Nichts Genaues weiß man nicht, Hauptsache auf Sendung?

Nach ihrer Berichterstattung zum Türkei-Putsch stehen die Öffentlich-Rechtlichen in der Kritik. Zu Unrecht. Standen nach dem Nizza-Attentat, zu Recht, noch die Boulevardpresse und die fragliche Publikation von Opfer-Bildern im Visier der Kritik, traf es nach dem Türkei-Putsch das öffentlich-rechtliche Fernsehen: Zu spät, zu spärlich und zu sparsam hätte es berichtet, so der Vorwurf. Auf Twitter wurden gar Rufe nach der Abschaffung von ARD/ZDF laut. Wer so arbeite, würde nicht mehr gebraucht. Doch welche Art von Arbeit erwarten wir denn nun eigentlich von den Öffentlich-Rechtlichen?


Die Öffentlich-Rechtlichen hätten den Türkei-Putsch verschlafen, urteilt der Branchendienst Meedia. Doch wer zu solch einem Schluss kommt, kann die Berichterstattung im Ersten und auf ZDF unmöglich verfolgt haben, sondern hat sich stattdessen auf die Aussagen empörter Twitter-Nutzer verlassen. Tatsächlich haben Freitagabend, kurz nachdem erste Informationen zum Putschversuch durchdrangen, sowohl die Tagesthemen um 22:15 Uhr am Anfang und Ende der Sendung als auch das heute Journal gegen 22:45 Uhr berichtet und mit ihren jeweiligen Türkei-Korrespondenten gesprochen. Das Erste hat dann seine viel zitierte Tatort-Wiederholungsfolge gegen 23:15 Uhr unterbrochen, um eine weitere Einschätzung der noch immer unklaren Lage in der Türkei vorzunehmen. Das ZDF übertrug ab 00:03 Uhr ein Spezial zur Türkei.

Was hätte man dem Publikum dazwischen auch erzählen sollen, außer: Nichts Genaues weiß man nicht? Die Nachrichtenlage war unklar, Bilder gab es nur wenige. Welchen informativen Mehrwert kann schon ein Türkei-Korrespondent bieten, der in einer Dauer-Schalte mit dem Studio verbunden ist und nichts tun kann, als immer wieder dieselben unbestätigten Meldungen zu wiederholen? Statt eines Spekulationen-Jongleurs im Live-Fernsehen wünscht man sich doch eher einen zunächst im Hintergrund recherchierenden Journalisten, der im Anschluss eine fundierte Einschätzung der aktuellen Lage abgeben kann.

Wer auf der Suche nach schnellen Informationen in Echtzeit war, der hat sich ohnehin an Twitter gehalten. Wobei das Wort „Information“ an dieser Stelle schon zu hoch greift. Denn wirklich informiert fühlte man sich in dem Fluss widersprüchlicher und teils hanebüchener Meldungen wie der, dass Erdogan um politisches Asyl in Deutschland gebeten habe, dann auch nicht. Von einem öffentlich-rechtlichen Sender erwartet man hingegen eine kompetente, besonnene und faktensichere Einordnung des Geschehens. Doch die braucht eben Zeit. Zeit, die sich die Öffentlich-Rechtlichen genommen haben. Und seien wir mal ehrlich: Hätten das Erste und das ZDF wie zu anderen Gelegenheiten den orientierungslosen und hilfesuchenden Zuschauer mit „Experten“-Interviews dauerbeschallt, die rein gar nichts zur Aufklärung der aktuellen Geschehnisse beitragen, hätten sie auch dafür Prügel kassiert. Wer noch nichts zu sagen hat, der kann für den Moment einfach auch mal still sein.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »