle bringen“, heißt es zur Entscheidung für den Titel „System-Fehler“, der auch die Ambivalenz neuer Möglichkeiten aufzeigen will. Zum Beispiel das Darknet: Schutzraum für politisch Verfolgte kann es ebenso sein wie Tummelplatz für Kriminelle. Oder die Mail-Verschlüsselung: Sie kann ein Schutz sein. Viele Journalist_innen in autokratisch regierten Ländern befürchten aber eher, unliebsame Behörden dadurch erst recht auf sich aufmerksam zu machen.
Auch dies war Thema der Diskussion „Investigativ in Osteuropa – Kampf gegen Korruption und Machtmissbrauch“. So berichtete Annika Gläser, für n-ost viel in Moldawien, Georgien, Armenien und der Ukraine unterwegs, dass die Journalist_innen dort nur zu einem sehr geringen Teil Verschlüsselungstechniken nutzen. Einig waren sich Gläser, Krsto Lazarevic, der im westlichen Balkan aus Serbien, Montenegro und anderen, noch nicht zur EU gehörenden, Ländern berichtet, sowie Dr. Volker Weichsel, der seine Diskussionsbeispiele überwiegend aus Polen, Ungarn und Russland beisteuerte, dass es in Osteuropa keinen investigativen Journalismus ohne finanzielle Hilfe aus dem Ausland gäbe. Wie sich am Beispiel der Stiftung des ungarischstämmigen US-Amerikaners George Soros zeigen lässt, kann dies im zunehmend autokratisch regierten Ungarn von der Regierung verwandt werden, um den investigativen Journalismus insgesamt als auslandsgesteuert, unpatriotisch und verwerflich zu verteufeln. Ähnliche Entwicklungen sind seit einigen Jahren auch in Polen mit seiner rechtskonservativen PiS-Regierung zu beobachten, unterstrich Weichsel.
Bis 2010 habe es in Ostmitteleuropa einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegeben, danach begann zunächst in Ungarn die Umwandlung in einen Staatsfunk, ein Weg, den auch die polnische Regierung eingeschlagen habe, so Weichsel. In Georgien sei die Presse seit der Regierung von Micheil Sakaschwili (2004-13) zunehmend unter Druck geraten, erklärte Gläser. Zwar gebe es einerseits die Möglichkeit, dass die aus regierungstreuen Medien herausgedrängten kritischen Journalist_innen über Blogs und Internet-Portale agierten, aber die Reichweiten und Verdienstmöglichkeiten seien andererseits sehr gering und Crowdfunding kein System, was zu relativ armen Gesellschaften passe. Die nicht-staatlichen Medien befinden sich in vielen Ländern Osteuropas in den Händen von Oligarchen, oft eng verknüpft mit den Regierungskreisen. Und in Russland bezeichnete Weichsel das Internet als „zu 90 Prozent vom Staat gesteuert“.
„Es gibt in Europa ein Gefälle des gesellschaftlichen Vertrauens“, erklärte Weichsel. In vielen Ländern Osteuropas würde alles außerhalb der eigenen Familie mit Misstrauen beäugt. „In den vergangenen Jahren hat es eine Westerweiterung des Misstrauens gegeben“, bemerkte er. Der Glaube an die „Wahrheit“ werde in autokratischen Systemen mit Absicht zerstört. Das Bewusstsein für die wichtige Bedeutung des kritischen Journalismus sei in vielen Gesellschaften in Osteuropa nicht sehr ausgeprägt und werde auch mit „Nestbeschmutzung“ gleichgesetzt.
In den 1990er Jahren habe es bei vielen die Hoffnung gegeben, dass die Gesellschaften des ehemaligen Ostblocks durch Reisen und Auslandsstudium junger Menschen weltoffener würden, erklärte er auf die Frage einer Zuhörerin, ob diese Abwehrhaltung eine Generationensache sei. Es habe die „Generation Perestroika“ gegeben, die habe sich ihre kritische Haltung bewahrt. Die Generation danach habe in den 1990er Jahren hauptsächlich Zusammenbruch als Erfahrung erlebt und die Generation der 2000er Jahre sei zunehmend patriotisch bis nationalistisch orientiert, wie man in Ungarn, Polen und Russland gut beobachten könne – allen Auslandsaufenthalten zum Trotz.
Wichtig für die Unterstützung des investigativen Journalismus in Osteuropa seien neben den Finanzspritzen für recherchierende Journalist_innen – auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat ein solches Programm – die Aufmerksamkeit, eine möglichst große Öffentlichkeit für die östlichen Kolleg_innen. Daher sollten auch westliche Medien den Berichten aus Osteuropa mehr Platz einräumen und interessierte Leser_innen auch englischsprachige Medien aus Osteuropa öfter zur Kenntnis nehmen. Das war der Wunsch der drei Osteuropa-Expert_innen auf die Schlussfrage „Was tun?“ des Moderators Stephan Fischer, Leitender Redakteur des „Neuen Deutschland“.