„Der Druck auf klassische Gatekeeper wächst – durch Erwartungen der Leser*innen und den Aufschwung des Rechtsextremismus.“ Sie sei erstaunt gewesen, dass Journalist*innen aus unterschiedlichen Medien so einhellig diese Meinung vertreten, sagte Karin Scherschel, Professorin für Flucht- und Migrationsforschung, beim Interkulturellen Mediendialog in Frankfurt am Main. Dort wurde angeregt über ihre Studie „Mediale Wahrnehmung des Islam bei Politiker*innen und Journalist*innen“ diskutiert.
„Große Gefahr durch islamistischen Terror“ – so betitelte die „Frankfurter Allgemeine am Sonntag“ einen Beitrag zur „Messerattacke in Würzburg“, bei der drei Frauen starben. Bedrohungsszenarien wie diese sind in Medien und entsprechende Einstellungen der Bevölkerung über Islam und Muslim*innen weit verbreitet, wie Scherschels Mitarbeiter Benedict Bazyar Gudrich an Studien zum antimuslimischen Rassismus in Deutschland belegte. Dazu hat das Forschungsteam im Frühjahr 2019 Gruppendiskussionen und Leitfadeninterviews mit insgesamt 28 Medienschaffenden und Politiker*innen geführt. Ihre explorative Studie ist Teil des Verbundprojektes „Das Bedrohungsszenario des ‚islamistischen Terrorismus‘“. Zentraler Befund aus den Gesprächen: Alle Journalist*innen aus lokalen, aber auch überregionalen Medien mit unterschiedlicher Expertise und Reichweite „haben ein Problembewusstsein für die „eindimensionale Darstellung von Islam und Muslim*innen“, so Gudrich, denn sie übten Selbstkritik an ihrer „stereotypen Bilderkiste“ und den „Klischeefallen“, in die sie tappten.
Zugeständnisse an populistischen Diskurs
Doch trotz dieses „reflektierenden Blicks offenbaren sich Verstrickungen in rassistische Deutungen“, konstatierte Gudrich. Beispielsweise sei ein Journalist im Zusammenhang mit der „Diskussion über eine Islamistenmoschee“ total verunsichert gewesen, als er den Vorsitzenden des Moscheevereins interviewte. Dieser zeigte sich „eloquent, spricht perfekt deutsch und sagen wir mal so, alle Kritikpunkte, die mit unserem Wertesystem nicht in Einklang zu bringen sind, die überspielt er im Endeffekt.“ Der Interviewpartner habe sich wegen seiner hohen Sprachkompetenz verdächtig gemacht, interpretierte der Migrationsforscher die Äußerungen des Journalisten, denn das passe nicht zu den Zuschreibungen für Muslimin*innen, die sich aus „unserem Wertesystem“ ergeben, dass zwischen „wir“ und den „anderen“ unterscheidet.
Das zeigt sich auch in der Berichterstattung über Gewalt. Terrorakte von weißen Europäer*innen wie Anders Breivik gelten z. B. als „unvorstellbar“, weil man einen anderen „Wertekompass unterstellt“. Obwohl es mehr rechtsextremistische Taten gibt als islamistisch motivierte, wird Medienschaffenden vorgeworfen, „Gewalttaten von Muslimen“ zu verharmlosen, etwa in Leserbriefen wie diesem: „Da gab‘s doch diese Messerattacke und darüber habt ihr nicht berichtet.“ Durch Zugeständnisse an diesen populistischen Diskurs tragen Journalist*innen zur sozialen Ausgrenzung von Muslim*innen bei, resümierte Gudrich.
Social media stellen Deutungshoheit in Frage
Verschärft werde der Druck durch die Transformationen im Mediensystem, denn social media stellten die „Deutungshoheit etablierter Medien in Frage“. Als 2016 über die Ermordung einer Freiburger Studentin entsprechend journalistischer Standards regional berichtet wurde, wuchs der Druck auf die überregionale Presse, den Fall zu thematisieren und sogar die „New York Times“ berichtete darüber. „Ich halte es für fraglich, solche Erwartungen zu bedienen“, kommentierte Gudrich. Die Kölner Silvesternacht 2015/16 markiere eine Zäsur im Diskurs und die „Aufweichung journalistischer Leitlinien“. So wurde 2017 die Antidiskriminierungsrichtlinie im Pressekodex geändert. Die Herkunft von Täter*innen darf jetzt genannt werden, wenn es ein „begründetes öffentliches Interesse“ gibt. Zuvor musste ein Sachbezug bestehen, der für das Verständnis der Tat notwendig ist. Diese Änderung habe zu „eklatant höheren Herkunftsnennungen in der Kriminalitätsberichterstattung“ und einer „Verstärkung antimuslimischer Narrative“ geführt.
Die Befunde aus den Gesprächen mit den – ausschließlich männlichen – Politikern im Sample seien ähnlich gewesen. Auch sie sehen sich mit antimuslimischem Rassismus im Netz und einer gesellschaftlichen Stimmungslage konfrontiert, die Handlungsdruck erzeuge, „AfD Themen ein Stück weit wegzunehmen“ und Zugeständnisse an populistische Politik zu machen. Die Politiker kritisierten den „gewaltorientierten Mediendiskurs“ und „mangelnde Expertise“ von Journalist*innen.
„Bedienen von Bedrohungsszenarien“
In der anschließenden Diskussion kreisten die Fragen um den Druck, dem Medienschaffende ausgesetzt sind. „Werden Journalisten zum verlängerten Arm derjenigen, die Medien kritisieren“, fragte einer. Migrationsforscherin Karin Scherschel antwortete, das „Bedienen von Bedrohungsszenarien“ könne man nicht einzelnen Journalist*innen anlasten. Das hänge eher mit dem „Aufschwung von Intermediären wie Twitter“ zusammen, durch den Medienbetrieb und Nachrichtenwerte transformiert würden. Die Frage, ob die Öffentlichkeitsarbeit von Polizeipräsidien Einfluss auf die Herkunftsnennung in der Berichterstattung habe, verneinte Scherschel. Keine*r der befragten Journalist*innen habe die Infopolitik von Polizei und Verfassungsschutz thematisiert.
„Seit 2015 stehen Geflüchtete im Fokus, aber das sind nicht alles Muslime. Woher kommt der Druck, die Angst vor Muslimen“, fragte eine Zuhörerin. Die Themen Islam, Migration und Bedrohung seien durch Pegida eng miteinander verzahnt, so Scherschel. Es gebe immer wieder Phasen, in denen Muslimfeindlichkeit befeuert werde. Migration habe mit Zugehörigkeit zu tun und sei ein emotionales Thema, das zündet. So viel man z. B. auch über Immobilienmarkt und Wohnungsnot spreche, es bleibe die Vorstellung: „Die Ausländer nehmen uns die Wohnungen weg.“ Dagegen könne man nur sachlich argumentieren und politisch gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Bei Journalist*innen gebe es ein Problembewusstsein, aber das werde nicht so stark kommuniziert, „dass es den Mainstream beeinflusst“.
Eine Zusammenfassung der Studie findet sich in: Migrationsforschung und Politik / Zeitschrift für Migrationsforschung – Journal of Migration Studies 2021 1 (2): 123–145, https://doi.org/10.48439/zmf.v1i2.116