Meinungsmanipulation durch etablierte und soziale Medien – Gefahr durch Social Bots?
Die 17. Linke Medienakademie vom 2. bis 6 April in Berlin hat sich der „#Polarisierung“ gewidmet. Neben zahlreichen, zum Teil schon im Vorverkauf ausgebuchten, Kursen zur Medienarbeit griffen vor allem die Abendveranstaltungen konfrontative Themen auf. Beispiele waren die etablierten und die sozialen oder kommunalen Medien in Südamerika sowie die mögliche Meinungsmanipulation durch Social Bots.
„Medien-Vorbild Südamerika? – Soziale Medien zwischen Manipulation und Aufklärung“ hieß die Veranstaltung am Mittwochabend am Franz-Mehring-Platz. Als erstes Beispiel stellte Claudia Fix die Medienlandschaft in Brasilien vor. Fix hat als Auslandskorrespondentin Erfahrung in Brasilien und Honduras und ist seit 2011 (ehrenamtliche) Redakteurin der Lateinamerika-Nachrichten in Berlin. Sie berichtete über den „parlamentarischen Putsch“ in Brasilien, mit dem die gewählte Präsidentin Dilma Rouseff aus dem Amt gedrängt wurde. Zu diesem „Putsch“ hätten die etablierten Medien „massiv beigetragen“, da sie der Präsidentin und ihrer Arbeiterpartei kampagnenartig Korruption unterstellt hätten, die nicht nachgewiesen werden konnte, erklärte Fix in ihrem Vortrag. Dagegen gebe es gegen zahlreiche Politiker_innen der jetzt regierenden konservativen Partei Verfahren wegen Korruption, die in den etablierten Medien heruntergespielt würden.
Die Medienlandschaft in Brasilien sei beim Fernsehen zu 99 Prozent geprägt von privaten Sendern, die sich in den Händen von nur fünf reichen Familien befänden, die auch Radios und Zeitungen besitzen. Der schon in der Militärdiktatur mit den Machthabern bestens vernetzte Medienkonzern „Globo“ etwa sei bis heute meinungsführend in Fernsehen, Radio und Presse, so Fix weiter.
Der Wahlkampf zur Wiederwahl von Dilma Roussef sei in den etablierten Medien besonders hasserfüllt gewesen, sagte Fix. Gegen diese konservative Medienmacht hätten sich zwar unabhängige Journalistenkollektive gebildet wie „Mídia Ninja“ oder „Jornalistas Livres“, die beispielsweise 1,3 Millionen beziehungsweise 700.000 Likes auf Facebook vorweisen können. Gemessen an 210 Millionen Einwohnern und 100 Millionen Facebook-Accounts in Brasilien sei das aber natürlich noch keine prägende Zahl.
Die Medienwissenschaftlerin und –aktivistin Viviana Oriona berichtete anschließend von der Situation der kommunalen Radios im Norden Argentiniens, die sich um eine alternative Berichterstattung bemühen. Zwar habe es unter der Regierung von Cristina Fernandez da Kirchner ein neues Mediengesetz gegeben, doch sei dieses Gesetz als erstes zur Zielscheibe der inzwischen installierten konservativen Regierung geworden.
Dennoch sei in Argentinien vieles in Bewegung geraten. Besonders die Kulturschaffenden würden ein „Menschenrecht auf Kommunikation“ propagieren und zählten in einem 21-Punkte-Papier vieles auf, was sich auch in Empfehlungen der UNESCO oder der EU finde.
Oriona berichtete von der Bewegung der „Kameradisten“, zu deren Gründerinnen sie gehört. In ihrem Film „Sachamanta“ schildert sie die Gründung unabhängiger kommunaler Radios durch die Campesinos (Landarbeiter, Anm.d.Red.) im Norden Argentiniens, die sich ihre eigene Stimme schaffen wollten. Dabei würden die kommunalen Radios auch der Weiterbildung dienen. So meinte einer der lokalen Radiomacher im Film: „Das Radio hat unser Leben sehr verändert.“ Zwar hätten die lokalen Radios keine große Reichweite, doch seien sie mit den benachbarten lokalen Radios vernetzt.
Diese kommunalen Radios gebe es nicht nur in Argentinien, sondern auch in anderen südamerikanischen Ländern wie etwa seit vielen Jahren in Bolivien, ergänzte Fix. Das Wichtige daran sei die „Selbstermächtigung“ von Menschen, die sonst in den Medien höchstens als Täter oder Opfer in Drogenkriegen vorkommen würden, über deren alltägliches Leben in den Slums aber niemand berichte, weil „bürgerliche Journalisten“ sich dort gar nicht hintrauten.
Was man von Südamerika lernen könne? Alternative Medien sollten aktiver werden, selbst von Demos berichten, meinte Fix, und mehr Energie gegen Hassreden aufwenden. Von den „Community Radios“ sollten wir lernen, die Hörer_innen mehr einzubinden, schlug Oriona vor.
In der Abschlussveranstaltung „Steuern Bots unsere Meinungen?“ am Donnerstagabend diskutierten die Publizistin und Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg, der Datenjournalist Lorenz Matzat, der sich auch bei „Abgeordnetenwatch“ engagiert, und Martin Fuchs von den „Hamburger Wahlbeobachtern“ über Social Bots und wie sie Meinungen manipulieren. Die Moderatorin und taz-Redakteurin Amna Franzke eröffnete das Gespräch im vollbesetzten taz-Café mit dem Hinweis, dass seit der Brexit-Abstimmung in Großbritannien und der Wahl von Donald Trump in den USA die Beeinflussung durch Social Bots heiß diskutiert werde.
Keine wesentliche Meinungsmanipulation durch Social Bots sah Matzat und gab zu bedenken, dass dieses Thema den Demokraten seit der US-Wahl als „Narrativ“ für ihre unerwartete Wahlniederlage diene. Im technologieskeptischen Deutschland sei das Thema dankbar aufgegriffen worden und werde jetzt schon mal von den verschiedenen Parteien vorsorglich als mögliche Schuld an einer Niederlage thematisiert.
Eine Überbetonung des Themas sah auch Domscheit-Berg, fügte aber hinzu, dass diese kleinen Computerprogramme nicht ohne Einfluss seien, da sie rasend schnell und in großer Zahl Kommentare absetzten, die Themen setzen oder auch verdrängen könnten und Politiker_innen ein falsches Meinungsbild ihres Wahlvolks vorspiegelten. Die AfD habe bereits sehr viele Social Bots, die als „Human Accounts“ getarnt seien, im Einsatz.
Martin Fuchs gab zu bedenken, dass die Behauptung, von den 320 Millionen Twitter-Accounts seien 20 Prozent Social Bots, fragwürdig sei, denn als Social Bots würden auch Accounts gezählt, auf denen sich wenig tue. Dabei gebe es eine Menge Menschen, die einen Twitter-Account nicht für eigene Tweets, sondern nur zum Mitlesen benutzten.
Twitter sei in Deutschland relativ irrelevant und für die breite Masse nicht interessant, erklärte Matzat. Der amerikanische Wahlkampf sei auch nicht durch Twitter geprägt worden, sondern durch das Fernsehen. Die Fernsehjournalist_innen hätten allerdings die Tweets von Trump immer wieder zum Anlass genommen, die von ihm angesprochenen Themen aufzugreifen. Twitter sei vor allem ein Multiplikatorenmedium, warf Domscheit-Berg ein.
Das grundlegende Problem von Social Bots sei allerdings das Misstrauen, das entstehe, wenn die Leser_innen nicht mehr wüssten, ob da reale Menschen ihre Meinung oder nur Computerprogramme die Ansicht ihres Programmierers schrieben. Für die normale Userin oder den normalen User sei es auch schwierig zwischen Wahrheit und Fake News zu unterscheiden, so Domscheit-Berg. Das zeige, so Matzat, dass viel mehr in Medienpädagogik investiert werden müsse.
Domscheit-Berg empfahl, den „bösen“ Bots „liebe“ Bots entgegenzusetzen. Die Auswirkung von Shitstorms, ob nun von realen Menschen oder durch Computerprogramme geführt, solle man nicht unterschätzen, erklärte die Netzaktivistin, die inzwischen selbst politische Kandidatin ist, und mit negativen Äußerungen viel Erfahrung hat. „Drohungen haben Auswirkungen auf das eigene Leben.“
Dass Social Bots im kommenden Wahlkampf eingesetzt werden, davon zeigte sich Fuchs überzeugt. Das müsse noch nicht mal aus der Parteizentrale angeordnet sein: „Es gibt genug frei verfügbare Programme, die jeder Anhänger instrumentalisieren kann“ – auch um die politischen Gegner zu diskreditieren.
Die echte Gefahr für die Demokratie sei, „dass wir langsam verlernen, mit Leuten, die anderer Meinung sind, wirklich zu reden“, kommentierte Domscheit-Berg und bezog sich dabei auf das Phänomen, dass viele User_innen sozialer Medien in ihren „Filterblasen“ bleiben, da Algorithmen dafür sorgen, dass sie sich nur in Social-Media-Szenen bewegen, die der eigenen Meinung entsprechen, und andere Ansichten gar nicht mehr wahrnehmen. Das ließ Moderatorin Amna Franzke als Schlusssatz der Diskussion stehen.