Öffentliches Interesse oder Rassismus?

Dr. Bärbel Röben lebt als freie Journalistin und Medienwissenschaftlerin in Attendorn/Sauerland. 2013 veröffentlichte sie das Buch "Medienethik und die Anderen. Multiperspektivität als neue Schlüsselkompetenz", das Aspekte einer verantwortungsethischen Berichterstattung auslotet. Foto: Jan-Timo Schaube

Am Montag starb ein Junge im Frankfurter Hauptbahnhof, weil ein Mann ihn vor einen ICE gestoßen hatte. Viele Medien meinten offenbar, es gehöre zur „ganzen Wahrheit“ und liege im „öffentlichen Interesse“, die Herkunft des mutmaßlichen Täters zu nennen, der aus Eritrea stammt. Kritiker*innen warnten, dass so rassistische Positionen bedient würden. Der Deutsche Presserat erinnerte an seine Antidiskriminierungsrichtlinie. Zu Recht.

Abends war das Thema Aufmacher beim ZDF Heute Journal und bei den ARD Tagesthemen, die bei gleicher Faktenlage recht unterschiedlich berichteten. Der mutmaßliche Täter stamme „offenbar aus Afrika, Eritrea“, so ZDF-Moderator Claus Kleber, der die Herkunftsnennung damit begründete, dass sie Thema „in unzähligen Gesprächen“ und „im Netz“ sei. Auch im Interview mit dem Kriminologen Rudolf Egg fragte Kleber, ob die Tat etwas mit dem ethnischen Hintergrund des Mannes zu tun habe, und bediente damit den von Rechtsradikalen angeheizten Asyldiskurs. Verstärkt wurde dies noch durch eine Meldung über Randale im Düsseldorfer Rheinbad, für die eine „größere Gruppe von jungen Männern aus Nordafrika“ verantwortlich sei. Das erinnert an rassistische Deutungsrahmen der Kölner Silvesternacht.

Reflektierter berichteten die Tagesthemen. Moderatorin Pinar Atalay nannte zwar auch die Herkunft des Täters von Frankfurt, versuchte aber durch Kontextualisierungen ein differenzierteres Bild zu vermitteln und so der Rassismusfalle zu entgehen. Der Aufmacherinformation folgte ein Bericht über die Krawalle einer „Gruppe junger Männer“ im Rheinbad, die in den Kontext von „Gewalt aggressiver Jugendlicher“ gestellt wurden. Danach interviewte Atalay den Psychologen Ahmad Mansour, der Konfliktlösung durch Gewalt als Teile patriarchalischer Strukturen und der Jugendkultur problematisierte. Wenn Gewalt von Menschen mit Migrationshintergrund ausgehe, so Mansour, solle man „den Rechten die Argumente wegnehmen und nicht tabuisieren“, sondern differenzieren.

Inzwischen wurde bekannt, dass der mutmaßliche Straftäter vom Frankfurter Hauptbahnhof aus der Schweiz einreiste und psychisch krank ist. Der Presserat erinnerte an die überarbeitete Antidikriminierungsrichtlinie und warnte vor einer „diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens“. Mit Blick auf die Praxis – Leitsätze zur Richtlinie 12,1 zeigt sich, dass so manche Kriterien für das „öffentliche Interesse“ an der Herkunftsnennung eines Straftäters nicht beherzigt wurden. Kein Grund sind etwa „reine Neugier“ – öffentliche Spekulationen, auf die Claus Kleber sich berief – oder die Erwähnung der Nationalität durch die Behörden, wie durch die in ARD und ZDF zitierte Frankfurter Polizeisprecherin, die den mutmaßlichen Täter als Eritreer kennzeichnete. Auch lediglich vermutete Zusammenhänge zwischen Tat und Gruppenzugehörigkeit rechtfertigen keine Herkunftsnennung als „öffentliches Interesse“.

Wie Journalist*innen in dem Dilemma zwischen berufsethischem Wahrheitsgebot und Diskriminierungsverbot berichten könnten, erläuterten die Neuen deutschen Medienmacher*innen in einer Pressemitteilung: „Wer meint, bei Straftaten unbedingt die Herkunft von Täter*innen erwähnen zu müssen, kann das möglichst auch bei allen anderen Beteiligten tun“ wie etwa der Focus in seiner Berichterstattung über einen ähnlichen Fall in Voerde. Dort sei nicht nur die Herkunft des Täters erwähnt worden, der eine Frau vor den Zug gestoßen hatte, sondern auch die eines „31-jährigen Irakers“, der durch seinen „heldenhaften Einsatz“ Schlimmeres verhinderte. Dieses Vorgehen mache deutlich, „dass es keine Frage der Herkunft ist, wer solche Verbrechen begeht – und wer davon betroffen ist.“

Mit etwas mehr Reflexion und dem Mut, sich nicht von verantwortungslosen Schreier*innen treiben zu lassen, kann es durchaus gelingen, fair zu berichten – in einem „öffentlichen Interesse“, das an das Gemeinwohl gebunden ist und rassistische Deutungsrahmen sprengt.

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